Virologe zu Affenpocken„In Deutschland gibt es heute noch ein Lager mit Impfstoffen“

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Affenpocken Mikroskop

Affenpockenviren unterm Elektronenmikroskop 

Berlin – Tag für Tag werden derzeit mehr Infektionen mit Affenpocken bekannt. Ist das ein Grund zur Sorge? Derzeit habe der Affenpocken-Ausbruch eine deutlich geringere Wucht als der Corona-Ausbruch, sagt der Virologe Stephan Becker. Im Interview erklärt er, welche Maßnahmen jetzt nötig sind - und welche nicht. 

Herr Prof. Becker, innerhalb einer Woche sind Dutzende Affenpocken-Fälle in Europa entdeckt worden, ein paar auch in Deutschland. Ist das ein Grund, alarmiert zu sein? Oder ist die erhöhte Aufmerksamkeit den Erfahrungen mit der Corona-Pandemie geschuldet?

Das ist jetzt sicherlich nicht der Beginn einer neuen Pandemie. Es gibt bislang rund hundert dieser Affenpocken-Erkrankungen weltweit. Das ist wirklich nicht viel. Auch wenn in den kommenden Tagen und Wochen wahrscheinlich noch deutlich mehr Fälle dazukommen werden, ist es momentan sehr unwahrscheinlich, im Alltag jemandem mit Affenpocken zu begegnen. Trotzdem hätten diese Affenpocken-Fälle auch schon vor Corona Aufmerksamkeit erregt. Es ist immer besorgniserregend, wenn plötzlich ein Virus auftaucht und andere Eigenschaften hat als es normalerweise der Fall ist.

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Affenpocken zirkulieren im Gegensatz zu Corona schon lange, der erste Fall wurde 1970 in der Demokratischen Republik Kongo aufgespürt. Wieso überrascht der Ausbruch jetzt trotzdem?

Affenpocken werden seit Jahrzehnten in West- und Zentralafrika regelmäßig von Wildtieren auf Menschen übertragen. Es gab auch schon anderswo kleinere Affenpocken-Ausbrüche – beispielsweise 2003 in den USA. Da ging das Virus von Präriehunden auf Menschen über. Neu ist jetzt, dass es vor allem in Europa Infektionsketten unter Menschen gibt, die nicht mehr in Verbindung stehen zu West- und Zentralafrika. Man muss sich deshalb ganz genau angucken, wo das Virus jetzt auf einmal herkommt.

Gibt es da schon Erklärungsansätze?

Einige der Infektionen scheinen im Zusammenhang mit größeren Festivals, zum Beispiel auf Gran Canaria, zusammenzuhängen. Das würde dazu passen, dass Affenpocken normalerweise durch sehr engen Kontakt übertragen werden.

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Das ist wirklich eine Gefahr. Stigmatisierung bei Infektionskrankheiten sind nicht hilfreich. Das führt oft eher dazu, dass Menschen ihre Erkrankung verschweigen statt offen damit umzugehen. Und wir wissen bislang auch nur, dass Affenpocken-Infektionen durch engen Kontakt stattfinden.

Wie eng muss denn der Kontakt sein, um Affenpocken-Viren übertragen zu können?

Wer sich mit Affenpocken angesteckt hat, bekommt Flecken und Pusteln auf der Haut, zunächst im Gesicht, später auch an Armen und Beinen. In diesen Pocken befindet sich das infektiöse Virus, das von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Solche Hautschädigungen treten auch in der Mund- und Rachenschleimhaut auf. Man kann sich bei engem Kontakt über Körperflüssigkeiten und über Hautkontakt anstecken.

Ich kann also erst jemanden infizieren, wenn ich eine nach außen sichtbare Pocke, Schorf oder Kruste auf meinem Körper habe?

Davon gehen wir im Moment aus. Wenn eine Tröpfcheninfektion über größere Entfernungen stattfinden würde, sähe das Ausbreitungsmuster jetzt wahrscheinlich schon ganz anders aus.

Es gäbe dann schon viel mehr Affenpocken-Erkrankte, ähnlich wie zu Beginn der Corona-Pandemie?

Genau. Im Moment sieht es so aus, dass der Affenpocken-Ausbruch eine deutlich geringere Wucht hat als der Corona-Ausbruch. Es ist nicht davon auszugehen, dass eine Person sehr viele Menschen anstecken kann, ohne überhaupt zu bemerken, dass sie erkrankt ist. Außerdem haben die allermeisten Menschen mit Affenpocken milde Symptome und sind nach paar Wochen symptomfrei und wieder fit. Nur sehr wenige Betroffene erkranken schwer. In diesen Fällen kann es beispielsweise zum Befall der Augen kommen, oder auch schwere Lungenentzündungen werden berichtet. Solche schweren Fälle sind vor allem bekannt aus Ausbrüchen in der Demokratischen Republik Kongo, wo eine andere Variante des Affenpockenvirus vorkommt.

