Zinsen nicht bezahltIst Russland wirklich zahlungsunfähig?

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Wladimir Putin

Frankfurt am Main – Erstmals seit 1918 kann Russland die Zinsen für Staatsanleihen nicht mehr zahlen – dabei ist mehr als ausreichend Geld in Putins Kasse. Sein Finanzminister spricht von einer Farce, weil Zahlungen durch Sanktionen unmöglich gemacht werden. Wie geht es jetzt weiter?

Jetzt ist es passiert. Russland hat erstmals seit 1918 keine Zinsen für Staatsanleihen gezahlt. Das bedeutet aber nicht, dass das Land nun pleite ist. Die G7-Staaten wollen nun weitere Schritte unternehmen, um Putins Machtapparat noch mehr Geld zu entziehen.

Zuerst hatten am Sonntagabend Gläubiger in Taiwan gemeldet, dass ausstehende Zahlungen nicht geleistet wurden. Dabei wäre das Geld schon Ende Mai fällig gewesen. Es wurden noch 30 Tage Schonfrist gewährt, aber auch das änderte nichts. Es handelt sich um die eigentlich regelmäßigen Überweisungen, die der russische Staat für zwei Anleihen tätigen muss. Die eine über 29 Millionen Euro läuft bis 2036 und die andere über 71 Millionen Dollar wird 2026 fällig.

Russland sitzt auf gigantischen Währungsreserven

Argentinien und Griechenland haben in der Vergangenheit mit Zahlungsausfällen bei Staatsschulden für viele Schlagzeilen gesorgt. Das kam bei beiden Ländern einem Staatsbankrott gleich – es fehlte an Liquidität, weil die Einnahmen zu gering waren und weil internationale Investoren wegen schweren Krisen in den Ländern nicht mehr bereit waren, frisches Geld zur Verfügung zu stellen. Üblicherweise leihen sich die nationalen Finanzministerien in einer Art rollierendem Verfahren ständig neues Geld, auch um bestehende Zahlungsverpflichtungen zu bedienen.

Im Fall von Russland sieht die Sache anders aus.

Die Staatsverschuldung von Putins Reich ist mit nur rund 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts extrem niedrig. Zugleich hat die Zentralbank riesige Guthaben in den vergangenen Jahren gehortet. Es handelt sich um rund 600 Milliarden Dollar. Insider sind davon überzeugt, dass diese gigantischen Reserven in Fremdwährungen angelegt wurden, für das, was gerade passiert: ein russischer Angriffskrieg.

Hinzu kommen Einnahmen aus den Öl- und Gasgeschäften, die sich seit dem Beginn der Kampfhandlungen in einer hohen dreistelligen Milliardenhöhe bewegen dürften. Dem stehen insgesamt laufende Staatsanleihen bei ausländischen Gläubigern in einem Gesamtvolumen von rund 40 Milliarden Dollar gegenüber.

Russland weitgehend vom globalen Finanzmarkt ausgeschlossen

Aber: Russland kann wegen der Sanktionen der Industriestaaten nicht zahlen. Die Auslandsguthaben der Zentralbank sind eingefroren. Das US-Finanzministerium hat zudem gerade erst US-Investoren verboten, weitere Zinszahlungen vom russischen Staat anzunehmen. Und die EU hat Russlands Abwickler für Zinszahlungen im Ausland kürzlich ebenfalls mit Sanktionen belegt. Der Staat und auch die Banken sind also weitgehend vom globalen Finanzmarkt ausgeschlossen.

Ein US-Regierungsvertreter sagte am Montag: „Die morgendlichen Nachrichten über den russischen Zahlungsausfall zeigen, wie stark die Maßnahmen wirken, die die USA und ihre Verbündeten unternommen haben und wie dramatisch die Auswirkungen auf die russische Ökonomie sind.“ Allerdings ist Russland derzeit gar nicht darauf angewiesen, sich im Ausland Geld zu leihen – eben wegen der Einnahmen im Energiegeschäft. Auf absehbare Zeit dürften keine neuen Staatsanleihen internationalen Investoren mehr angeboten werden.

Ratingagenturen können Staatspleite gar nicht feststellen

Russlands Finanzminister Anton Siluanow hatte bereits Ende voriger Woche, als sich die Eskalation andeutete, die Lage als „eine Farce“ bezeichnet. Er bekräftigte, dass sein Land die Mittel und den Willen habe, um die Zinszahlungen zu begleichen. Jeder könne deklarieren, was immer er wolle, aber jeder der verstehe, was da gerade passiere, wisse, dass dies in keinerlei Hinsicht ein tatsächlicher Zahlungsausfall sei.

Siluanow sprach von höherer Gewalt und einer künstlich herbeigeführten Zahlungsunfähigkeit. Hinzu kommt, dass eine Staatspleite quasi offiziell von den großen Ratingagenturen festgestellt werden muss. Doch die können dies derzeit gar nicht tun, da auch diese mit Sanktionen belegt sind.

Geprellte Gläubiger hoffen auf Lockerung der Sanktionen

Alles also nur eine symbolische Aktion des Westens? Nicht ganz. Analysten und Analystinnen sind sich sicher, dass die aktuellen Verwerfungen langfristig die Reputation Russlands auf den Finanzmärkten beeinträchtigen wird. Und dass all dies Putin nicht gleichgültig ist, lässt sich daran erkennen, dass er kürzlich ein Dekret erlassen hat, demzufolge aus russischer Sicht Forderungen beglichen sind, wenn die ausstehende Summe in Rubel an die Zahlungsabwickler in den Ländern überwiesen sind.

Ende voriger Woche wurden nach Informationen der Finanznachrichtenagentur Bloomberg mit diesem Verfahren Überweisungen in einem Wert von 400 Millionen Dollar auf den Weg gebracht. Unklar ist nun aber nicht nur, wie dies rechtlich zu bewerten ist, sondern auch, welche Gerichte überhaupt darüber entscheiden können.

Sanktionen werden nun sogar noch verschärft

Offen ist derweil auch, was die geprellten Investoren tun. Laut Bloomberg können die Gläubiger selbst einen Zahlungsausfall feststellen lassen, wenn 25 Prozent bei einem solchen Prozedere mitmachen. Dann würde unter Umständen die Rückzahlung des gesamten verliehenen Kapitals aus den beiden Anleihen sofort fällig gestellt.

Russland würde sich wahrscheinlich aber darauf nicht einlassen. Fachleute des japanischen Wirtschaftsforschungsinstituts Nomura Research gehen deshalb davon aus, dass die meisten Halter der Anleihen eine abwartende Haltung („wait and see“) einnehmen werden, in der Hoffnung auf eine Lockerung der Sanktionen.

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Doch das Gegenteil davon wurde von den G7-Staatschefs am Montag auf Schloss Elmau besprochen. Laut Nachrichtenagentur Reuters soll zu möglichen zusätzlichen Sanktionen auch eine Preisobergrenze für russisches Öl gehören, um die Einnahmen von Putins Staat zu drücken. Auch Indien solle dafür ins Boot geholt werden. Das Riesenland hat zuletzt die Ölimporte aus Russland verstärkt – der Rohstoff wurde quasi zu Sonderangebotspreisen verkauft.

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