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Olaf Scholz im Interview„Politik ist doch keine Vorabendserie“

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Scholz GI neu

Bundesfinanzminister Olaf Scholz

Berlin – Olaf Scholz kommt gerade aus der Vorstandssitzung der SPD, bei der der Weg zu einer neuen Parteiführung festgelegt wurde. Der Bundesfinanzminister wirkt entspannt, er lässt sich eine Cola light bringen. Sein Büro im Bundesfinanzministerium in der Berliner Wilhelmstraße ist zweckmäßig und schlicht möbliert, es ist penibel aufgeräumt und wirkt damit eher kahl. Nur auf dem Schreibtisch des Ministers stapeln sich Akten, ansonsten liegt nichts herum. Obwohl es heiß ist, legt der Vizekanzler Sakko und Schlips auch beim Interview nicht ab.

Herr Minister, die SPD will mit einer Doppelspitze in die Zukunft ziehen. Überdeckt das nicht nur die inhaltlichen Schwächen Ihrer Partei?

Olaf Scholz: Nein. Mit der Entscheidung für eine Doppelspitze ziehen wir eine klare Konsequenz aus den schlechten Wahlergebnissen. Künftig können wir noch präsenter sein, mehr Bürgerinnen und Bürger erreichen und daraus auch neue Kraft schöpfen.

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Bedeutet die Doppelspitze „doppelt hält besser“ oder teilt man sich fortan nur das Leid?

Wenn Sie mir nur diese beiden Alternativen lassen, dann würde ich mich für das Erste entscheiden. Tatsächlich geht es aber darum, dass sich die neue Führung intensiv um die weitere Entwicklung der Partei kümmern muss. Das erfordert den ganzen Mann und die ganze Frau. Die drei, die das jetzt vorübergehend übernommen haben, zeigen, wie sinnvoll es ist, diese Aufgabe auf mehrere Schultern zu verteilen.

Sie selbst haben gesagt, Ihr Amt als Finanzminister lasse es zeitlich nicht zu, den SPD-Vorsitz zu übernehmen. Ändert sich durch die Doppelspitze etwas an dieser Einschätzung?

Ich bleibe bei meiner Haltung. Auch für zwei Vorsitzende ist es eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, die SPD wieder nach vorn zu bringen. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass in dem nun eingeschlagenen Weg eine großartige Chance für die SPD liegt.

Die Ausgangslage sind allerdings nur zwölf Prozent in Umfragen.

Das ist ein Fakt, da hilft kein jammern. Ergebnisse wie das der Europawahl sind schlimm, aber sie lassen sich auch korrigieren. Das zeigt ein Blick in die Nachbarländer. Mit Wahlergebnissen von knapp über 20 Prozent kann man in den heutigen Verhältnissen manchmal sogar den Regierungschef stellen. Das zeigt sich in Finnland oder Dänemark, wo die Sozialdemokratie ähnliche Schwächeperioden hatte.

Es ist gar nicht so lange her, da hatten sie die Devise 30 plus x für die SPD ausgegeben. Ist das eine Träumerei, die von der Realität eingeholt wurde?

Unsere Zustimmungsraten werden sich auch wieder verbessern, das glaube ich ganz fest. Aber noch einmal: Auch CDU/CSU müssen sich gerade mit Ergebnissen abfinden, die nur im 20er-Prozent-Bereich liegen. Nichts ist aber in Stein gemeißelt. Ich halte es für möglich, dass die SPD in diesen sich so rasant wandelnden Zeiten nach der nächsten Wahl wieder vorn liegt.

Sie haben im Januar deutlich gemacht, dass Sie sich grundsätzlich eine Kanzlerkandidatur zutrauen. Gilt das unabhängig von der neuen Parteispitze?

Ach, ich habe mich deshalb zu Jahresbeginn dazu geäußert, um auf alle folgenden Journalistenfragen sagen zu könne, ich habe dazu am Anfang des Jahres alles gesagt.

Und das heißt nun konkret auf unsere Frage?

Es ist dazu gesagt, was zu sagen ist. Ich finde im Übrigen, wir müssen weg von dem Entertainment-Teil der Politik.

Was meinen Sie damit?

Ich finde solche Fragen ermüdend. Politik ist doch keine Vorabendserie, sondern es geht um etwas Ernstes, es geht, wenn ich es pathetisch sagen darf, um die Zukunft unseres Landes. Wenn sich Interviews aber nur noch um Personalfragen drehen, werden sie der Sache nicht gerecht.

In weiten Teilen der SPD gibt es die Erwartung, dass die Partei die große Koalition verlässt. Entspricht das Ihrem Anspruch an Ernsthaftigkeit?

Im Koalitionsvertrag mit der Union haben wir klugerweise miteinander vereinbart, zur Halbzeit eine Bestandsaufnahme zu machen, wie es um die Umsetzung des Vertrages bestellt ist. Im Herbst werden wir bewerten, wo wir stehen, was umgesetzt ist und was wir für die Zukunft vorhaben. All das tun wir mit großer Ernsthaftigkeit. Ich kann nur jedem empfehlen, das auch entsprechend ernst zu nehmen. Unabhängig davon ist für mich eines klar: Nach der nächsten Wahl wird es keine weitere große Koalition geben.

