Optionen der MachtDer Weg zu einer neuen Regierung könnte schwierig werden

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Berlin – Sondierungsgespräche und Koalitionsverhandlungen nach einer Bundestagswahl muss man sich wie eine riesige Maschine vorstellen, die sich nach vier Jahren Ruhe ruckelnd und ächzend in Gang setzt. Diese Maschine hat eine unübersichtliche Zahl an Zahnrädern, Querverstrebungen und Schalthebeln. Sie verfügt über verschiedene Antriebe und ist äußerst störanfällig. Sie produziert erst viele Gefühle: Hoffnung, Enttäuschung, Ärger, Überraschung, Schadenfreude, Triumph. Dann produziert sie viel Papier: Geheim- und Strategiepapiere, Non-Papers, Personaltableaus, die einzelnen Kapitel eines Koalitionsvertrags – bis sie am Ende eine neue Regierung ausspuckt.

Wer an den Schalthebeln dieser Maschine sitzt, hängt – und das ist eine Banalität – vom Ausgang der Bundestagswahl ab. Den aktuellen Umfragen zufolge gibt es sechs verschiedene Koalitionsoptionen. So weit die Theorie. Wie was wie funktionieren könnte:

Die Ampel

Sollte die SPD tatsächlich die meisten Bundestagsmandate erobern, fällt ihr der Regierungsauftrag zu. Die Erzählung am Wahlabend dürfte, unabhängig vom genauen Ergebnis, ungefähr so lauten: Die Union sei der große Wahlverlierer, die Bürgerinnen und Bürger wollten Olaf Scholz als Kanzler – und deshalb sei er am Zug, nun die Regierung zu bilden. Die SPD-Parteispitze aus Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans wird freilich mit am Tisch sitzen, da Koalitionen ja zwischen Parteien geschlossen werden. Umfragen zufolge wäre es die populärste Lösung, wenn Scholz bei dem zu erwartenden Wahlergebnis eine Ampelkoalition zustande bekäme – also ein Bündnis mit Grünen und FDP.

Alles zum Thema Christian Lindner

Für Linke in der SPD wie Parteichefin Saskia Esken ist die Ampel inhaltlich alles andere als ein Traum. Doch nach einem Wahlsieg wird Scholz seinen Willen in der Partei durchsetzen können. Für ihn kann es zum Beispiel in der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik sogar ein Vorteil sein, zu den Linken in der eigenen Partei gehen zu können und zu sagen: „Das hätte ich gern anders gehabt – aber es ging mit der FDP nicht.“ Auch Esken ist übrigens schon auf Entspannungskurs mit FDP-Chef Christian Lindner. Sie verriet jüngst im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Redaktionsnetzwerk Deutschland), dass Lindner und sie sich seit einigen Wochen duzen.

Lindner dürfte also nach den Grünen, die der SPD programmatisch am nächsten stehen, Gesprächspartner Nummer eins für Scholz sein. Nun meinen viele, Lindner könne sich nach seiner Absage von 2017 einer Dreierkoalition nicht mehr verweigern. Das sieht die FDP-Klientel durchaus anders. Schließlich wählen sie ja die Liberalen, um Rot-Grün zu verhindern und nicht um dieser Konstellation zur Macht zu verhelfen.

So betonen die Liberalen, dass 80 Prozent ihrer Mitglieder und Wähler keine Koalition mit SPD und Grünen möchten. Tatsächlich stehen gewichtige Gründe dagegen. Die Sozialdemokraten wollen Steuererhöhungen, und die Grünen wollen überdies noch die Schuldenbremse reformieren und damit Investitionen durch Kredite ermöglichen. Beides schließt Lindner aus. Auch sagte er erst auf dem Parteitag am vorigen Sonntag, die FDP wolle einen Linksruck verhindern. Dahinter kann der starke Mann der Liberalen kaum zurück.

Jamaika

Die Orientierung der FDP ist glasklar: Sie strebt eine Jamaika-Koalition an – und zwar auch für den Fall, dass die Union hinter der SPD landet. Parteichef Christian Lindner hat seine Wortwahl aus dem Sommer deshalb längst korrigiert. Als CDU und CSU vorne lagen, sagte er, der Regierungsbildungsauftrag werde ganz sicher an deren Kanzlerkandidaten Armin Laschet gehen. Am Donnerstagabend sagte er in der „Schlussrunde“ von ARD und ZDF hingegen an die Adresse von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, selbst wenn er gewinne, hätten voraussichtlich mehr als 70 Prozent der Wahlberechtigten nicht SPD gewählt. Daraus lasse sich kein Regierungsauftrag ableiten. Jamaika ist auch die am stärksten favorisierte Variante innerhalb der Union. Sollte die Union Mehrheitsfraktion im Bundestag werden, dann ist eine solche Konstellation sehr wahrscheinlich. 2017 scheiterte sie an der FDP, weil deren Chef Christian Lindner am späten Abend des 19. November die Verhandlung verließ – mit dem zum geflügelten Wort gewordenen Ausspruch: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“

Jamaika ist aber nur die wahrscheinlichste Lösung, wenn die Union die Mehrheit im Bundestag erreichen sollte. Selbst wenn der Abstand zur SPD nur gering sein sollte, so hoffen viele in der CDU, könnte es noch auf ein Jamaika-Bündnis hinauslaufen. Die Union hat aber vor allem dieses Problem: Auch wenn sie als Zweitplatzierte eine Jamaika-Koalition bilden könnte, wird sie zunächst eine interne Zerreißprobe bestehen müssen. Die CSU behauptet jedenfalls, dass sie keinen Regierungsauftrag erkennen könne, wenn die Union hinter der SPD bleibt. Das Laschet-Lager sieht das anders.

