Werden Tierversuche verboten?Heftiger Streit um Hirnforschung an lebendigen Affen

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Ein Makake kaut in seinem Käfig an der Universität in Bremen an einem Ast.

Berlin – Es ist Montagmorgen, und Boti hat keine Lust. Wie so oft montags. Am Wochenende hat er wieder viel getrunken, das dämpft seinen Arbeitseifer deutlich. Ein paar Klicks im richtigen Moment, dann macht Boti erst mal die Augen zu. Eingeschlafen bei der Arbeit, sozusagen.

„Hey, Boti, noch ein bisschen weiter?“, ruft ihm der Wissenschaftler hinter der Wand zu. Aber Boti will heute langsam machen.

Boti ist im Alter ruhig, aber ausdauernd

In jungen Jahren, mit vier oder fünf, galt er als temperamentvoll, impulsiv, durchaus wild. Jetzt, im gesetzten Alter von 16, ist er ruhiger, aber ausdauernd. „Boti?“ Er hat die Augen wieder offen. Es geht weiter.

Boti ist kein Mensch – sondern ein Affe, ein Makake. Einer von 19, die in den Käfigen eines Labors an der Universität Bremen leben. Seine Aufgabe ist es, Formen zu erkennen. Springt eine der sich ständig wandelnden geometrischen Figuren auf dem Bildschirm vor ihm in ihren ursprünglichen Zustand, soll Boti einen Hebel betätigen.

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Wie funktioniert Aufmerksamkeit? Wie schafft es ein Gehirn, sich in der Flut aller Sinneseindrücke auf jene zu konzentrieren, die für seine Aufgabe wichtig sind? Wie schaltet es jene unter den Milliarden von Zellen ab, die gerade nur Unwichtiges beitragen? Und: Wie kann das Verständnis dieser Abläufe zum Verstehen von Erkrankungen des menschlichen Gehirns beitragen?

Boti bekommt Wasser als Anreiz und Belohnung

Das ist es, was die Forscherinnen und Forscher interessiert. Deshalb haben sie in Botis Kopf eine Halterung implantiert, an der der Kopf während des Versuchs fixiert wird. Sie führen eine Elektrode in sein Gehirn, das die Impulse der Nervenzellen misst. Für jeden richtigen Klick erhält Boti einen winzigen Schluck Wasser, als Anreiz und Belohnung. Weshalb er nur am Wochenende ausgiebig trinken darf.

Ist das Tierquälerei? Was darf Wissenschaft Tieren zumuten, wenn es der Linderung menschlichen Leids dient? Wer entscheidet darüber? Das sind die großen Fragen, um die es jetzt in Bremen geht. Von den Antworten hängt ab, wie es für die Hirnforschung an Affen weitergeht – und für Tierversuche an deutschen Universitäten insgesamt.

Hirn als kaum verstandenes Organ

Der Mann hinter den Affenversuchen von Bremen ist der Neurobiologe Andreas Kreiter. 58 Jahre alt, großgewachsen, pragmatischer Stil. Fragt man ihn, wie er zu seinem Forschungsfeld kam, spricht er über die Herzmedizin und wie sie es heute vermag, Leben zu verlängern. Über das Hirn als letztes kaum verstandenes Organ. Und über sein Interesse an Elektrotechnik, das er beinahe statt Biologie studiert hätte.

Seine Arbeit jetzt ist im Grunde eine Mischung aus beidem. Wenn Kreiter einen kompletten Schaltplan des Hirns hätte, dann wäre er wohl am Ziel. „Wir sind heute in einer ähnlichen Situation wie die Herzmedizin vor den Sechzigerjahren“, sagt Kreiter. „Wir müssen die Funktionsweise des Organs verstehen, um Therapien zu entwickeln.“

Kreiter erklärt ausführlich, geduldig, malt ein Gehirn auf das Flipchart. Die Kämpfe der vergangenen 20 Jahre haben der Begeisterung für seine Forschung offenbar wenig anhaben können. Anders hätte er sie wohl auch kaum überstanden.

