Seit Wochen MassenprotesteBeim Fall Hongkong zeigt China sein wahres Gesicht

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HOngkong Police Fire

Die Polizei feuert Tränengas bei erneuten Unruhen in Hongkong ab.

  • Seit Wochen protestieren Zehntausende Junge Menschen in Hongkong – auch gegen den wachsenden Einfluss Chinas auf die Sonderverwaltungszone.
  • Mehr als 600 junge Menschen wurden bereits festgenommen. Der Staat agiert teils rigoros. China zeigt damit sein wahres Gesicht.
  • Der Westen schaut weitgehend zu, auch die EU. Denn sobald wirtschaftliche Interessen tangiert werden, wird geschwiegen.

Köln – Sie wollen die Gewalt nicht länger hinnehmen. Tausende demonstrieren, in schwarz gekleidet und mit Augenbinde, gegen die enthemmte Polizei von Hongkong. Diese geht außerordentlich brutal gegen die Demokratieaktivisten vor. Und viele glauben, dass dies ein Vorgeschmack darauf ist, was aus Peking noch zu erwarten ist. Wie von Sinnen prügeln Polizisten auf Demonstranten ein. Sie mischen sich in Zivil unter die Demonstrationszüge und tätigen Verhaftungen.

Mehr als 600 junge Menschen wurden festgenommen. Die Polizei schießt mit Gummigeschosse auf fliehende junge Menschen, kaum älter als 18, 19 Jahre, und feuern mit Tränengas in U-Bahnstationen. So verfahren Hongkonger Sicherheitskräfte mit der Demokratiebewegung, zu der vor allem jungen Menschen zählen, die auf eine politische Teilhabe, Presse- und Meinungsfreiheit pochen.

Anders als in Deutschland, wo Meinungsumfragen eine Demokratiemüdigkeit unter den Bürgern festgestellt haben wollen, kämpfen Menschen der Generation Z mit ihrem Leben um politische Freiheit. Kontrastreicher könnte das Bild zwischen Westen und Osten kaum sein. Diese Proteste haben sich in den vergangenen Wochen zu einer breiteren Bewegung gegen die Hongkonger Regierung und das harte Vorgehen ihrer Polizei entwickelt. Daher fordern die Demonstranten auch den Rücktritt der Hongkonger Regierungschefin Lam. Ausgangspunkt war ein umstrittener Gesetzentwurf, der die Auslieferung von Straftätern an China regeln sollte. Dahinter steht zudem die Furcht, dass Peking der einstigen britischen Kronkolonie die demokratischen Möglichkeiten weiter einschränkt.Aus Solidarität mit einer jungen Frau, die durch ein Polizeigeschoss vermutlich ihr Augenlicht auf der einen Seite verlieren wird, tragen die Demonstranten Augenbinden. Das Foto der am Boden liegenden Frau, die aus ihrem rechten Auge blutet, ging am letzten Wochenende in den sozialen Medien um. Die Brutalität der Hongkonger Polizisten ist ein Beispiel des Autoritarismus Pekings. 

Man erkennt die Diktatur nicht

Die Welt blickt bislang anders auf China. Man erkennt in dem Riesenreich nicht die Diktatur, die es ist. Nach langen Jahren der Abwesenheit war das Reich der Mitte mit Riesenschritten auf die Weltbühne zurückgekehrt. Ökonomisch und auch politisch ist es in den letzten zwei Jahrzehnten zu einer Großmacht mit unübersehbar wachsendem Selbstbewusstsein und globalen Ambitionen geworden. Vor noch nicht allzu langer Zeit bedeutete Globalisierung vor allem, dass westliche Unternehmen in Asien investieren. Heute fließt Geld oft in die andere Richtung. Der Seidenstraßen-Projekt ist nur ein Beispiel für die gigantischen Ambitionen des Landes. Chinas Seidenstraßen sind nämlich nicht nur, wie man in Anlehnung an die historische Seidenstraße denken könnte, Landwege, zeigte der britische Historiker Peter Frankopan in seinem jüngsten Buch „Die neuen Seidenstraßen“ (Rowohlt-Verlag) auf. Sondern sie sind eine Vielzahl von Straßen zu Lande und zu Wasser, sie sind ein ganzes Netz. Den Aufbau der Infrastruktur für dieses Netzwerk habe China, erklärt Frankopan, sich seit einigen Jahrzehnten zur Aufgabe gemacht – in Zentralasien, auf dem afrikanischen Kontinent und in Südosteuropa. So hat es sich Reputation erarbeitet und Kontrolle gewonnen. Wird dies aber zur Erreichung der geopolitischen Dominanz ausreichen?