Sie haben Dänemark erwähnt. Kann die SPD etwas von der dänischen Sozialdemokratie lernen?

Mancher mag das glauben. Aber ich kann mit Sprüchen, die SPD müsse sozialpolitisch mehr links und innenpolitisch mehr rechts sein, gar nichts anfangen. Abschottung und Ausgrenzung kann nicht unsere Politik sein, wir schüren keine Ressentiments. Ich setze auf Pragmatismus. Das bedeutet natürlich, die Polizei besser auszustatten oder den Zoll zu verstärken, um die Schwarzarbeit zu bekämpfen. Es bedeutet aber auch einen vernünftigen und humanitären Umgang mit Flucht und Migration. Und es bedeutet, dass wir auf gezielte Einwanderung setzen, um den Bedarf an Fachkräften zu decken.

In ganz Europa gewinnt die Umweltpolitik an Gewicht. Welche Bedeutung hat das Klimaschutzgesetz bei der Bewertung der Frage, ob die SPD in der Regierung bleibt?

Die Klimafrage ist von zentraler Bedeutung für diese Entscheidung. Gelingt es der Koalition, die richtige Antwort zu geben auf diese Herausforderung? Eine CO2-Bepreisung wäre ein marktwirtschaftliches Element einer solchen Antwort. Zugleich müssen wir aber dafür sorgen, dass diejenigen mit normalen oder geringen Einkommen, die oft keine Chance haben auszuweichen, wirtschaftlich nicht darunter nicht leiden. Die Zeit der großen Reden ist vorbei, jetzt geht es um konkrete Taten.

CSU-Chef Markus Söder hat gefordert, den Kohleausstieg auf 2030 vorzuziehen. Wäre das eine konkrete Tat in Ihrem Sinn?

Ich verstehe diesen Vorschlag nicht. Im Frühjahr haben wir einen ganz breiten gesellschaftlichen Kompromiss erzielt, da haben Umweltverbände, Gewerkschaften, Wirtschaft und Politik gemeinsam einen Ausstiegspfad bis spätestens 2038 vereinbart. Dieses Datum ist realistisch, es gibt allen Beteiligten Planungssicherheit. Der Wert dieser Einigung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Können wir es uns weiter leisten, Klimaschutzmaßnahmen wie etwa die Wärmedämmung von Gebäuden oder die Heizungsmodernisierung nur auf freiwilliger Basis durchzuführen?

Allein mit steuerlichen Anreizen oder anderen Subventionen wird es nicht gehen. Eine Reihe von bereits existierenden Förderprogrammen wird kaum genutzt, weil sich die Politik bisher nicht getraut hat, klare Regeln festzulegen. Das muss sich ändern. Wir brauchen konkrete Vorschriften für die Senkung der CO2-Emission, um Klarheit zu schaffen, verbunden mit einer finanziellen Förderung.

Der Präsident des Bundesrechnungshofes warnt davor, den Solidarzuschlag nur teilweise abzubauen. Er sieht ein Verfassungsrisiko und warnt vor Milliarden-Rückzahlungen, sollten Klagen Erfolg haben. Sind Sie leichtsinnig?

Nein, diese Sorge teilen wir nicht. Es gibt noch eine ganze Reihe von Aufgaben, die wir im Zusammenhang mit der deutschen Einheit zu finanzieren haben und die rechtfertigen, den Soli für die Top-Zehn-Prozent weiterhin zu erheben. Für die allermeisten Bürgerinnen und Bürger, für 90 Prozent, fällt er dauerhaft weg.

Bei der Grundsteuer brauchen Sie nach der Einigung in der Koalition eine Verfassungsänderung. Dafür brauchen Sie die Opposition. Wann suchen Sie das Gespräch?

Bei unseren Verhandlungen mit den Ländern saßen FDP, Grüne und die Partei Die Linke mit am Tisch, weil sie ja in unterschiedlichen Landesregierungen vertreten sind. Jeder teilt die Einschätzung, dass wir die Grundsteuer brauchen, um sicherzustellen, dass Städte und Gemeinden ordentlich finanziert sind, um Kindergärten, Spielplätze und Straßen zu bauen, Büchereien und Bürgerämter zu unterhalten. Deshalb bin ich sehr zuversichtlich, dass die Reform wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert Ende des Jahres im Gesetzblatt steht.

Zum Fall Lübcke: Finden Sie auch, dass Politiker wie Erika Steinbach mitverantwortlich sind für den Tod von Walter Lübcke?

Der Mord ist furchtbar und eine Zäsur für unser Land. Ich finde es befremdlich, dass vergleichsweise wenig über diese Tat gesprochen wird. Es ist merkwürdig still in Deutschland, ähnlich wie seinerzeit als der Terror des NSU aufgedeckt worden ist. Morde durch Rechtsterrorismus stellen eine neue Qualität dar. Ich wünsche mir, dass wir hier als Demokraten alle zusammenhalten. Kein Demokrat sollte so reden, dass Gewalt in seinen Worten mitschwingt.

Das Gespräch führten Gordon Repinski und Timot Szent-Ivanyi.

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