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Personalpoker in BrüsselAuf der Suche nach einem Plan B

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Junckers GI neu

Die Suche nach einem Nachfolger für Jean-Claude Juncker dauert an.

Brüssel – Er meint es im Scherz, doch beschreiben seine Worte sehr genau die Lage. „Ich habe mit großem Vergnügen zur Kenntnis genommen, dass es sehr schwer ist, mich zu ersetzen“, witzelt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Freitag. Die Staats- und Regierungschefs der EU sind sich nicht einig, wer ihm nachfolgen soll.

Das Europa-Parlament ist ebenfalls zerstritten. Zugleich blockieren sich EU-Staaten und Parlament gegenseitig. Erstes Opfer dieser doppelten Blockade könnte Manfred Weber sein. Die Aussichten des CSU-Politikers, Chef der mächtigen Kommission in Brüssel zu werden, gehen nach dem zweitägigen Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs gegen Null.

Chefs sind ratlos

Stundenlang debattieren die „Chefs", wie sie im Brüsseler Jargon genannt werden, in der Nacht zu Freitag über das Personal. Gesucht werden neue Präsidenten für EU-Kommission, Rat, Parlament und Europäische Zentralbank. Zudem muss ein neuer Hoher Beauftragter für die Außenpolitik gefunden werden.

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Weil für das Tableau nicht nur Parteizugehörigkeit, sondern auch Geschlecht, Herkunft und Alter eine Rolle spielen, sei die Personalsuche in der EU oft schwieriger als die Wahl des Papstes, scherzt der irische Ministerpräsident Leo Varadkar beim Gipfeltreffen.

Grundsätzlich stünden drei Bewerber bereit, die für ihre jeweiligen Parteienfamilien in die Europa-Wahl gezogen sind. Das sind Manfred Weber von den Konservativen, der Sozialdemokrat Frans Timmermans aus den Niederlanden und die Liberale Margrethe Vestager aus Dänemark. Doch nach einem Bericht von EU-Ratspräsident Donald Tusk, der in den vergangenen Tagen die Lage sondiert hat, wird der Chefrunde schnell klar: Für keinen der drei sogenannten Spitzenkandidaten gibt es eine Mehrheit – weder im Europäischen Rat noch im Parlament.

Macron hat sich vorerst durchgesetzt

Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt am Freitagmittag während einer Pressekonferenz in Brüssel: „Ich sehe im Augenblick nicht, dass sich an dieser Feststellung etwas ändern kann.“ Übersetzt heißt das: Merkels Favorit Weber, der wie sie der konservativen Europäischen Volkspartei angehört, ist im Prinzip aus dem Rennen. Das gilt aber auch für Timmermans und Vestager. Ein Plan B muss her, von dem bislang aber niemand weiß, wie er aussieht.

Damit hat sich vorerst Frankreichs Präsident Emmanuel Macron durchgesetzt. Er will den Aufstieg des CSU-Mannes verhindern. Er hält ihn für nicht erfahren genug, um die EU-Kommission zu leiten, und für zu wenig charismatisch, um auf der Weltbühne im Namen der EU erfolgreich aufzutreten. An Macrons Seite sind die liberalen Regierungschefs aus den Benelux-Ländern. Aber auch die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten von Spanien und Portugal finden keinen Gefallen an der Vorstellung, dass Weber der nächste Kommissionspräsident werden könnte.

Nächster Gipfel in zehn Tagen

Merkel versucht am Freitag, jeden Eindruck zu vermeiden, sie habe Weber bereits fallen gelassen. Sie unterstützt ihn aber auch nicht öffentlich. Es müssten jetzt Gespräche mit dem Parlament geführt werden, um bis zum nächsten Personal-Krisengipfel am 30. Juni eine Lösung zu finden, sagt die Kanzlerin: „Da stehen noch schwierige Diskussionen vor uns.“

Auch will Merkel dem Eindruck entgegentreten, ihr Verhältnis zu Macron sei wegen der unterschiedlichen Auffassungen über das Personal eingetrübt. „Wir respektieren uns, und ich kann ganz klar sagen: Ich möchte keine Entscheidung gegen Frankreich treffen. Und ich glaube, Frankreich möchte auch keine Entscheidung gegen Deutschland treffen. Insofern müssen wir uns zusammenraufen.“

Doch das hilft nur begrenzt weiter. Denn das Europa-Parlament ist ebenfalls zerstritten. Die Konservativen sind trotz Verlusten stärkste Kraft bei der Europawahl geworden und beanspruchen deswegen das wichtigste Amt im EU-Apparat. Doch die Sozialdemokraten und Liberalen wollen ihre eigenen Kandidaten im Spiel halten und weigern sich bislang hartnäckig, Weber zu unterstützen.

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Unklar bleibt am Freitag, wie es nun im Brüsseler Personalpoker weitergehen wird. Weber wurden nur noch Chancen auf den Top-Job eingeräumt, wenn er es in den nächsten Tagen wider Erwarten schaffen würde, eine Mehrheit im Parlament hinter sich zu bringen. „Dann käme Macron in Zugzwang und müsste erklären, warum er immer noch gegen Weber ist“, sagen Diplomaten.

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