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Nach zehn Jahren HaftAttentäter Anders Breivik will auf Bewährung entlassen werden

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Der norwegische Massenmörder Anders Breivik beim Berufungsprozesses um seine Haftbedingungen (Archivbild)

Der norwegische Terrorist Anders Behring Breivik sitzt seit zehn Jahren hinter Gittern, jetzt stellt er zum ersten Mal einen Antrag auf Bewährung, über den ab Dienstag verhandelt wird. Seine Chancen auf eine vorzeitige Entlassung gehen laut Beobachtenden gegen Null. Doch bei den Angehörigen der 77 Menschen, die bei Breiviks Terrorangriffen in Oslo und auf der Insel Utøya ums Leben gekommen sind, reißt der Prozess alte Wunden auf.

Am Dienstag (18. Januar) wäre die Norwegerin Synne Røyneland 29 Jahre alt geworden. Statt den Geburtstag ihrer Tochter zu feiern, wird ihre Mutter Lisbeth an diesem Tag den Auftakt der Verhandlung verfolgen, durch die Synnes Mörder Anders Behring Breivik auf freien Fuß kommen will. Denn die Jugendliche kam bei dem Anschlag auf der Insel Utøya im Juli 2011 ums Leben, während sie das Ferienlager der sozialdemokratischen Jugend besuchte. „Für mich persönlich ist das ziemlich absurd“, sagt Lisbeth Røyneland dem norwegischen Rundfunk.

Anders Breivik kann Antrag jedes Jahr aufs Neue stellen

Dass der Massenmörder, der nach der Tat zu 21 Jahren Haft und anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt wurde, tatsächlich frei kommen könnte, hält Kristin Bergtora Sandvik für so gut wie unmöglich. „Er hat keine Chance auf Bewährung. Das wird nicht passieren“, sagt die Professorin am Institut für Kriminologie und Rechtssoziologie der Universität Oslo. Die Anklage, so Sandvik, werde argumentieren, dass von Breivik nach wie vor eine akute Gefahr für die norwegische Bevölkerung ausgeht. „Ich glaube nicht, dass er jemals wieder aus dem Gefängnis entlassen werden wird.“

Trotzdem wird sein Fall die Norweger und Norwegerinnen voraussichtlich auch in Zukunft nicht loslassen. Denn ab jetzt kann der Attentäter seine vorzeitige Entlassung aus dem Gefängnis nach norwegischem Recht jedes Jahr aufs Neue beantragen – unabhängig davon, wie gering die Aussichten auf Erfolg sind. „Er wird immer wieder versuchen, den Gerichtssaal als Bühne für sich und die Verbreitung seines rechtsextremen Gedankenguts zu nutzen“, meint Kristin Bergtora Sandvik.

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Wie Breivik selbst für seine Freilassung argumentieren will, ist nicht bekannt. Auf eine RND-Anfrage reagierte sein Anwalt, Øystein Storrvik, nicht. Dem norwegischen Rundfunk sagte er: „Er hat eine umfassende Erklärung vor Gericht vorbereitet, und dieser möchte ich nicht vorgreifen.“ Der Versuch von Staatsanwältin Hulda Karlsdottir, der norwegischen Nachrichtenagentur NTB das Filmen der Verhandlung – und damit auch von Breiviks Auftritt – zu untersagen, blieb ohne Erfolg.

Breivik ist als Häftling eine „extreme Herausforderung“

Vier Tage sind dafür vorgesehen. Vier Tage, die schmerzhafte Erinnerungen in vielen Überlebenden und Hinterbliebenen der Opfer wachrufen werden, ist sich Miriam Einangshaug sicher. Die junge Norwegerin hat den Angriff auf der Insel Utøya überlebt, bei dem vor allem Kinder und Jugendliche starben. Zum Teil hatte Breivik ihnen aus nächster Nähe in den Kopf geschossen, nachdem er als Polizist verkleidet auf die Insel übergesetzt war. „Das ist jemand, der versucht hat, mich zu töten, und der meine Freunde getötet hat. Deshalb tut das natürlich weh“, sagt Einangshaug dem norwegischen Rundfunk.

Neben Breiviks eigener Aussage sollen bei der Verhandlung laut Staatsanwaltschaft auch ein neues psychiatrisches Gutachten und Material zum Tragen kommen, das die Gefängnisbehörde dem Gericht zur Verfügung gestellt hat. Seit seiner Verurteilung sitzt Breivik in strikter Isolationshaft, als Häftling sei er eine „extreme Herausforderung“, sagt Kristin Bergtora Sandvik.

Sandvik: „Die Demokratie, die Breivik zu zerstören versucht hat, ist intakt“

Wegen seiner Haftbedingungen – der Zensur seines Briefverkehrs und der Einzelhaft – hatte der Massenmörder den norwegischen Staat 2016 verklagt und zunächst teilweise Recht bekommen. Ein Berufungsgericht hatte die Entscheidung 2017 aber korrigiert und die Klage abgewiesen. Auch damals hatte Breivik sein Erscheinen vor Gericht zur Selbstdarstellung genutzt und die Öffentlichkeit mit dem Hitlergruß schockiert.

Vorstellen, dass Anders Behring Breivik tatsächlich auf freien Fuß kommt, kann sich in Norwegen wohl niemand. Dass der Massenmörder, der das Land 2011 in ein nationales Trauma stürzte, künftig jedes Jahr erneut seine Freilassung fordern darf, schmerze zwar, sagt die Hinterbliebene Lisbeth Røyneland. Es zeige aber auch, dass das norwegische Rechtssystem funktioniere. „Die Demokratie, die Breivik zu zerstören versucht hat, ist intakt“, sagt Kristin Bergtora Sandvik.

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