Morddrohungen von Anfang an

Denn der Streit um die Affen von Bremen hat eine lange Vorgeschichte. Schon als Kreiter 1998 an die Universität kommt und die Affenforschung begründet, beginnt der Protest. Tierschützer sammeln 100 000 Unterschriften. Aktivisten dringen ins Labor ein. Kreiter erhält Morddrohungen, kann sich nur mit Personenschutz bewegen. Seine Kinder müssen die Schule wechseln.

Kontrollen bescheinigen ihm eine untadelige Tierhaltung. Dennoch versagen ihm Behörden und Bürgerschaft 2008 einmütig die weitere Genehmigung. Kreiter zieht vor Gericht, gewinnt in allen Instanzen, 2014 abschließend vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Genehmigung läuft Ende November aus

Zweimal wird sein Projekt danach genehmigt, für je drei Jahre. Die Genehmigung läuft nun aus, am 30. November. Im Sommer hat Kreiter einen Verlängerungsantrag gestellt. Doch die zuständige Gesundheitsbehörde hat bislang nicht reagiert. Die Universität und Kreiter haben deshalb einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht gestellt. Einen „gravierenden Rechtsbruch“ sähe Kreiter, wenn ihm die Verlängerung versagt bliebe. Die Gesundheitssenatorin selbst will sich mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht äußern.

Der Hintergrund ist dennoch deutlich. Es gibt eine Änderung im Tierschutzrecht, wenige Formulierungen, eine Anpassung an eine EU-Richtlinie. Tierschützer interpretieren sie als Ermächtigung für lokale Behörden, Tierversuche stärker auf ihren wissenschaftlichen Sinn zu prüfen. Der Bonner Jurist Klaus Ferdinand Gärditz warnte bereits vor einer „Blockade der tierexperimentellen Forschung“.

Bremen will ein Zeichen setzen

An der Spitze der Bremer Gesundheitsbehörde steht seit 2019 Claudia Bernhard, Mitglied der Linken, deren Vertreter in einer Aktuellen Stunde der Bürgerschaft in der vergangenen Woche von einer „unsäglichen Tierquälerei“ sprachen, von „Grundlagenforschung ohne praktischen Bezug“ und davon, dass die Ablehnung von Kreiters Antrag „nur der erste Schritt“ sei.

Eine Woche vor Ende der Frist ist damit unklar, wie es weitergeht. Klar ist nur, dass Bremen ein Zeichen setzen will.

Der Hirnforscher hat ein Problem. Das Problem jeder Grundlagenforschung: Es ist nicht sicher, ob sie jemals einen konkreten Nutzen haben wird. In Bremen wird seit 23 Jahren an Affen geforscht. Was es im Ergebnis ist, ist eine Erklärung der Steuerung von Aufmerksamkeit, sind Publikationen und Renommee. „Herr Kreiter ist ein ausgezeichneter Forscher, er genießt hohe Anerkennung in den Neurowissenschaften“, sagt Professor Stefan Treue, Direktor des Deutschen Primatenzentrums Göttingen und Sprecher der „Initiative Tierversuche verstehen“. Aber es gibt bislang kein Medikament, nichts Greifbares als Ergebnis dieser Forschung.

Eine Frage des Mitfühlens

Dem abstrakten Nutzen gegenüber stehen konkrete Bilder. Ein Opfertier, mit dem wir uns identifizieren wie mit keinem anderen. In Deutschland werden pro Jahr rund 750 Millionen Tiere in Schlachthöfen getötet, oft nach einem elenden Leben in Massenhaltung. Um sie trauern wenige. Von den 2,9 Millionen Versuchstieren in Deutschland sind 0,13 Prozent Primaten. Im Schnitt wird pro Jahr von den 19 Bremer Affen einer eingeschläfert, meist nach einem für Makaken langen Leben, um das Hirn zu untersuchen. Aber mit ihnen können wir mitfühlen. Weil sie uns ähnlich sind. Das ist der Grund, warum sich die Hirnforschung für sie interessiert. Und der Grund, warum der Widerstand dagegen so massiv ist.

