Rollenmuster und FamilienCorona-Krise belastet Frauen offenbar mehr als Männer

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Homeoffice Frau

Eine Frau betreut zuhause ihre Kinder.

Ob an der Supermarktkasse oder im Krankenhaus – jetzt, in der Corona-Krise, fällt auf, dass viele Frauen in den sogenannten systemrelevanten Berufen arbeiten. Im Interview erklärt die Berliner Soziologin Lena Hipp vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), wie das zustande gekommen ist. Und warum die aktuelle Krise die Ungleichheit der Geschlechter verschärfen könnte.

Denn erste Forschungsergebnisse zeigen: Die Krise belastet Frauen offenbar mehr als Männer.

Frau Prof. Hipp, ich erreiche Sie im Homeoffice, ihre Kinder sind auch zu Hause. Ist es für sie eine ungewohnte Situation „gleichzeitig“ zu erziehen und zu arbeiten?

Im Wissenschaftsbereich ist es nicht so unüblich, auch in den eigenen vier Wänden zu arbeiten. Die größte Umstellung jetzt ist für mich, dass auch die Kinder da sind. Und nach einigen Tagen Erfahrung damit kann ich nur sagen, dass es fast unmöglich ist, neben der Arbeit auch Kinder zu betreuen.

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In meinem Umfeld und in sozialen Medien gibt es viele Paare, bei denen nun eher die Frau sich um die Kinder kümmert, während der Mann Home-Office macht. Droht vielen Frauen nun eine Doppelbelastung?

Es kann gut sein, dass Frauen nun eine viel höhere Belastung als Männer haben. Sie arbeiten im Homeoffice und sind dort gleichzeitig noch für das Homeschooling verantwortlich. Das lässt wenig bis kaum Zeit, tatsächlich zu arbeiten. Oder sie arbeiten in systemrelevanten Berufen, schieben dort Überstunden und stehen abends vor leeren Supermarktregalen. Vielleicht nehmen sie außerdem mangels Betreuungsmöglichkeiten Minusstunden in Kauf, die sie nacharbeiten müssen. Die Ungleichheiten, die es schon zu Normalzeiten gibt, könnten sich nun massiv verschärfen. Erste Ergebnisse, die durch unsere, immer noch laufende Onlinebefragung www.corona-alltag.de gewinnen können, weisen in diese Richtung.

Frauen wegen Corona-Krise unzufriedener als Männner

Sie haben diese ersten Ergebnisse jüngst vorgestellt - wie kann man die Situation zusammenfassen?

Unsere Auswertungen der Daten für die ersten zwei Wochen zeigen, dass die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie bestimmten Personengruppen mehr zu schaffen machen als anderen. Selbständige – defacto sind das häufiger Männer – trifft es härter als abhängig Beschäftigte. Sie sind mit höherer Wahrscheinlichkeit nicht beschäftigt oder arbeiten weniger, machen sich größere Sorgen und sind mit der Situation unzufriedener. Ähnliches beobachten wir bei Personen, die einen oder keinen Ausbildungsabschluss haben im Vergleich zu Hochschulabsolventen. Auch Eltern haben es verglichen mit Kinderlosen schwerer. Sie reduzieren ihre Arbeitszeit derzeit mit höherer Wahrscheinlichkeit als Nicht-Eltern nicht und sind unzufriedener mit ihren Jobs.

Und erlauben die Daten auch Aufschlüsse über die Situation von Frauen?

Die Erkrankungs- und Letalitätszahlen weltweit zeigen ja, dass Männer diejenigen sind, die stärker von Corona betroffen sind als Frauen. Bei den sozialen Auswirkungen sieht es anders aus. Wir haben bislang erst sehr wenige unserer Fragen ausgewertet. In punkto Geschlechterunterschiede ist aber schon jetzt zu sehen, dass die Zufriedenheit von Frauen mit ihrer Arbeit, aber auch mit ihrem Leben im Allgemeinen, bereits in den ersten Wochen nach den Schul- und Kitaschließungen stärker abgenommen hat, als bei Männern.

Eine andere Frage: Es gibt etwa 1,5 Millionen alleinerziehende Frauen in Deutschland. Was glauben Sie, wie die Krise diese trifft?

Bislang sehen wir keine großen Unterschiede zwischen Eltern in Paarbeziehungen und Alleinerziehenden. Dennoch würde ich die Prognose wagen, dass insbesondere Alleinerziehende und deren Kinder mittel- und langfristig härter von den Auswirkungen der Corona Pandemie betroffen sind als Paare mit Kindern. Schulen und Betreuungseinrichtungen sind geschlossen. Wer kümmert sich Kinder, wenn nicht der andere Elternteil übernehmen kann? Und, wie kann man seiner Arbeit nachgehen, ganz gleich ob daheim oder am Arbeitsplatz, wenn die Kinderbetreuung nicht gesichert ist. Das gleiche Problem haben natürlich auch alleinerziehende Väter. Aber hiervon gibt es deutlich weniger und meist haben alleinerziehende Väter auch schon ältere Kinder.

Sie untersuchen Ungleichheiten der Geschlechter wissenschaftlich. Was genau meinen Sie damit in Bezug auf das Familienleben?

Auch zu normalen Zeiten interessiere wir uns in meinem Team für Ungleichheiten, die aufgrund familiärer Verantwortlichkeiten zustande kommen. Wir schauen uns an, wer zuhause die Hausarbeit in welchem Umfang macht, wer bezahlter Arbeit in welchem Umfang nachgeht – und wieviel Männer und Frauen dabei verdienen. Wir befassen uns also mit einer Reihe von messbaren Ungleichheitsdimensionen. Und im Durchschnitt sehen wir, dass Frauen hinter Männern zurückstecken. Sie sind in deutlich geringerem Umfang erwerbstätig, seltener in höheren Positionen und häufiger in Jobs unter ihrem Qualifikationsniveau. Gleichzeitig verbringen sie deutlich mehr Zeit mit Hausarbeit und Kinderbetreuung.

Warum arbeiten so viele Frauen in systemrelevanten Berufen?

Zuletzt hatte man ein bisschen den Eindruck, dass sich solche Muster langsam wandeln – etwa, weil mehr Männer Interesse an Elternzeit haben. Könnte sich das nun beschleunigen, dadurch das viele Väter nun zu Hause sind?

Ich glaube, dass das davon abhängt, welche Erfahrung Väter nun machen: Ob sie das als gewinnbringend und schön empfinden. Oder nur als stressig, laut und chaotisch. Wenn Familien es schaffen, im Homeoffice auch eine gute gemeinsame Zeit zu haben, kann das Interesse wecken. Vielleicht sehen nun auch einige Väter, wie anstrengend die Kinderbetreuung sein kann – und wollen ihre Partnerinnen vielleicht künftig stärker entlasten. Unsere ersten Ergebnisse zeigen jedenfalls, dass Mütter und Väter im Homeoffice mit dem Familienleben derzeit zufriedener sind als vor der Pandemie. Hier müssen wir abwarten, wie sich das entwickelt.

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