Rückkehr zu Meisner-Dogma?Woelki hat die Hoffnung auf Neuanfang nicht erfüllt

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Der Kölner Erzbischof Rainer Woelki

Köln – Weiße Wände, modernes Büro-Design, zeitgenössische Kunst – als Kardinal Rainer Woelki die ersten Gäste durch das Bischofshaus in der Kardinal-Frings-Straße führt, sind die Räume kaum wiederzuerkennen. Diese Umgestaltung ist keine Renovierung, es ist eine Demonstration: Die Ära Meisner ist vorbei.

Damit die Besucher sich das nicht nur denken oder es sich in meisner-kritischer Anwandlung zurechtlegen, sagt es der neue Erzbischof, der ehedem Sekretär des alten und danach sein Weihbischof war, auch ganz unverblümt: Niemand, der hier hereinkommt, soll sich an die Düsternis erinnert fühlen, die hier einst herrschte – optisch und mental.

Das alles ist gerade dreieinhalb Jahre her. Doch die Symbolik des Neuanfangs nach Woelkis Amtsantritt im September 2014 hat sich abgenutzt. Im Auftreten des 61-Jährigen mehren sich die Momente, die auf frappierende Weise an Meisner erinnern – „in Gedanken, Worten und Werken“, wie es im Schuldbekenntnis zu Beginn jeder Messfeier heißt.

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Woelkis Kampf gegen die Ökumene

Am spektakulärsten und kirchenpolitisch gravierendsten ist ein vom „Kölner Stadt-Anzeiger“ veröffentlichter Brief Woelkis an den Vatikan, mit dem er und sechs weitere Oberhirten einen Mehrheits-Beschluss der Bischöfe für eine mögliche Teilnahme evangelischer Christen an der Kommunion zu Fall bringen wollen. Dieser Hilferuf nach Rom – ohne Wissen der Bischofskonferenz und ihres Vorsitzenden, Kardinal Reinhard Marx – ist ganz und gar Methode Meisner.

Es kommt nicht von ungefähr, dass Woelki die Konfrontation gerade beim Thema Ökumene sucht. Nach anfänglichen Lockerungsübungen, die ihn außer freundlichen Worten nichts kosteten, ist der Erzbischof zu einer dogmatischen Unbeweglichkeit zurückgekehrt, die im konservativen katholischen Spektrum als Lackmustest für Rechtgläubigkeit gilt.

Und in dieser Frage will einer wie Woelki, der zwar in Rom promoviert hat, sich selbst aber erklärtermaßen nicht für den theologischen Stabhochspringer hält, keinesfalls Zweifel an sich aufkommen lassen. Daher rührt sein Widerstand gegen ein katholisch-evangelisches Kooperationsmodell beim Religionsunterricht.

Einsatz für Flüchtlinge ist ihm wichtig

Darum ging er im Reformationsjahr 2017 einem gemeinsamen Bekenntnis zur Ökumene mit dem rheinischen Präses Manfred Rekowski konsequent aus dem Weg, weil er – so die Interpretation seiner evangelischen Gesprächspartner – gewusst habe: Belasse ich es bei Floskeln, wird das Ausweichen erkennbar; sage ich aber, was ich denke, kommt es zum Eklat. „Was Woelki propagiert, ist Rückkehr-Ökumene – der anti-protestantische, anti-moderne Reflex des 19. Jahrhunderts“, sagt ein deutscher Bischof, der den Kölner Mitbruder seit Jahren in den Gremien der Bischofskonferenz erlebt. „Ich habe nie verstanden, wieso gegenüber Woelki alle wie blind waren“, fügt er hinzu.

Kardinal Woelki an Karneval.

Kardinal Woelki an Karneval.

Blindheit sei aber nicht das richtige Wort, sagt jemand aus Woelkis engstem Umfeld. Die Aufmerksamkeit der kirchlichen und nicht-kirchlichen Öffentlichkeit habe in der ersten Phase nach Woelkis Amtsantritt zu Recht auf dem gelegen, was der neue Erzbischof an Neuerungen von Berlin nach Köln mitgebracht habe: die hohe Sensibilität für soziale Verwerfungen, die Betonung der kirchlichen Sorge für die Armen und Ausgegrenzten – und dann ab 2015 Woelkis Einsatz für die Flüchtlinge. „Das meint er ehrlich, damit ist es ihm ernst, das ist kein linkes Tarnmäntelchen.“

Aber was ist es dann? Es muss ja etwas dahinterstecken, wenn der oberste Laienvertreter im Erzbistum, Tim Kurzbach, in den Gremien und in den Gemeinden immer öfter den Satz zu hören bekommt, „es ist heute schlimmer als unter Meisner“.

„Der Kölner Mitbruder ist eine Ich-AG.“

Keine Ortung, keine Ordnung, heißt es. Was die Bistumsverwaltung betrifft, eine Riesenbehörde mit mehr als 600 Mitarbeitern, da habe Meisner immer die Führungsrolle seines jeweiligen Generalvikars respektiert und nicht in dessen Domäne hineinregiert.

Das habe sich unter Woelki geändert, der ein tiefes Grundmisstrauen gegen „den Apparat“ hege, aber gerade deshalb den Zugriff beanspruche. Die Abberufung von Generalvikar Dominik Meiering vor zwei Wochen erklärt einer, der beide gut kennt, auch als Folge dieser Konstellation, die es so unter Meisner nicht gegeben habe.

Rainer Maria Wölki in seinem Haus.

Rainer Maria Wölki in seinem Haus.

