Trauer in LondonPolitiker fordern nach Mord an David Amess mehr Schutz für sich

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Der britische Premierminister Boris Johnson und Chef der Labour Party Keir Starmer bei der Trauerfeier für David Amess.

London – Als Keir Stamer und Boris Johnson die methodistische Kirche in dem Küstenort Leigh-on-Sea besuchen, legen sie vor dem Gebäude jeweils einen Blumenkranz nieder. Danach stehen sie, in schwarzen Anzügen gekleidet, noch eine Weile schweigend nebeneinander. Entlang dieser Szene lässt sich die aktuelle Stimmung im politischen Großbritannien gut beschreiben. Denn die Gräben zwischen den Tories und Labour, sie scheinen in diesen Tagen geschlossen – angesichts dieses „Angriffs auf die Demokratie“, wie es der frühere Premierminister Gordon Brown beschreibt.

Die Briten und insbesondere die Politiker des Landes stehen nach dem Mord an dem konservativen Parlamentsabgeordneten David Amess unter Schock. „Alle Herzen sind erfüllt von Trauer über das Verbrechen", sagte Premierminister Boris Johnson. Hunderte Menschen gedachten dem Politiker am Samstag bei einer Mahnwache. Der 69-jährige wurde am Freitag während einer Bürgersprechstunde in der englischen Grafschaft Essex erstochen.

Tatverdächtig ist der 25-jährige britische Staatsbürger Ali Harbi Ali (wird in UK mit vollem Namen genannt). Die Polizei nahm ihn noch am Tatort fest und verhört ihn nun in London. Der Mord wurde als terroristischer Akt eingestuft. Laut Medienberichten wurde im Zuge von polizeilichen Präventionsmaßnahmen bereits gegen ihn ermittelt. Gestern wurde sein vermeintlicher Wohnort, ein Haus im Norden der Hauptstadt, durchsucht und darüber hinaus sein Vater befragt. Dieser war einst als Berater des somalischen Premierministers tätig.

Dilemma zwischen Demokratie und Sicherheit

Derweil hat der tödliche Messerangriff im Vereinigten Königreich eine größere Debatte ausgelöst: über die Situation von Politikern im Spannungsverhältnis zwischen bürgernaher Politik und der Gefahr durch Attentäter. Am Wochenende tauschten sich viele Parlamentsabgeordnete beider Lager darüber aus, ob sie in Zukunft überhaupt noch Bürgersprechstunden abhalten können und wollen. Schon jetzt hätten viele auf Online-Formate umgestellt. Andere treffen sich Menschen in ihrem Wahlkreis, wenn möglich, nur noch zu Einzelgesprächen im Büro – ausgestattet mit einem Notruf-Knopf.

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Opfer eines Mordangriff: der britische konservative Abgeordnete David Amess.

Die Labour-Politikern Lisa Nandy fand am Wochenende zu dem Dilemma zwischen Demokratie und Sicherheit klare Worte: „Wenn man die Demokratie schützen will, muss man die Abgeordneten schützen.“ Konkret diskutiert wird dabei, ob neben Ministern in Zukunft auch britische Delegierte Polizeischutz erhalten sollen – insbesondere im Rahmen von Bürgersprechstunden. "Wir ziehen solche Maßnahmen in Erwägung“ und „werden absolut alles tun, um Sicherheitslücken zu schließen“, sagte die konservative Innenministerin Priti Patel.

Doch in der Debatte geht es nicht nur um Begegnungen von Angesicht zu Angesicht. Auch über die sozialen Medien verbreiteter Hass und Drohungen stehen mal wieder zur Diskussion. „Für einige Menschen ist es normal geworden, Politiker als Bastarde zu beschimpfen und sie unhöflich und aggressiv anzugehen“, sagte die konservative Politikerin und frühere Ministerin Shailesh Vara. Tatsächlich leben in Großbritannien viele Politiker mittlerweile in ständiger Angst – auch weil diese im Rahmen von wöchentlich stattfindenden so genannten „surgeries“ viel häufiger mit Bürgerin in Kontakt treten. „Wir können so nicht weitermachen", meinte Priti Patel.

Diskussion wurde nach Mord an Jo Cox schon vor fünf Jahren geführt

Für viele Kommentatoren und Experten im Vereinigten Königreich erscheint die aktuell geführte Diskussion wie ein Déja-Vu. Denn schon nach dem Mord an der Labour-Politikerin Jo Cox vor fünf Jahren wollte man die Abgeordneten besser schützen. Die damals 41-Jährige wurde 2016 in Birstall in West Yorkshire brutal getötet. Das Verbrechen war rechtsextrem motiviert und ereignete sich kurze Zeit vor dem Brexit-Referendum. Seitdem wurden zwar Sicherheitsmaßnahmen verschärft und Kontrollmechanismen zentralisiert. Das Ausmaß an Unterstützung, welches Abgeordnete erhalten, variiere jedoch sehr stark, sagte die Labour-Politikern Lisa Nandy.

Damals wie heute machten Beobachter aber auch die Volksvertreter selbst für die aufgeheizte und destruktive Stimmung in der Bevölkerung gegenüber Politikern im verantwortlich. Denn diese beschimpfen sich insbesondere seit dem Brexit immer wieder lautstark und mit wüsten Worten – sei es im Parlament oder auch in den sozialen Medien. Erst kürzlich bezeichnete die Labour-Abgeordnete Angela Rayner die Regierung um Boris Johnson bei der Parteikonferenz in Brighton als „rassistischen“, „frauenfeindlichen“ und „homophoben“ Abschaum.

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Die konservative Politiker Andrew Rosindell bestritt am gestrigen Sonntag, während einem Besuch des Tatorts des Verbrechens an David Amess, dass sich Tories und Labour grundsätzlich feindselig gegenüberstehen würden. „Wir arbeiten im Allgemeinen viel besser zusammen, als das von den Medien dargestellt wird“, sagte dieser, während im Hintergrund die gelben Absperrbänder der Polizei im Küstenwind flatterten. Der nebenstehende Labour-Abgeordnete Wes Streeting nickte ihm bei diesen Worten bekräftigend zu.

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