Parteitag in BonnGrüne hadern mit Lützerath und fassen klaren Atom-Beschluss

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Baerbock Nouripour DPA 161022

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour.

Bonn – Nachdem in den ersten Stunden der grünen Bundesdelegiertenkonferenz das Lob der Beteiligten für sich selbst und der Konsens unter ihnen überwogen hatte, wurde es am Samstagnachmittag und Sonntag plötzlich munter – zunächst auf dem Feld der Außen-, dann auf dem der Klimapolitik.

Da wandte sich etwa Klemens Griesehop aus Berlin gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. „Es muss Schluss sein mit immer mehr schweren Waffen, die Diplomatie muss siegen“, sagte der Mann von der Basis, der immer wieder für die Parteispitze unbequeme Anträge einbringt. Der Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky widersprach. Man könne die Ukraine „nicht mit Sonnenblumen verteidigen“, erklärte er. „Wir müssen Waffen liefern.“

Grüne applaudieren bei Waffenlieferungen

Der Applaus zeigte deutlich, bei welcher Position die grünen Sympathien liegen – bei der von Lagodinsky. Mit überwältigender Mehrheit sprach sich der Parteitag denn auch für die Lieferung weiterer Waffen aus. Die Debatte bewies zugleich: Der Parteitag im alten Regierungsviertel in Bonn-Bad Godesberg hatte zwei Gesichter – mindestens.

Alles zum Thema Annalena Baerbock

Am Freitagabend hatten sich die Grünen jenem Thema zugewandt, das seit Gründung der Partei Anfang der 1980er-Jahre prägend wirkt: dem Atomausstieg. Während sie angesichts der durch den russischen Angriff auf die Ukraine ausgelösten Energiekrise zwei der drei verbliebenen Meiler – Isar 2 und Neckarwestheim 2 – in eine so genannte Einsatzreserve und damit in einen mutmaßlichen Streckbetrieb bis zum Frühjahr 2023 nehmen wollen, dringt die FDP darauf, auch das Atomkraftwerk Emsland zu verlängern, nicht allein bis 2023, sondern bis 2024. Oder länger.

Die Frage war, wie sich der Parteitag dazu stellen würde. Die Antwort fiel unmissverständlich aus. „Bündnis 90/Die Grünen werden im Bundestag keiner gesetzlichen Regelung zustimmen, mit der neue Brennelemente, noch dafür notwendiges neues angereichertes Uran beschafft werden sollen“, heißt es in dem mehrheitlich beschlossenen Antrag, der auch ein konkretes Datum nennt: den 15. April 2023.

Die Parteivorsitzende Ricarda Lang sagte: „Jetzt ist keine Zeit für parteitaktische Spielchen. Neue Brennstäbe und einen Wiedereinstieg in die Atomindustrie, das wird es mit uns nicht geben. Atomkraft ist nicht die Zukunft, die Zukunft ist erneuerbar.“

Annalena Baerbock und der doppelte Boden in Sachen Saudi-Arabien

Streitig ging es bei der Außenpolitik zu. Zwar wurde Außenministerin Annalena Baerbock umjubelt. Sie sagte: „Wir unterstützen die Ukraine, weil wir eine Friedens- und Menschenrechtspartei sind.“ Dabei bleibe es, auch wenn „jeder einzelne Tag dieses Krieges eine Katastrophe“ sei.

Rechtfertigen musste sich die Ministerin jedoch für die Entscheidung der Bundesregierung, Rüstungsgüter an Saudi-Arabien zu liefern. Es handele sich um einen „Altvertrag“ im Rahmen einer europäischen Rüstungskooperation, sagte sie. Das überzeugte nicht alle. Die dem linken Flügel angehörende Bundestagsabgeordnete Jamila Schäfer äußerte sich zum Beispiel kritisch.

Anders als beim Thema Atom fiel die Entscheidung des grünen Parteitages beim Thema Saudi-Arabien weniger eindeutig als doppelbödig aus. Er lehnte Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien ab. Er lehnte es aber genauso ab, das Votum der Bundesregierung rückgängig zu machen. Baerbock kann damit leben.

Grünen-Parteitag in Bonn: Debatte um Lützerath-Entscheidung

„Wie früher“, so ein Mitarbeiter der Bundesgeschäftsstelle, präsentierten sich die Grünen bei der Auseinandersetzung um die Klimapolitik – genauer: bei der Auseinandersetzung um die Siedlung Lützerath. Eine zwischen den grün geführten Wirtschaftsministerien im Bund und in Nordrhein-Westfalen sowie dem Energiekonzern RWE geschlossene Vereinbarung sieht vor, den Kohleausstieg im Rheinischen Revier um acht Jahre auf 2030 vorzuziehen. Zugleich sollen angesichts der Energiekrise zwei Braunkohlekraftwerke länger als bisher geplant laufen. Lützerath müsste dafür weichen.

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Die Grüne Jugend wollte das verhindern. Ihr Sprecher Timon Dzienus begründete dies nicht zuletzt mit „Sorgen, dass wir den Schulterschluss mit der Klimaschutzbewegung verlieren“. Er hatte die Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer von Fridays For Future auf seiner Seite. Neubauer beklagte, dass es in der Partei, der sie sie selbst angehört, nun „eine Art ökologischen Hyperrealismus“ gebe.

Sie stellte ferner fest, dass durch den vorgezogenen Kohleausstieg „keine einzige Tonne CO2 eingespart“ werde. Parteichefin Lang würdigte FFF, unterstrich aber ebenso die andere Rolle der Partei, die sich als Teil einer Koalition im Zweifel „für die nicht perfekte Lösung entscheiden“ müsse.

Am Ende scheiterte die Grüne Jugend mit 294 gegen 315 Stimmen. Nein, Lützerath bleibt nicht.

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