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Von Corona-Demos ins KrisengebietWie „Querdenker“ die Fluthilfe instrumentalisieren

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Ahrweiler Aufräumarbeiten

In den vom Unwetter betroffenen Gebieten haben die Aufräumungsarbeiten begonnen.

Ahrweiler – „Querdenker“ und Neonazis wollen in Rheinland-Pfalz eine eigene „Leitstelle“ für Flut-Hilfsaktionen aufbauen – trotz Bitten der Behörden, das nicht zu tun. Der Verschwörungsideologe Bodo Schiffmann sammelt dafür etwa 400.000 Euro Spenden auf seinem privaten Paypal-Account. Und ein Verein von Corona-Leugnern und Impfgegnern plant ein Kinderbetreuungszentrum für Flutopfer. Nachdem immer weniger Menschen zu Corona-Demonstrationen kommen, hat die Szene in der Flutkatastrophe in neues Thema für sich entdeckt.

Der Verein „Eltern stehen auf“ hat sich im vergangenen Jahr als Teil der Protestbewegung gegen die Corona-Schutzmaßnahmen gegründet. Auf Flugblättern macht er gegen Masken und Corona-Tests an Schulen mobil, agitiert mit Falschinformationen gegen die Corona-Impfungen. In der einen Krise entstanden, wollen die Vereinsmitglieder sich nun in der nächsten Krise einbringen: Sie begannen in den vergangenen Tagen, ein „Familienzentrum“ in Bad Neuenahr-Ahrweiler aufzubauen, um von der Flut betroffene Kinder betreuen zu können. Professionelle Seelsorger und „Coaches“ kündigten sie dafür an. Es entstand der Eindruck, der Verein übernehme ganz offiziell die Kinderbetreuung, arbeite mit einem öffentlichen Auftrag.

Schon mehr als 386.000 Euro gesammelt

Dass das nicht der Fall ist, stellte die Kreisverwaltung Ahrweiler am Sonntag auf ihrer Facebookseite klar – und wurde anschließend von Anhängern der „Querdenker“-Szene beschimpft. Auch das Landesfamilienministerium wies zur Sicherheit darauf hin, dass es sich um kein „mit der Einsatzleitung des Landes abgestimmtes Angebot“ handle.

Nicht nur in der Kinderbetreuung wollen die „Querdenker“ mitwirken. Mehrere prominente Akteure der Szene sammeln seit Tagen privat Spendengelder. Auf dem Paypal-Account des Arztes und Verschwörungsideologen Bodo Schiffmann waren bis Montag mehr als 386.000 Euro eingegangen. Das lässt sich auf der Seite des dafür eingerichteten sogenannten Paypal-Moneypools einsehen. Das Geld der Sammlung gehe „zu 100 % an die Hochwasseropfer“ verkündete Schiffmann zunächst. Später teilte er mit, dass das Geld nicht direkt an Flutopfer ausgezahlt, sondern etwa zur Unterstützung von Aufräumarbeiten verwendet werden solle. So würde damit etwa der Einsatz von Baggern und anderem schweren Gerät eines Privatunternehmens bezahlt.

Offenbar auch Neonazis beteiligt

Wie andere prominente „Querdenker“ sammelte Schiffmann bereits seit dem vergangenen Jahr Spenden, etwa für angeblich geplante Klagen gegen die Corona-Maßnahmen, aber auch „Schenkungen“ für seinen eigenen Lebensunterhalt. Gegen Schiffmann wird derzeit nicht nur wegen falschen Masken-Attesten, sondern auch wegen des Verdachts der Volksverhetzung ermittelt.

Schiffmann und andere Protagonisten der „Querdenker“-Szene verkündeten auch die Errichtung einer eigenen „Einsatzleitstelle der Friedens- und Freiheitsbewegung“ in Ahrweiler. Geleitet werde sie vom ehemaligen Oberstleutnant des Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr, Maximilian Eder, der im Mai als Redner bei einer Corona-Demo in Berlin aufgetreten war. Ein Busunternehmer, der in den vergangenen Monaten vor allem „Querdenker“ zu Demonstrationen transportierte, will nun eine Busladung Hilfswilliger nach Ahrweiler bringen.

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Auch Neonazis mischen dort offenbar mit: Der Holocaustleugner und rechtsextreme Videoblogger Nikolai Nerling, besser bekannt als „Volkslehrer“, meldete sich gemeinsam mit einem weiteren Rechtsextremisten mit einem Video aus der „Leitstelle“ an einer Grundschule zu Wort. Mit zehn Mann aus Thüringen sei er am Sonntag eingetroffen um zu helfen, sagte Nerling. Um nicht von den Sicherheitskräften weggeschickt zu werden, sollten Helfer am besten abends oder nachts nach Ahrweiler kommen.

Der rheinland-pfälzische Hochwasser-Krisenstab bittet unterdessen eindringlich, nicht auf eigene Faust ins Katastrophengebiet zu reisen. „Die wenigen noch intakten Rettungswege müssen unbedingt für die Einsatzkräfte freigehalten werden“, teilte der Krisenstab auf Facebook mit.

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