Verkehrsstudie im LockdownWie Städte dauerhaft von Stau entlastet werden können

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Autos im Stau

Wie schnell sich die Dinge ändern können: Wegen Covid ist die Belastung der Städte durch Autos spürbar zurückgegangen. Das zeigen Bewegungsdaten von Pkw. Und: Mehr Platz für Radfahrer und Fußgänger kann nicht nur die Lebensqualität der Anwohner verbessern, sondern auch für flüssigen Verkehr auf den Straßen sorgen. Die Umweltorganisation BUND fordert deshalb, dass die Kommunen nun die Pisten für Velos im großen Stil ausbauen.

In Deutschlands Großstädten sind die Zahl und die Länge der Verkehrsstaus im vergangenen Jahr überall gesunken. Und zwar synchron mit den Beschränkungen, die der Bund und die Länder erlassen hatten, um die Ausbreitung der Pandemie einzuschränken. Das geht aus dem „Traffic-Index“ hervor, den der Kartierungsspezialist Tomtom anhand von anonymisierten GPS-Daten berechnet hat. Die Bewegungsmuster in weltweit 416 Städten, davon 26 in Deutschland, zeigen: Erstmals ist im vorigen Jahr das Stauniveau gesunken. Gemeint ist damit die Zeit, die eine Fahrt länger dauert im Vergleich zu einer Situation ohne Verkehrsbehinderungen.

Unter den größten hiesigen Städten trat dies besonders stark in der Bankenmetropole Frankfurt zu Tage. Dort ging der sogenannte Überlastungsgrad um sieben Prozentpunkte auf 20 Prozent zurück – das bedeutet: eine Fahrt, die bei komplett freier Straße 60 Minuten dauert, wurde im Schnitt schon in 72 Minuten absolviert. Relativ wenig hat sich in Berlin geändert, wo es eine Verbesserung um nur zwei Punkte auf nun 30 Prozent gab – was zugleich den bundesweiten Negativrekord markiert. Durch die Bank wurden die niedrigsten Stauniveaus im April registriert.

In Frankfurt und Köln etwa lag der Überlastungsgrad seinerzeit bei nur 11 Prozent, in Hannover waren es 12 Prozent. Ende des Jahres nach der Ausrufung des zweiten harten Lockdowns ging es ebenfalls wieder deutlich nach unten. Das alles hatte zur Folge, dass teilweise – in Bonn, Bremen und Karlsruhe – mehr als acht Wochen mit wenig Verkehr registriert wurden. Das sind die Tage, an denen die Überlastung der Straßen sich mindestens halbierte. In Frankfurt kamen da immerhin noch 56 Tage zusammen. Am Grundmuster des Verkehrs hat sich aber nichts geändert.

Die größte Zahl von Autos war zur Rushhour am Morgen zwischen 6 und 9 Uhr und zur Feierabendzeit am Nachmittag und frühen Abend zwischen 15 und 18 Uhr unterwegs. Allerdings wurden Verkehrsspitzen von früher deutlich abgeflacht. Dies ist auch derzeit wieder erkennbar. Wobei die Verkehrsbelastung in den vergangenen Tagen von morgens bis abends fast durchgängig unter dem Niveau der gleichen Tage der Jahre 2019 und 2020 lag. Für die Tomtom-Experten ist klar, dass das veränderte Mobilitätsverhalten stark damit zu tun hat, dass beim Kampf gegen das Virus vor allem im Frühjahr verstärkt auf flexiblere Arbeitszeiten, Homeoffice und auf Onlinebesprechungen anstelle von Geschäftsreisen gesetzt wurde. Daraus lassen sich auch Gründe für die unterschiedlich starken Rückgänge erklären: Die vielen Banker, Anwälte und Unternehmensberater, deren Schreibtische in der Frankfurter City stehen, können ohne große Umstände ihre Arbeit zu Hause erledigen.

Für Jens Hilgenberg, Verkehrsexperte des BUND, zeigen die Auswertungen jedenfalls, „dass es relativ einfach ist, die Verkehrsbelastung in unseren Städten zu verringern“. Neue Formen der Arbeitsorganisation hätten unmittelbare und positive Auswirkung auf die Zahl der pendelnden Autos. „Die Lebensqualität der Anwohnenden steigt, und es wird weniger Zeit und Kraftstoff in Staus verschwendet“, sagte Hilgenberg dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.

Effekte neuer Verkehrskonzepte

Noch viel wichtiger sind dem Verkehrsexperten, was die Daten über die Effekte neuer Verkehrskonzepte in Berlin hergeben. Während des ersten Lockdowns wurden kurzfristig erstmals in Deutschland sogenannte Pop-up-Radwege ausgewiesen, also Fahrwege auf Zeit für Zweiräder. Zudem wurde die Friedrichstraße in Stadtbezirk Mitte im Herbst teilweise zur autofreien Zone erklärt. Die GPS-Messungen zeigen, „dass sich durch die zusätzlichen Radwege und die autofreie Zone kaum Einschränkungen für den Pkw-Verkehr ergeben haben. Teilweise hat sich der Verkehrsfluss auf den entsprechenden Straßen sogar verbessert“, teilt Tomtom mit. Für Hilgenberg ist klar: „Damit werden alle widerlegt, die sich dagegen wehren, Straßenraum zugunsten des Radverkehrs umzuverteilen.“

Er fügt hinzu: „Wir als BUND fordern deshalb, dass Städte und Kommunen nun konsequent breite, gut nutzbare Radwege bauen, und zwar solche, die nicht nur vorübergehend, sondern dann dauerhaft bestehen.“

Radwege sicher machen

Ferner müssten Radwege sicher gemacht werden. Viele Bürger ließen das Rad nur wegen schlechter oder einer schlicht nicht existenten Radinfrastruktur zu Hause stehen. Ein großes Problem ist sei dabei fast überall die Masse an parkenden und immer wuchtiger werdenden Autos. „Die Zahl der innenstädtischen Parkplätze muss deutlich reduziert, Parkraumbewirtschaftung mit deutlich höheren Preisen in Innenstadtlagen zum Standard werden und die Möglichkeit zur Einführung einer Citymaut ist rechtlich zu verankern“, fordert der BUND-Experte. Überdies müsse der öffentliche Nahverkehr als Alternative zum Auto wesentlich attraktiver werden.

Dass einiges getan werden muss, um bei der Mobilität dauerhaft etwas zu verändern, legt auch der „Traffic-Index“ nahe: In den Monaten der Lockdown-Lockerungen näherten sich die Überlastungsraten den Werten der Vorjahre an. Es bestehe bei der Nutzung des Autos die Tendenz, wieder in alte Muster und Routinen zurückzufallen, sagt Tomtom-Manager Ralf-Peter Schäfer.

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