Rasierklingen direkt zum KonsumentenKann sich das Start-up Harry‘s durchsetzen?

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Rasierklinge Symbol IMAGO

Rasierklingen soll es jetzt im Abo geben.

New York/Eisfeld – die beiden Standorte von Harry’s sagen viel über das amerikanisch-deutsche Start-up. Tradition und ein Megatrend kommen da zusammen. Das Unternehmen stellt im thüringischen Eisfeld Rasierklingen her und verkauft sie im Internet. Nach langem Anlauf nun auch hierzulande.

Direct to Consumer (DtC): Das wird sich für viele Marktforscher und Handelsexperten noch deutlich verstärken. Und als Pionier und Musterbeispiel für den Direktverkauf über das Internet wird allenthalben Harry’s genannt. Auch weil das 2013 in New York gegründete Unternehmen sich in ein äußerst schwieriges Geschäftsfeld gewagt und dort durchgesetzt hat: das Nassrasieren.

Gillette und Wilkinson sind starke Konkurrenz

Hier dominieren mit einem globalen Marktanteil von zusammen mehr als 70 Prozent die beiden Marken Gillette und Wilkinson. Letztere gehört zum US-Konzern Edgewell, der Harry’s 2019 für 1,4 Milliarden Dollar übernehmen wollte. Kartellwächter sagten aber Nein, weil sie schrumpfenden Wettbewerb befürchteten. Gillette gilt indes als die profitabelste Sparte des Konsumgüteriesen Procter & Gamble (ebenfalls aus den USA).

In Deutschland kommen Discountanbieter dazu, und zwar auch die Eigenmarken von großen Drogeriemarktketten wie Rossmann oder DM. Diese Konkurrenz soll auch ein wesentlicher Grund dafür gewesen sein, dass Harry’s um Deutschland beim Verkaufen von Rasierern, Klingen und Pflegeprodukten lange einen großen Bogen gemacht hat.

„New Yorker Design und deutsche Ingenieurskunst“

Dafür haben die beiden Gründer, Andy Katz-Mayfield und Jeff Raider, aber bei der Herstellung der Kernkomponenten – der extrem scharfen Klingen – von Anfang an auf langjährige hiesige Erfahrungen in der Metallverarbeitung gesetzt. Das Start-up erwarb 2014 für 100 Millionen Dollar die Firma Feintechnik in Eisfeld. 1920 gegründet, einst ein volkseigener Betrieb. Heute arbeiten dort mehr als 600 Frauen und Männer.

Für das Management in New York handelt es sich um eine der „weltweit führenden Klingenfabriken”, die für derzeit gut 20 Millionen Kunden produziert. Deutschland-Geschäftsführer Michael Hirthammer spricht von einer „perfekten Verbindung von New Yorker Design und deutscher Ingenieurskunst”. Bislang war das Unternehmen in Nordamerika und Großbritannien aktiv. Nun kommen neben Deutschland noch Frankreich, Belgien und die Niederlande hinzu.

Günstiges Abomodell soll Kunden locken

Harry’s beruht auf einem Abomodell. Der Kunde gibt auf der Website an, wie oft er sich rasiert. Dementsprechend bekommt er regelmäßig Klingennachschub zugeschickt. Das Abo lässt sich leicht kündigen. Mittels Probesets für 6 Euro (Rasierergriff, Klingenkopf, Rasiergel und ein Klingencover) sollen neue Kunden angelockt werden.

Harry’s will mit günstigen Preisen punkten. Das kleinste Abo mit acht Klingen kostet 15 Euro pro Lieferung. Die teuersten Konkurrenzprodukte von Gillette und Wilkinson kosten im Drogeriemarkt mehr als das Doppelte.

Dank der Fabrik in Eisfeld könne man „den jahrzehntelangen Kreislauf bekannter, überdesignter und teurer Marken durchbrechen und es auf unsere Harry’s-Art machen”, heißt es auf der Website. Gleichwohl liegt das Preisniveau über den Billigofferten der Drogeriemärkte und der Discounter.

Erfolgsrezept: Personalisierung

Zu Harry’s Art gehört aber auch, ganze Pakete mit Rasiergel und Gesichtspflegeprodukten zu offerieren, die den Bedürfnissen der männlichen Klientel möglichst genau entsprechen sollen. Wer bestellt, wird denn auch sofort aufgefordert, einen Fragenkatalog zu beantworten. Es geht um Vorlieben beim Rasieren, die bislang genutzten Produkte und den Stellenwert von Körperpflege. Und schon ist ein Kundenprofil erstellt. Daten, die der Verkäufer selbst erhebt und analysiert, gelten denn auch als Grundlage für den Erfolg der DtC-Konzepte.

Das geht so weit, dass zum Beispiel der Internethändler Tails Hundefutter anbietet, das speziell für das jeweilige Tier zusammengemischt wird – das britische Start-up ist damit so erfolgreich, dass der Lebensmittelgigant Nestlé es 2018 übernahm und seither das Geschäftsmodell weiterentwickelt. Personalisierung spielt auch bei Glossier eine wichtige Rolle. Die US-Kosmetikmarke ist aus einem Internetblog entstanden. Unter anderem bietet das DtC-Unternehmen Make-up an, das an den Teint der Kundin individuell angepasst wird.

Volle Kontrolle und höhere Gewinne durch direkten Verkauf

Der direkte Draht zum Kunden und seine gezielte Ansprache via Internet machen nicht nur Werbung in TV und Print zumindest zum Teil überflüssig. Der größte Vorteil der modernen Direktverkäufer: Sie brauchen keine Zwischenhändler. Das sichert die volle Kontrolle nicht nur über die Präsentation der Produkte, sondern auch über die Preise.

Und die Hersteller laufen nicht Gefahr, gegen billige Eigenmarken von Händlern angehen zu müssen, die häufig im Regal direkt neben den eigenen Produkten platziert werden. Und natürlich steigen durch den direkten Verkauf die finanziellen Spielräume und damit auch die Gewinnspannen.

Das hat sich längst in vielen Branchen herumgesprochen. Tesla war unter den Autobauern der DtC-Pionier. Künftig will auch Volvo das mit seinen E-Autos so handhaben. Eine Untersuchung der Unternehmensberatung Accenture hat ergeben, dass besonders im für deutsche Autobauer wichtigen China der Direktverkauf von Pkw massiv an Bedeutung gewinnt.

Produkte auch im Einzelhandel

Die herkömmliche Art des Autohandels werde bald veraltet sein, heißt es. Auch in der Tourismusbranche macht sich DtC breit. Veranstalter haben Plattformen gebaut, die Reisebüros vielfach überflüssig machen. Provisionszahlungen fallen damit weg.

Zurück zu Harry’s: Ganz so unangefochten ist dessen Geschäftsmodell nicht mehr. Der Rivale von Procter & Gamble betreibt hierzulande bereits den Gillette Club, der ebenfalls Rasierklingen im Abo anbietet. Zugleich will aber Harry’s in spätestens anderthalb Jahren auch im konventionellen Einzelhandel seine Produkte offerieren. Mit der Mischung aus online und offline haben die Amerikaner zu Hause einen Marktanteil von immerhin 13 Prozent erreicht.

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