„Im Bewusstsein dieser Stadt“, sagt Robert Porzel, der an vielen Ständen Unterschriften gesammelt hat, „sind die Versuche von Herrn Kreiter ein ganz wunder Punkt in der Wahrnehmung.“

„Eine logische Sackgasse“

Auch Porzel ist Wissenschaftler, Informatiker und Linguist. Und er ist Mitglied der Bremer Gruppe der Initiative „Ärzte gegen Tierversuche“, die den Protest gegen die Affenversuche hier mit prägt.

Porzel, Veganer, ist nach eigenen Worten vor allem aus einem Grund dagegen: Er hält sie für wissenschaftlich wertlos. Sie führten „wie alle Tierversuche in eine logische Sackgasse“, weil sich die Hirne von Affen und Menschen zu stark unterschieden und die Ergebnisse nicht übertragbar seien. Die Zukunft gehöre Alternativverfahren, etwa gezüchtetem Organgewebe. Affen „mit aufgebohrtem Schädel“, so die Initiative, mittels Flüssigkeitsentzug zur Kooperation zu zwingen sei schlicht „qualvoll“.

Kreiter wiederum, in seinem mit Kameras und Zaun gesicherten Labor, argumentiert damit, dass Qual schon aus wissenschaftlichen Gründen nicht in seinem Interesse liegt. Die Elektrode mit ihrer Tausendstelmillimeter dünnen Spitze spürten die Affen nicht, weil das Hirn keine Schmerzrezeptoren hat. Wasser erhielten die Makaken während des Versuchs genau so viel, wie sie möchten: Sie „bestimmen, wann eine Session zu Ende ist“. Die Versuche würden „mit größter Sorgfalt und Rücksicht auf die Tiere durchgeführt“. Wenn sie sie als Stress empfänden, „würden die Tiere nicht oder nur so schlecht mitmachen, dass wir keine brauchbaren Ergebnisse bekämen“.

„Kleinstädterei sondergleichen“

In Bremen jedoch haben sich bis auf die FDP alle Fraktionen in der Bürgerschaft gegen die Affenversuche ausgesprochen. Einer, den dies regelrecht in Rage bringt, ist Gerhard Roth, Deutschlands wohl bekanntester Hirnforscher. Roth, als Direktor des Instituts für Hirnforschung lange selbst an der Universität Bremen tätig und für Kreiters Berufung mit verantwortlich, kann seine Enttäuschung kaum verbergen.

Der Wert der Forschungen steht für ihn außer Frage: Epilepsie und Depressionen, aber auch Aufmerksamkeitsstörungen ließen sich nur behandeln, wenn man das Zusammenspiel der Nervenzellen in der Großhirnrinde möglichst gut kennt. „Herrn Kreiters Forschungen leisten dazu einen wichtigen Beitrag.“

Die Vorstellung, dass sich die Ergebnisse nicht auf den Menschen übertragen ließen, nennt Roth „auf geradezu absurde Art falsch“. Die Hirne von Affen und Menschen seien, bis auf die Größe, kaum zu unterscheiden. „Affen und Menschen haben eine gemeinsame Stammesgeschichte, was heutzutage nur noch Fundamentalisten und Kreationisten leugnen“, schimpft Roth. „Da könnte man auch sagen: Die Erde ist eine Scheibe.“ Andere Verfahren, Kernspintomografie zum Beispiel, hätten eine viel zu geringe Auflösung, um sich für diesen Zweck zu eignen. „Das weiß jeder, der sich auch nur laienhaft mit den Methoden der Hirnforschung beschäftigt hat.“ Dass die Bremer Politik so in die Arbeit von Professor Kreiter eingreift, schockiere ihn: „Das ist eine Kleinstädterei sondergleichen.“

Kundgebung vor dem Labor

Und jetzt? Wie weiter? Neulich gab es eine Kundgebung vor seinem Labor. Da ist Andreas Kreiter angespuckt worden. Es gab Plakate in der Stadt gegen seine Forschung, ganzseitige Anzeigen in der Lokalpresse. Er erhält Mails, die man als Drohung verstehen kann.

An diesem Montag sind die Versuche rasch beendet, nach einer halben Stunde, 100 Klicks. An anderen Tagen schafft Boti 400. Aber jetzt hat er keine Lust mehr. Sie werden weitermachen, am nächsten Tag. Wenn Boti wieder Durst hat.

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