Was, wenn Russland jetzt angreift?Drohung an neuen Nato-Bündnis-Partner Finnland

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Ein Bild aus dem Jahr 2019: Wladimir Putin (l.) bei Händeschütteln mit dem finnischen Präsidenten Sauli Niinisto. Jetzt tritt Finnland der Nato bei.

Finnland hat sich bereits entschieden, auch Schweden wird wohl nachziehen – die Skandinavier wollen in die Nato. Russland droht – und spricht von Vergeltungsmaßnahmen. Wie die Nato auf einen russischen Angriff auf Finnland oder Schweden reagieren würde – und was ein Artikel des EU-Vertrags damit zu tun hat.

In Russland hat man auf die Ankündigung Finnlands, sich schnellstmöglich dem Verteidigungsbündnis Nato anschließen zu wollen, mit einer offenen Drohung reagiert. Das russische Außenministerium erklärte am Donnerstag, dass ein finnischer Beitritt zu dem Militärbündnis „den russisch-finnischen Beziehungen sowie der Stabilität und Sicherheit in Nordeuropa ernsthaften Schaden zufügen wird“. Russland werde gezwungen sein, „Vergeltungsmaßnahmen militärisch-technischer und anderer Art zu ergreifen“. Schon Mitte April drohte der frühere russische Präsident und enge Putin-Vertraute Dmitrij Medwedew mit einer Atomaufrüstung bei einer finnischen und schwedischen Nato-Mitgliedschaft.

Am Samstag legte Wladimir Putin nach. In einem Telefonat mit Finnlands Präsidenten Sauli Niinistö hat der Kremlchef den geplanten Nato-Beitritt Helsinkis als Fehler bezeichnet. Von Russland gehe keine Bedrohung für das Nachbarland aus, betonte Putin nach Kremlangaben bei dem Gespräch. Finnlands Abkehr von der traditionellen Neutralität werde zu einer Verschlechterung der bislang guten nachbarschaftlichen Beziehungen führen, warnte er.

Vergeltungsmaßnahmen? Atomaufrüstung? Noch ist Finnland kein Nato-Mitglied, sondern steht gerade erst am Anfang eines normalerweise mehrmonatigen Prozesses. Dennoch bleibt die Frage: Würde die Nato im theoretischen Fall eines russischen Angriffs Helsinki bereits militärisch zur Seite stehen, die Aggression als Bündnisfall verstehen? Womöglich indirekt.

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Bundeswehr-Fregattenkapitän Göran Swistek zeichnet im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) ein mögliches Szenario. „In der Theorie eines russischen Angriffs auf Finnland würde die Nato de facto eingreifen. Berufen würde man sich auf den Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrags, dann aber mit Kräften, Fähigkeiten und Strukturen, die eigentlich der Nato zugeordnet sind“, sagt der aktive Soldat, der aktuell von der Bundeswehr für sicherheits- und militärpolitische Beratung des Parlaments abgestellt ist. Trotz des Artikels zur Beistandspflicht habe die EU allein „nicht die Führungsstrukturen, Netzwerke und technischen Mitteln wie die Nato. Die Nato ist das Militärbündnis.“

