Porträt Olaf ScholzKandidat zwischen „Scholzomat“ und neuer SPD-Hoffnung

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Scholz Finger

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz bei einer Wahlkampfveranstaltung Mitte August

Berlin – Olaf Scholz muss so gut wie nichts machen. Er steht vor einem riesigen Monitor, der vor einem Notarztwagen auf einem Tisch platziert ist. Mit einem Bein steht Scholz fest auf dem Boden, beim anderen hat er lässig lediglich die Fußspitzen aufgestellt.

Der SPD-Kanzlerkandidat ist zu Besuch im Zentrum für Zukunftstechnologien im Technologie- und Wissenschaftspark im brandenburgischen Wildau. Wenige Meter neben ihm beugen sich zwei Männer in gelben Westen über eine lebensgroße Puppe. Ein Unternehmen präsentiert einen Videoassistenten, mit dessen Hilfe ein Notarzt das Unfallopfer schon in Augenschein nehmen und mit Rettungssanitätern sprechen kann, während er noch nicht am Unfallort ist.

Lachen im Publikum – Gute Bilder

Scholz' Aufgabe ist es, auf Zuruf mit einem gelegentlichen Mausklick am Computer dafür zu sorgen, dass das Publikum mitverfolgen kann, wie ein Notarzt den Videoassistenten in der Praxis nutzen kann. Der Moderator nennt ihn „Herr Doktor Scholz“. Der SPD-Kanzlerkandidat unterbricht: „Falsche Titel sind in diesem Wahlkampf nicht gut.“ Lachen im Publikum. Gute Bilder.

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Plötzlich scheint alles so mühelos. Plötzlich liegt das Momentum in diesem Wahlkampf auf Seiten der SPD und ihres Kanzlerkandidaten Olaf Scholz. Die Sozialdemokraten sind in Umfragen an den Grünen vorbeigezogen, liegen in einer Umfrage gleichauf mit der Union.

Olaf Scholz könnte Kanzler werden: der vierte Sozialdemokrat in der Geschichte der Bundesrepublik in diesem Amt nach Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder. Wer diese Möglichkeit vor ein paar Monaten auch nur erwähnt hat, ist meist verspottet worden. Jetzt ist klar: Scholz kann verlieren, aber durchaus auch gewinnen. In der Union lacht keiner mehr.

Umfragewerte über Monate bei 15 Prozent

In der SPD fühlen sie sich gerade wie in dem Märchen “Der Froschkönig“. Mit Umfragewerten, die über viele Monate wie festgefroren bei 15 Prozent lagen, kam es vielen in der SPD so vor, als sähen die Menschen im Land in ihrer Partei einen hässlichen Frosch. Doch so, wie der Frosch im Märchen zum Prinzen wird, als er an die Wand geworfen wird, gilt auf einmal die SPD vielen als die Partei, die nach der Wahl die Bundesrepublik führen könnte.

Das hat viel mit der Schwäche der anderen zu tun. Annalena Baerbock, kometenhaft als Kanzlerkandidatin der Grünen gestartet, trauen viele Deutsche nach einer Serie von Fehlern die Kanzlerschaft nicht mehr zu. Auch Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet kommt bei den Menschen bislang unzureichend an. Scholz erscheint vielen Menschen derzeit als das solideste Angebot.

Der Bundesfinanzminister und Vize-Kanzler würde vermutlich sagen, so überraschend sei die Sache ja nun nicht. Jedenfalls hat er auch in aussichtslos wirkenden Situationen nicht den Rückzug angetreten. Als er im Kampf um den Parteivorsitz gegen Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans verlor, zog er sich nicht aus dem Kabinett und der Politik zurück. Er suchte die Zusammenarbeit mit den beiden und wurde schließlich, auch mangels Alternativen, Kanzlerkandidat.

Scholz und sein Team haben auch in Zeiten schlechtester SPD-Umfragewerte stets eisern an der Erzählung festgehalten, die Menschen im Land würden sich erst in den Wochen vor der Wahl intensiv damit auseinandersetzen, dass Angela Merkel abtritt. Dann werde Bewegung in die Sache kommen. Egal, ob in Berlin oder im Flieger nach Washington: Sie haben es immer und immer wieder so gesagt, selbst als in der SPD-Bundestagsfraktion einige jüngere Abgeordnete nahezu depressiv dem eigenen Karriereende nach der Wahl entgegensahen.

Wer ist Olaf Scholz?

Wer ist Olaf Scholz? Wer ist dieser Mann, der sich kürzlich für ein Foto-Interview mit dem Magazin der Süddeutschen Zeitung mit zu einer Merkel-Raute geformten Händen ablichten ließ? So als wollte er zeigen, dass er von allen Bewerbern der beliebten Dauerkanzlerin Angela Merkel am ähnlichsten ist. Als wollte er sagen: „Sie kennen mich.“

Scholz, geboren in Osnabrück, ist als ältestes von drei Kindern in Hamburg aufgewachsen. Der heute 63-Jährige war Ende der Achtziger Vizepräsident der Internationalen Union der Sozialistischen Jugend. Er hat, bevor seine politische Karriere richtig Fahrt aufnahm als Fachanwalt für Arbeitsrecht gearbeitet, und so Zeit gehabt, jenseits der Öffentlichkeit von den Juso-Jugendträumen von der Überwindung des Kapitalismus Abschied zu nehmen. Wie einst Gerhard Schröder ist er heute der Meinung, dass die SPD vor allem industriepolitische Kompetenz ausstrahlen muss, um Wahlen gewinnen zu können.