„Nur wenige Menschen erkranken schwer und sterben“

Bei einigen der neuen Fälle ist inzwischen klar, dass es sich um eine Affenpocken-Variante aus Westafrika handelt, die eher mildere Verläufe verursacht. Es ist da von einer Sterblichkeitsrate von etwa einem Prozent die Rede.

Ich finde es momentan schwierig, mit solchen Prozentzahlen zu hantieren. Es gibt bislang viel zu wenig Fälle, um das wirklich beurteilen zu können. In Westafrika ist das Gesundheitssystem auch ein ganz anderes. Wir wissen, dass nur wenige Menschen schwer an Affenpocken erkranken und sterben. Exakt beziffern lässt sich aber nicht, wie häufig das vorkommt.

Wer zählt bei den Affenpocken zur Risikogruppe und sollte besonders vorsichtig sein?

Aufpassen sollten all jene, deren Immunsystem sowieso schon stark geschwächt ist, beispielsweise durch eine Organtransplantation. Das gilt grundsätzlich für jede Viruserkrankung. Das sollte man deshalb jetzt auch für die Affenpocken beherzigen. Auch junge Menschen, vor allem Neugeborene und kleine Kinder, scheinen anfälliger zu sein.

Wieso?

Die Jüngeren sind nicht mehr gegen Pocken – und damit auch Affenpocken - geschützt. Die über 50-Jährigen wurden hierzulande in der Regel noch als Kinder gegen Variola-Pocken geimpft. Heute findet diese Impfung nicht mehr statt, weil das Virus als ausgerottet gilt. Die Immunität in der Bevölkerung nimmt dadurch stark ab. Deshalb tauchen die Affenpocken momentan auch eher bei Jüngeren auf.

Wäre eine erneute Pocken-Impfkampagne eine Option, um den Affenpocken-Ausbruch einzudämmen?

In Deutschland gibt es auch heute noch ein Lager mit Impfstoffen gegen die Pockenviren von damals. Diese Mittel helfen auch jetzt wahrscheinlich gegen die Affenpocken. Man könnte also präventiv impfen. Beim aktuell noch kleinen Affenpocken-Ausbruch ist eine größere Impfkampagne aber nicht nötig.

Wie sollten sich Menschen mit erhöhtem Risiko vor Affenpocken schützen? Wieder zur Maske greifen, wenn viele Menschen anwesend sind? Sich noch häufiger als sowieso schon die Hände waschen?

Nein, solche Maßnahmen braucht es bei so wenigen Fällen in der Bevölkerung vorerst nicht. Aber man sollte auf Abstand gehen, wenn man auf jemanden trifft, der oder die solche Pusteln und Schorf im Gesicht oder Händen hat oder weiß, dass er an Affenpocken erkrankt ist. Im Moment sieht es so aus, als wäre tatsächlich ein enger Kontakt für die Übertragung der Affenpocken nötig.

Was sind typische Affenpocken-Symptome – und was sollte man bei einem Verdacht tun?

Die ersten Symptome sind unspezifisch. Erkrankte berichten über Fieber, Kopfschmerzen, Lymphknotenschwellungen und starke Abgeschlagenheit. Ein bis drei Tage später entwickeln sich Bläschen und Geschwüre auf der Haut – meistens erst im Gesicht, dann an Armen und Beinen. Das ist ein klares Zeichen dafür, den Hausarzt oder die Hausärztin anzurufen und die Symptome zu schildern. Auch Bläschen und Pusteln im Genitalbereich sollten dazu führen, den Arzt aufzusuchen. Bei einer Untersuchung in der Praxis trägt das medizinische Personal dann Handschuhe und Gesichtsschutz, um sich nicht anzustecken. Auch zuhause sollte man bei einem Verdacht Abstand zu anderen halten.

Sind die Gesundheitsbehörden und Ärztinnen und Ärzte ausreichend für weitere Affenpocken-Erkrankte gewappnet?

Wir sind durch Covid inzwischen besser vorbereitet auf Infektionskrankheiten, bei denen Kontakte nachverfolgt und bei denen sich Menschen in Isolation und Quarantäne begeben müssen. Man muss aber auch wissen, wonach man schauen muss. Deshalb ist es wichtig, die niedergelassenen Ärztinnen, Ärzte und Krankenhäuser darauf aufmerksam zu machen, vermehrt nach für Affenpocken typischen Hauterkrankungen zu schauen. Und die Forschung muss mehr über den neuen Affenpocken-Ausbruch herausfinden. Wie genau verlaufen die Ansteckungsketten und wo und wie genau wird das Virus übertragen? Das zu klären, braucht sicherlich einige Wochen.

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