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Terroranschlag in BerlinBKA im Amri-Ausschuss unter wachsendem Druck

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Breitscheidplatz Anschlag dpa

Eine Schneise der Verwüstung ist auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz im Dezember 2016 zu sehen, nachdem der Attentäter Anis Amri mit einem Lastwagen über den Platz gerast war.

Berlin – Im Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016 verdichten sich die Hinweise, dass dessen Verhinderung unter anderem am Bundeskriminalamt (BKA) gescheitert ist. Dies legt die Vernehmung des Oberstaatsanwalts beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe, Dieter Killmer, am Donnerstag im Amri-Untersuchungsausschuss ebenso nahe wie jetzt bekannt gewordene E-Mails.

Ein Ermittler des Landeskriminalamtes (LKA) Nordrhein-Westfalen hatte im Ausschuss Ende November erklärt, ein BKA-Beamter habe ihm am Rande einer Dienstbesprechung am 23. Februar 2016 in einem Vier-Augen-Gespräch gesagt, ein Vorgesetzter und das Bundesinnenministerium wollten, dass ein in der Islamistenszene aktiver V-Mann „aus dem Spiel genommen“ werde.

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Der V-Mann hatte offenbar intime Kenntnisse der Szene und lieferte dem LKA über Monate hinweg Informationen zu dem Wunsch des Tunesiers Anis Amri, einen Anschlag zu begehen, sowie zu Aktivitäten weiterer radikaler Islamisten aus der Gruppe um den Hassprediger Abu Walaa aus Hildesheim, der derzeit in Celle vor Gericht steht. Das BKA stellte den V-Mann gleichwohl als unglaubwürdig dar.

Aussage gegen Aussage

Das Bundesinnenministerium hat der Darstellung des nordrhein-westfälischen LKA-Ermittlers zwar im Anschluss an dessen Vernehmung widersprochen. Der jetzt ins Zwielicht geratene BKA-Beamte selbst führte in einer dienstlichen Erklärung aus, dieses „Vier-Augen-Gespräch fand nicht statt“. Und: „Ich habe keine Aussagen getätigt, die den Schluss zulassen könnten, dass das Ergebnis der Bewertung von einem vorgesetzten Beamten oder einer vorgesetzten Dienststelle festgelegt oder vorgegeben worden sei.“

Killmer stützte in der Ausschusssitzung am Donnerstag allerdings die Darstellung des LKA-Beamten aus Nordrhein-Westfalen. Er kenne diesen seit Jahren als engagiert, kenntnisreich und persönlich integer, sagte der Oberstaatsanwalt aus Karlsruhe – als Ausnahmeerscheinung, die nicht so schnell lockerlasse. „Ich persönlich habe keinen Zweifel daran, dass es dieses Vier-Augen-Gespräch gegeben hat.“ Schließlich habe der Ermittler nicht nur ihm, sondern auch mehreren anderen Kollegen darüber berichtet und sei wegen der Schwere des Vorgangs entsprechend erbost gewesen.

Killmer: V-Mann „grundsätzlich glaubhaft“

Außerdem hätte er damals – als noch nicht bekannt war, dass Amri den folgenreichsten islamistischen Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik begehen würde – wohl keinen Anlass gehabt, dieses vertrauliche Gespräch zu erfinden. Killmer äußerte ferner Respekt für den V-Mann, den er für „grundsätzlich glaubhaft“ gehalten und der sich durch seine V-Mann-Tätigkeit Gefahren ausgesetzt habe – „für uns alle“.

Der Oberstaatsanwalt betonte zwar grundsätzlich: „Gefährdungsbewertung ist ein sehr heikles Geschäft, bei dem man im Grunde genommen nur verlieren kann.“ Sowohl, wenn es zu einem Anschlag komme, als auch, wenn es nicht dazu komme. Er stimmte jedoch der Anmerkung des SPD-Obmanns im Ausschuss, Fritz Felgentreu, zu, der sagte, hätte das BKA seinerzeit auf den V-Mann gehört, dann wären die Chancen sehr viel größer gewesen, den Anschlag auf dem Breitscheidplatz zu verhindern. „Rückblickend betrachtet ist das so“, sagte Killmer. Die Einschätzung des V-Manns habe sich „voll bestätigt“.

Der Eindruck, dass das BKA damals wie auch heute etwas vertuschte, wird erhärtet durch E-Mails vom Tag nach der Dienstbesprechung am 23. Februar 2016. „Es ist wirklich insgesamt eine Frechheit und hochgradig unprofessionell, wie NRW hier agiert“, schrieb ein BKA-Beamter am 24. Februar an vier Kollegen. Denn diese hätten Amri als „Gefährder“ eingestuft – also als jemanden, dem ein Anschlag zuzutrauen ist – und drängten auf eine intensive Überwachung des Tunesiers.

Was tat Thomas de Maizière?

Mit anderen Worten: Das BKA unternahm augenscheinlich den massiven Versuch, die Glaubwürdigkeit des V-Mannes und die Gefährlichkeit Amris herunterzuspielen – und das ohne einen bisher ersichtlichen Grund. Unklar ist, ob der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in dem Zusammenhang eine Rolle spielte oder nicht – und wenn ja, welche. Der ins Zwielicht geratene BKA-Beamte jedenfalls sollte noch am Nachmittag im Untersuchungsausschuss gehört werden. Seine Aussage wurde mit Spannung erwartet.

Amri hatte am 19. Dezember 2016 einen Lastwagenfahrer erschossen und war mit dessen Fahrzeug über den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz gerast. Insgesamt tötete er zwölf Menschen. Nach seiner Flucht wurde er in Italien von der Polizei erschossen.

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