Wege zurück in die Normalität„Man kann Menschen nicht ein Jahr eingesperrt halten“

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Wie lang ist lang genug? Politiker und Experten diskutieren, wie und wann der Weg zurück in die Normalität gelingen kann.

Berlin/Düsseldorf – Eine halbe Woche nach dem bundesweiten Inkrafttreten der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus werden erste Stimmen laut, die einen Strategiewechsel und einen „Exit-Plan“ einfordern. Kritiker der drastischen Einschränkungen wollen einerseits die Wirtschaft wieder ankurbeln, andererseits geht es ihnen auch darum, die möglicherweise fatalen sozialpsychologischen Folgen der Isolation abzuwenden.

Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann (CDU) etwa spricht sich für ein Ende der wirtschaftlichen Auszeit binnen maximal drei Wochen aus: „Für die gesamte Volkswirtschaft und unseren Staat wird der Schaden nachhaltig und über Jahrzehnte nicht kompensierbar sein, wenn wir nicht spätestens nach Ostern die Wirtschaft wieder schrittweise hochfahren“, sagte er in einem Interview mit der Bild-Zeitung. Manche Unternehmen hätten jetzt schon die Grenze der Belastbarkeit erreicht.

Rüdiger Bachmann, Wirtschaftsprofessor an der University of Notre Dame in den USA, warnt vor einer „Massenverarmung“: Dem Schweizer Nachrichtenportal Watson sagte er: „Wir können nicht ein ganzes Jahr lang im Ausnahmezustand bleiben. Wir haben uns ein bisschen Zeit gekauft, aber wir brauchen jetzt eine Exit-Strategie.“

Zurück zur Normalität in weniger betroffenen Regionen

Deshalb schlägt Bachmann eine regionale Wiederaufnahme des Produktionsbetriebes vor. „Bestimmte Regionen sind mehr und andere weniger stark vom Virus befallen. In Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sind mehr Menschen pro Einwohner positiv getestet worden als beispielsweise in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern“, ergänzte er. Die weniger betroffenen Bundesländer könnten schneller wieder zur Normalität zurückkehren und produzieren.

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Auch dem Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) bereiten die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise große Sorgen. „Ich befürchte, lange wird unser Land einen nahezu vollständigen Shutdown nicht überstehen“, schrieb er in einem Gastbeitrag für die Rheinische Post. „Die ersten Betriebe im Gaststättengewerbe, in der Hotellerie, im Veranstaltungs- und Schaustellerbereich haben bereits Insolvenz angemeldet.“

Selbst größere Unternehmen würden einen monatelangen Stillstand des wirtschaftlichen Lebens seiner Meinung nach kaum überstehen, so Geisel. „Zumal die vollmundig angekündigten großzügigen staatlichen Rettungsschirme mangels staatlicher Einnahmen auf Dauer wohl nicht durchzuhalten sein werden.“

Alternative Idee: Ältere und Risikogruppen isolieren

Der Düsseldorfer Oberbürgermeister plädiert aus diesem Grund für einen Strategiewechsel und möchte lediglich „die Risikogruppe der Älteren“ isolieren: „Es ist letztlich niemandem geholfen, dass wir auf unabsehbare Zeit alle in Quarantäne nehmen, auch diejenigen, denen an sich keine Gefahr droht, die aber ganz besonders von den Folgen eines Shutdowns betroffen sein werden.“

Solidarisch sei es nach seiner Überzeugung, die älteren Generationen und Personen mit Vorerkrankungen „ganz gezielt vor einer lebensgefährlichen Infektion mit dem Virus zu schützen“. Dabei solle man sie allerdings nicht allein lassen, „sondern ihnen bei Vermeidung körperlichen Kontakts die größtmögliche Teilhabe am sozialen Leben ermöglichen“.

Infektiologe Gerd Fätkenheuer, Mitglied im Expertenrat des „Kölner Stadt-Anzeiger“ fürchtet dagegen, dass eine solche Strategie derzeit nicht durchführbar sei. „Wir wissen überhaupt nicht, welche Erfolge wir damit hätten und welche Gefahren damit verbunden wären. Es gibt die große Befürchtung, dass es nicht reichen würde, wenn nur Alte und Gefährdete zu Hause bleiben und dass diese Gruppen trotzdem weiter infiziert würden. Das Ziel der aktuellen Maßnahmen ist es, Zeit zu gewinnen und Zustände wie in Italien und Spanien zu vermeiden.“ Eine Rückkehr zur Normalität hält Fätkenheuer auch für wünschenswert, Geisels Idee sei diskussionswürdig, „aber nicht zum jetzigen Zeitpunkt“.

Spahn will öffentliches Leben wieder ermöglichen

Julian Nida-Rümelin, Professor für Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, ist ebenfalls ein Befürworter der „Cocooning-Methode“. Nach ihr müssten allerdings Millionen Ältere – in Deutschland leben rund 17,5 Millionen Menschen über 65 – und solche mit Vorerkrankungen systematisch und strikt vor Infektionen geschützt werden. Alle anderen könnten, so die Theorie, zum Alltag zurückkehren.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bringt diese Vorgehensweise nun ebenfalls ins Gespräch: „Wir werden die Älteren also möglicherweise über mehrere Monate bitten müssen, ihre Kontakte stark einzuschränken und im Zweifel zu Hause zu bleiben“, sagte er der „Zeit“. Es gehe darum, öffentliches Leben in Zeiten der Epidemie wieder möglich zu machen.

Das wäre im Sinne des Düsseldorfer Wirtschaftsprofessors Rüdiger Bachmann. Sollten die Alltagsbeschränkungen über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten werden, könnte das fatale Folgen haben: „Man kann Menschen nicht ein Jahr eingesperrt halten, da gibt es sonst Mord und Totschlag.“

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