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In Rüdersdorf bei Berlin trägt Scholz an diesem Wahlkampftag eine gelbe Weste über dem dunklen Anzug, hoher weißer Hemdkragen, keine Krawatte. Helm und Schutzbrille kann er beim Besuch des Zementwerks der Firma Cemex beiseite legen, solange es noch nicht mitten über das Werksgelände geht.

Zunächst erklären Unternehmensvertreter in einem Pavillon den Weg hin zu einer klimaneutralen Zementproduktion, die es in dem Werk bis 2030 geben soll. Die technischen Details sind kompliziert, der anwesende SPD-Landrat ruft rein, das könne man überspringen, das verstehe doch ohnehin keiner mehr. Scholz wird später im Gespräch mit Journalisten feixen, wie viele von ihnen irgendwann aufgegeben hätten, Notizen zu machen.

Was sind Stärken und Schwächen des Kandidaten? 

Scholz sei klüger als viele andere, sagen sie in die SPD. Er halte sich aber auch selbst dafür, fügen einige hinzu. Darin liegt immer die Gefahr, als überheblich wahrgenommen zu werden.

In Interviews gibt es Fragen, die sich mit einem einfachen “Ja“ oder “Nein“ beantworten lassen, bei denen aber trotzdem impliziert ist, dass der Fragesteller noch ein paar Sätze mehr erwartet. Scholz antwortet auf solche Fragen dennoch schon mal mit einem einzigen Wort. Scholz kichert dann – um schließlich, mit großzügiger Geste, doch einige Sätze hinterherzuschieben. Entgegen anders lautenden Gerüchten sei der Hanseat Scholz keinesfalls humorlos, versichern viele in der SPD, die ihn aus der Zusammenarbeit kennen. Sein Humor sei eben besonders, speziell.

Im Wahlkampf verbindet der Kandidat Scholz Selbstlob mit einer Bescheidenheitsgeste. Er spricht gern darüber, wie froh er sei, sich durch viele Ämter auf das eines Kanzlers vorbereitet haben zu können: vom Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion über das Amt des Bundesarbeitsministers und des Hamburger Bürgermeisters bis hin zu dem des Finanzministers und Vizekanzlers. Es erfülle ihn mit Demut, dass so viele Bürger ihm das Kanzleramt zutrauten.

Finanzskandale lasten an Scholz' Bilanz

Wie in jeder langen Karriere, gibt es auch bei Scholz viel Umstrittenes. Die Finanzskandale um Wirecard und CumEx, in denen politische Gegner dem Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidaten eine Mitverantwortung ankreiden, sind zu komplex, als dass sie wahlkampftauglich wären. Scholz selbst bezeichnet die G20-Krawalle in Hamburg im Jahr 2017 als seine größte Niederlage. Als Bürgermeister der Hansestadt habe er die Bürger nicht so beschützen können, wie er sich das vorgestellt habe.

In der Union sehen die größte Schwäche des Kandidaten Scholz in der SPD. Wer Scholz wähle, werde mit Saskia Esken und Kevin Kühnert aufwachen, lautet die Warnung. Scholz täusche nur darüber hinweg, wie weit die Sozialdemokraten nach links gerückt seien. Die SPD wiederum hat sich in diesem Wahlkampf so störungsfrei hinter dem Kandidaten versammelt wie seit Ewigkeiten nicht mehr: erst aus Angst vor noch schlechteren Umfragewerten, falls Streit ausbricht, mittlerweile mit Hoffnung auf das Gewinnen.

Charme einer Büroklammer

In der SPD wird seit jeher beklagt, der spröde Scholz versprühe oft den Charme einer Büroklammer. Die Deutschen mögen Büroklammern – in der SPD geht es vielen nicht so. Einen anderen Olaf Scholz erlebt man, wenn er über seine Frau spricht. Das gilt im persönlichen Gespräch am Abend bei einem Glas Rotwein, aber auch in einem Talk-Format wie “Brigitte live“. “Ich glaube, dass ich ein ganz anderer Mensch wäre, wenn ich nicht mit Britta Ernst verheiratet wäre“, sagte er dort.

Scholz wurde wegen seiner ansonsten oft technokratischen Sprache in der Vergangenheit als “Scholzomat“ verspottet. In TV-Interviews wählt er seine Worte so, dass er nichts Falsches sagt, dabei aber oft abstrakt klingt. Im Grunde ist er der bessere Kandidat, wenn er Interviews auf Englisch gibt – vielleicht weil er dort, trotz seiner sehr guten Sprachkenntnisse, weniger Worte zur Verfügung hat, mit denen er ins Ungefähre ausweichen kann.

Im Interview mit dem Informationsdienst Bloomberg Anfang Juli in Washington erläutert Scholz nicht nur höchst verständlich seinen Plan für eine globale Mindeststeuer und die deutsche Haltung zu Nord Stream 2. Angesprochen auf seine Kanzlerchancen sagt Scholz, er gehe davon aus, dass die Menschen darüber nachdenken würden, wer das Land führen solle, wenn sie aus dem Urlaub kämen. Er sei zuversichtlich. “Es geht um Respekt und die industrielle Zukunft unseres Landes.

Im Hintergrund ist das Weiße Haus zu sehen. Den angestrebten Termin bei Vize-Präsidentin Kamala Harris hat Scholz nicht bekommen. Fürs nächste Mal hofft Scholz auf einen Termin mit US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus. Als Kanzler.“

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