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Neuer US-PräsidentHoffnung auf eine neue Allianz der Vernunft mit Joe Biden

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Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt wieder „Freundschaft“, wenn sie über Amerika spricht. In der Ära Trump ist ihr dieses große Wort nicht über die Lippen gekommen. Deutlicher hätte die deutsche Regierungschefin ihre Freude und Genugtuung über die Wahl der Amerikaner nicht machen können. Mit Superlativen ist die Kanzlerin ohnehin sparsam.

Dabei war die deutsch-amerikanische Freundschaft schon immer eine Illusion. In den frühen Jahren der Republik handelte es sich um ein Abhängigkeitsverhältnis, in dem Westdeutschland beschützt vor den Konflikten der Welt ökonomische Stärke erlangen konnte. Spätestens seit dem Nein der damaligen rot-grünen Bundesregierung zum Irakkrieg setzte die Phase der Emanzipation vom sogenannten großen Bruder ein. Unter Trump schließlich kam es zur Entfremdung. Aus Sicht mancher Amerikaner drehten sich die Vorzeichen gar um: Plötzlich wurde Merkel als „Anführerin der freien Welt“ wahrgenommen. Diesen Titel wehrte Merkel öffentlich stets ab, wohl wissend, dass er mit Hoffnungen und Ansprüchen verbunden gewesen wäre, die sie, die Deutschland, niemals hätte erfüllen können.

Freundschaft gibt es unter Nationen ohnehin nicht. Es gibt Interessen und Werte, die übereinstimmen können. Zu diesen Gemeinsamkeiten kann das deutsch-amerikanische Verhältnis zurückkehren. Die Zukunft liegt in einer transatlantischen Partnerschaft, die diesen Namen verdient. Amerika und Europa brauchen einander – dringend. In einer Welt, in der immer mehr Menschen vor Armut, Krieg und den Folgen des Klimawandels flüchten, bedarf es einer transatlantischen Allianz der Vernunft, die dafür sorgt, dass globale Institutionen wie Welthandelsorganisation, Weltgesundheitsorganisation, Nato und nicht zuletzt die UN wieder in die Lage versetzt werden, ihre Aufgaben auch tatsächlich zu erfüllen. Auch eine gemeinsame Russland- und China-Politik ist notwendig. Viel Arbeit für eine Partnerschaft, in der es vier Jahre lang keine konstruktive Zusammenarbeit gab.

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Deutsche Außenpolitik muss Prioritäten setzen

Deutschland wird künftig mehr tun müssen, als nur über die eigene neue Verantwortung in der Welt zu reden. Es braucht eine Außenpolitik, die ihre Prioritäten kennt und nicht nur als Moderator der Interessen anderer auftritt. Das Zwei-Prozent-Ziel, also 2 Prozent des Bruttoinlandprodukts in den Wehretat zu stecken, ist schließlich kein Selbstzweck, sondern es muss politischer Notwendigkeit folgen. Überteuerte Rüstungsprojekte gibt es bereits genug.

Der bevorstehende Abgang Trumps von der internationalen Bühne wird Deutschland und Europa auch im Umgang mit den eigenen Rechtspopulisten hilfreich sein. Es schwächt Orbán und Johnson, die Vertreter der PIS-Partei in Polen und die AfD in Deutschland, dass einer wie Trump an der Realität gescheitert ist. Insbesondere der britische Premier Johnson steht mit dem Rücken zur Wand, weil er nun nicht mehr auf Trump zählen kann, wenn er es auf einen ungeordneten Brexit ankommen lässt. Den Scherbenhaufen, den Trump und Johnson in Sachen Handelspolitik hinterlassen, sollte für Europa Anlass sein, für ein Freihandelsabkommen mit den USA einen neuen Anlauf zu nehmen.

Die Bereitschaft Bidens, dem Klimaabkommen wieder beizutreten und auch die Weltgesundheitsorganisation weiter mitzufinanzieren, ist für die Welt eine positive Botschaft. Deutschland und Europa dürfen aber nicht vergessen, dass mit diesen Ankündigungen nur ein Rückschritt umgekehrt wird. Fortschritt ist das noch nicht. Die Probleme bleiben. Und Amerika wird auch mit einem Präsidenten Joe Biden über Jahre nicht in der Lage sein, bei diesen globalen Themen die treibende Kraft zu sein. Das wird Europa leisten müssen.

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