Vergleiche eines Amtsinhabers mit seinem Vorgänger seien immer schwierig, sagt Kurzbach, der Vorsitzende des Diözesanrats. „Aber sicher hat Kardinal Woelki die Hoffnungen und Erwartungen auf Veränderungen in der Kölner Kirche nicht erfüllt. Es fehlt der mutige Aufbruch mit den Menschen, die das Leben in den Gemeinden tragen. Stattdessen kommen ständig neue Signale, die einen Weg rückwärts befürchten lassen. Und dass der Erzbischof weder sagt, was er will, noch erklärt, was er tut – das macht alles noch schlimmer und noch schwerer verstehbar.“

Einer, der ihn aus langer persönlicher Kenntnis zu verstehen glaubt, warnt davor, jedes Wort und jede Entscheidung des Erzbischofs als Teil einer Strategie zu interpretieren. „Da ist bei ihm sehr viel mehr Persönliches im Spiel als Programmatisches.“ Ein Mitglied der Bischofskonferenz sagt es drastischer: „Der Kölner Mitbruder ist eine Ich-AG.“

Vera Krause als Vertraute soll Probleme bereiten

Der Mangel an Zusammenhalt, so scheint es, ist derzeit im Erzbistum Woelkis größtes Problem. Wieder sagen Menschen aus seiner Umgebung, Woelki habe sich dies selbst zuzuschreiben – und sie geben dem Problem auch einen Namen: Vera Krause.

Von Woelki als Leiterin einer eigens eingerichteten Diözesanstelle eingesetzt, genießt die Theologin zusammen mit Büroleiterin Gerlinde Schlüter, die der Kardinal aus Berlin importiert hat, Woelkis höchstes Vertrauen – und Privilegien an allen angestammten Kompetenzen und Strukturen vorbei. Krause soll die schwierigen Prozesse der Um- und Neugestaltung in den Pfarrgemeinden moderieren.

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In einer Situation der Unsicherheit über die Richtung, die der „pastorale Zukunftsweg“ nehmen soll, werfen selbst höchste Mitarbeiter dem Erzbischof Unklarheit und Unentschlossenheit vor, die wiederum ihr Pendant in Krauses nebulöser Terminologie hätten. Andererseits weiß sich die mit bissigem Spott als „Generalvikarin“ titulierte Krause im inneren Gefüge sehr wohl zu behaupten. Selbst Meiering, nominell als Generalvikar das „Alter Ego“ des Erzbischofs, musste erleben, dass von ihm getroffene Entscheidungen auf dem Umweg über Krause vom Kardinal revidiert wurden.

Krause, so wird erzählt, rede in allen Fragen mit und hinein, und wenn Schlüter Woelki etwas zum Lesen auf den Tisch lege mit dem Satz „also, Herr Kardinal, das geht doch nun gar nicht“, dann habe das mitunter fast Gesetzeskraft. Im Kölner Klerus geht die Frotzelei um: Alles, was heute im Erzbistum passiert, müsse erst „verafiziert“ werden – „gerlinde gesagt“.

Gibt es eine Führungs- und Autoritätskrise?

Zieht man von solchem Spott die Vorbehalte männlicher Kleriker gegen Frauen ab, die (ihnen) etwas zu sagen haben, dann zeugt er gleichwohl von einer tiefen Führungs- und Autoritätskrise. Diese hängt zusammen mit der Persönlichkeit des Kardinals, mit seinem Selbstbild und seiner Herkunft aus – wie man so sagt – kleinen Verhältnissen.

Woelki will eines partout nicht sein: Establishment. Deshalb seine Vorbehalte gegen etablierte Strukturen. Deshalb sein unkonventionelles Auftreten – in Jeans und manchmal hemdsärmeliger Sprache. Deshalb die Anhänglichkeit des „Mülheimer Jung“ an den FC.

Der Kardinal ist auch FC-Fan.

Der Kardinal ist auch FC-Fan.

Das Paradox ist nur: Wer gehört in dieser Gesellschaft eigentlich zum Establishment, wenn nicht der Kardinalerzbischof von Köln? In Berlin war diese Spannung nicht so deutlich, weil die katholische Kirche in der Diaspora eine andere Rolle spielt. Aber im Rheinland?

Da ist er wer, der Herr Kardinal – den hier gar nicht wenige ohne Ironie mit „Eminenz“ anreden. Mit der These eines inneren Konflikts von Rolle und Habitus und den damit verbundenen äußeren Erwartungen an sein Amt ergibt vieles von dem Sinn, was in Woelkis Agieren so seltsam erratisch wirkt – und es erklärt auch, warum er heute in manchem so an seinen Vorgänger erinnert. „Wenn Sie die Zäsur suchen, gehen Sie im Kalender zurück zum 5. Juli 2017“, sagt ein Insider.

Die von Woelki erkannte Notwendigkeit, sich von Meisner abzusetzen und sich von ihm nicht am Gängelband führen zu lassen, war mit Meisners Todestag hinfällig. Von da an konnte Woelki in theologischen und kirchenpolitischen Urteilen, die er tief in seinem Herzen mit Meisner teilt, ganz er selbst sein, ohne dafür – wie es im Erzbistum sarkastisch heißt – „zu lang an Meisners Grab gebetet“ haben zu müssen.

Ein Kirchenfürst, der keiner sein möchte, aber doch das Sagen haben will. Und einer, der als Teil des Establishments den Aufstand gegen das Establishment probt. Das ist Kardinal Rainer Woelki im Frühjahr 2018. Wohin ihn diese komplizierte Suche nach sich selbst führt, ist offen.

Entscheiden wird es sich an der Frage, wohin er das Erzbistum Köln zu führen gedenkt. Und mit wem.

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