Die größte Hürde für Jamaika unter einer zweitplatzierten Union wäre jedoch, die Grünen für ein solches Bündnis zu gewinnen. Der linke Flügel der Partei wird sich dagegen sträuben. Architekt einer solchen Konstellation könnte Parteichef Robert Habeck werden, der in Schleswig-Holstein in einem Jamaika-Bündnis regiert hat. Zudem könnten die Grünen sich teuer verkaufen. Dazu gibt es schon diese Spekulationen: Die Grünen bekommen die Möglichkeiten, die erste Frau als Bundespräsidentin und als Außenministerin zu stellen, dazu noch Tempolimit und ein um ein paar Jahre früheren Kohleausstieg.

Je nachdem, wie übel das Wahlergebnis für die Union ausfällt, wird es zu bitteren Machtkämpfen kommen. Hinter Armin Laschet werden sich mutmaßlich nur dann die Reihen schließen, wenn es noch Hoffnung gibt, dass er nach gescheiterten Sondierungen der SPD doch eine Jamaika-Koalition mit sich selbst als Kanzler schmieden kann.

Große Koalition in Varianten

Eine weitere Groko will eigentlich niemand, weder in der Union noch in der SPD. Hinzu kommt, dass der Wahlkampf zwischen Union und SPD mit harten Bandagen geführt wurde. Das heißt: Aus SPD-Sicht ist selbst eine große Koalition unter eigener Führung zunächst einmal unattraktiv – und käme erst dann wieder infrage, wenn andere Konstellationen in Verhandlungen gescheitert sind.

Gerade für diejenigen, die in der SPD schon beim letzten Mal gegen eine Neuauflage der großen Koalition gekämpft haben, stellte eine Neuauflage der Groko ein Glaubwürdigkeitsproblem dar. Partei-Vize Kevin Kühnert hat vor einem Jahr gesagt, eine erneute große Koalition gebe es „nur über meine Leiche“. Inzwischen hat er für diesen Fall seinen Rücktritt vom Parteiamt angekündigt. Andererseits gibt es gerade unter pragmatischen Gewerkschaftern in der SPD auch solche, die unter der Hand schon mal darauf verweisen, man habe in der Koalition mit der Union sozialpolitisch auch viel erreicht. Und dass es mit einer Ampel inklusive FDP nicht zwingend einfacher werde.

Auch die Union wird zuerst alle anderen Möglichkeiten ausloten und versuchen umzusetzen, bevor sie sich mit einer Neuauflage der Groko befasst. Das gilt übrigens auch für die Varianten von Union und Sozialdemokraten entweder mit der FDP (die sogenannte Deutschland-Koalition) oder mit den Grünen (Kenia-Bündnis). Für FDP und Grüne sind diese Varianten gleichermaßen unattraktiv. Eher würden sie jenem Bündnis aus Union und SPD eine Verlängerung gewähren, das sie in der Opposition bekämpft und als Stillstandskoalition gegeißelt haben. Die Reformfähigkeit eines solchen Bündnisses wäre zudem sehr fraglich.

Rot-Grün-Rot

Diese Konstellation ist von allen Möglichkeiten zur Regierungsbildung die unwahrscheinlichste. Dennoch hat sie im Wahlkampf eine große Rolle gespielt. Weil die SPD grundsätzlich Bündnisse mit den Linken nicht ausschließt, hat die Union wie schon einmal 1994 eine Rote-Socken-Kampagne gestartet, in der sie vor einem Linksrutsch und vor fatalen Folgen vor allem für die Wirtschaft unter einem solchen Bündnis warnte. Die Kampagne hat durchaus verfangen.

Jeder, der allerdings gehört hat, was Olaf Scholz zu den Bedingungen einer Koalition gesagt hat, weiß: Er will nicht mit der Linken regieren. Die Anforderungen an außen- und verteidigungspolitische Verlässlichkeit kann die Partei in seinen Augen nicht erfüllen. Dass er Rot-Grün-Rot trotzdem nicht explizit ausschließen wollte, hat mehrere Gründe: Erstens gibt es einen entsprechenden Parteitagsbeschluss. Zweitens: Er will denen an der SPD-Basis, die sich ein solches Bündnis wünschen, nicht vor den Kopf stoßen. Drittens könnte ein drohendes Linksbündnis am Ende die Argumentation liefern, wie FDP-Chef Christian Lindner den eigenen Wählern die Notwendigkeit einer Ampel-Koalition erklärt.

Was Rot-Grün-Rot angeht, gilt übrigens: Auch viele Linke in der SPD wissen, dass ein solches Bündnis gerade mit knapper Mehrheit kaum funktionieren kann. Diese Konstellation hat auch bei den Grünen nur wenige Anhängerinnen und Anhänger – obwohl die Grünen nun wirklich dringend in die Regierung gehen wollen.

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