Schwedische Sicherheitsanalyse: mehr Vorteile bei Nato-Beitritt

Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet auf Basis von Insiderinformationen, dass der Nato-Beitritt Finnlands bereits beschlossene Sache sei. Und auch Schweden werde bereits an diesem Sonntag unter den Eindrücken des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine seinen Widerstand zur Mitgliedschaft ablegen, heißt es in dem Bericht. Ein nächstes Indiz, das dafür spricht: Am Freitag veröffentlichte die schwedische Regierung eine gemeinsam mit den Parlamentsparteien erarbeitete Sicherheitsanalyse. Darin wird zwar keine klare Empfehlung für einen Nato-Beitritt des Landes abgegeben, doch heißt es darin: „Eine schwedische Nato-Mitgliedschaft würde die Schwelle für militärische Konflikte erhöhen und damit einen konfliktpräventiven Effekt in Nordeuropa haben.“ Gegen der Mitgliedschaft spräche eine mögliche heftige Reaktion Russlands auf den Beitritt. Insgesamt aber hätte der Nato-Beitritt mehr Vor- als Nachteile für Schweden. Hinzu kommt, dass „in Schweden die öffentliche Stimmung hin zur Nato schon vorhanden“ gewesen sei, sagt Swistek dem RND. „Das lag an vielen Vorfällen in den zurückliegenden Jahren, in denen Russland immer wieder als Bedrohung wahrgenommen wurde.“ Außerdem seien Finnland und Schweden „sicherheitspolitisch schon sehr stark ineinander integriert, dass dieser Schritt, gemeinsam vorzugehen, am Ende nur konsequent ist“.

„Geostrategische Verschiebung“

Neben dem Fakt einer möglichen russischen Reaktion auf den Nato-Beitritt der skandinavischen Länder birgt eine Neumitgliedschaft Finnlands noch ein anderes Problem. Laut Swistek sei die finnische Zugehörigkeit im Militärbündnis eine klare „geostrategische Verschiebung. Die finnisch-russische Grenze ist mehr als 1300 Kilometer lang. Damit wäre es bei einem Beitritt zur Nato das längste Grenzgebiet zu Russland“. Eine Tatsache, die sowohl in Finnland als auch in Russland als Bedrohung wahrgenommen wird. Auch deswegen waren die Nordskandinavier lange Zeit gegen einen Nato-Beitritt ihres Landes. Putins Angriffskrieg auf die Ukraine hat das geändert. „In Finnland gab es in der Bevölkerung den Umschwung erst im laufenden Jahr“, weiß Swistek.

Sollten die Beitrittsgesuche der skandinavischen Länder bald erfolgen, könnten die Anträge bereits vor dem nächsten geplanten Nato-Gipfel Ende Mai in Madrid abgenickt werden, zitiert Reuters mit der Angelegenheit vertraute Personen.

Was darauf folgt, ist eigentlich ein einjähriger Ratifizierungsprozess. Möglich aber ist es, dass dieser in der aktuellen Lage deutlich verkürzt werden könnte. Die Beitrittsformalitäten könnten innerhalb von zwei Wochen erledigt sein – vom offiziellen Antrag bis zur Unterzeichnung des Beitrittsprotokolls, berichtet die „Tagesschau“ und beruft sich dabei auf einen Nato-Mitarbeiter in Brüssel. Ein schneller Anschluss Finnlands und Schwedens an die Nato sei laut Swistek schon deswegen kein Problem, weil man militärisch schon lang genug eng zusammenarbeite. Während der Ratifizierung gehe es um Strukturen und Abstimmungsprozesse. „Die meisten technischen Aspekte sind Nato-weit vereinheitlicht. Der Austausch von Lagebildinformationen im Ostseeraum wird bereits über mehrere Instanzen ausgebaut.“

Beitritt mit Vorteilen für die Nato

Die Erweiterung der Nato durch Schweden und Finnland bringe sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich. „Das Potenzial eines Konflikts mit Russland steigt dadurch natürlich. Ob es ein politischer Konflikt bleibt oder militärisch wird, ist offen“, gibt der Fregattenkapitän zu bedenken. Doch liege der Vorteil der Mitgliedschaft „klar in der Stärkung der europäischen Sicherheit“.

Die Nato bekomme mit Finnland und Schweden zwei starke Bündnispartner hinzu. „Das sind rein aktive Streitkräfte von etwa 40.000 Soldatinnen und Soldaten. Das Reservepotenzial geht für beide Staaten über 300.000 Soldatinnen und Soldaten. Die Streitkräfte sind sehr gut trainiert und sehr gut ausgestattet.“

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