Es stehen den rasanten wirtschaftlichen Fortschritten des Landes verkrustete politische Strukturen und große gesellschaftliche Probleme gegenüber. Sie machen deutlich, dass das Hochglanz-China der Boom-Towns und der Weltraumraketen und das China des ländlichen Elends und der rechtlosen Bauern in einem bislang ungelösten Spannungsverhältnis zueinander stehen, das durchaus dramatische Züge aufweist.

So sieht sich das Riesenland mit gewaltigen Umweltproblemen, einem eskalierenden Reichtumsgefälle, wachsenden sozialen Spannungen und einem gefährlichen politischen Reformstau konfrontiert. Die Widersprüche sind eklatant. Werden sie nicht gelöst, wird das nicht ohne Folgen für den Rest der Welt bleiben, befürchten viele Experten.

Chinas Führer blicken ängstlich auf ihr Land

In China finden Weichenstellungen statt, die sich auf die Weltordnung insgesamt und auf unsere Konzepte von Politik und Macht auswirken werden. Mit den tieferen Ursachen des Verhaltens der chinesischen Regierung – nicht nur gegenüber nationalen Minderheiten – hatte sich etwa der Historiker Helwig Schmidt-Glintzer befasst. Er versuchte, einerseits Verständnis für chinesische Denkweisen zu vermitteln, ohne dabei freilich der Pekinger Regierung in allen Lebenslagen argumentativ nach dem Mund zu reden. China, beziehungsweise seine Regierung, hat, so seine These, Angst vor der Freiheit. Diese Freiheit ist mit Chaos und Zügellosigkeit in der Sichtweise Pekings gleichzusetzen, argumentiert Schmidt-Glintzer. Klar ist aus seiner Sicht, dass auch ein freiheitlich verfasstes China nicht das bloße Abbild eines europäischen oder anderen westlichen Landes wäre.

Während Chinas Führer ängstlich auf ihr Land blicken, ist ihr Umgang mit der Außenwelt von zunehmendem Selbstbewusstsein, das zuweilen in die bekannte Arroganz des Neureichen umschlägt, geprägt. Chinas Eliten sind dabei, ein eigenes Modell der Globalisierung zu entwickeln, das auf andere Weltgegenden abfärbt und als Gegenentwurf zum europäisch-amerikanischen Modell gesehen wird. Man beklagt, dass China viel zu lange danach gestrebt habe, ausländische Modelle und Ideen zu kopieren, anstatt sich auf die eigene Kraft zu verlassen. Wie weit dieses Streben nach intellektueller Autarkie der heutigen und künftigen Welt gerecht wird, bleibt abzuwarten. Ignorieren darf man es nicht. Der Politikwissenschaftler Mark Leonard arbeitet in seinem Buch „Was denkt China?“ heraus, dass die (systemkonformen) Denker innerhalb der Führungsstruktur die Funktionen ausüben, die in westlichen Systemen Parteien und gesellschaftliche Gruppen haben. Insofern ist auch das „neue China“ strukturell durchaus von dieser Welt.

Der Politikwissenschaftler Parag Khanna hatte im Gespräch mit dieser Zeitung darauf verwiesen, dass Asien eben nicht nur China sei und im Grunde die meisten Demokraten der Welt auf diesem Kontinent versammelt seien. „China ist eine Diktatur“, sagte er. Und die müsse man nicht mögen. In der Tat ist das, was die Welt in diesen Wochen in Hongkong aufblitzen sieht, ein Vorgeschmack, was passiert, wenn man sich mit den Machthabern Chinas anlegt. Es ist eben dann nicht mehr die in sich ruhende, friedliebende Macht, der nur an stiller ökonomischer Expansion gelegen ist. China ist ein Land, in dem massive Menschenrechtsverletzungen begangen werden. Es ist im negativen Sinne ein Gegenmodell zu den offenen Gesellschaften Europas. Würde in China, auf dem Festland, das Gleiche geschehen wie gerade in dessen Sonderverwaltungszone, würden die Sicherheitskräfte ungleich härter und schneller zuschlagen. Darüber muss sich niemand Illusionen machen. Das wahre Gesicht des KP-Staates ist antidemokratisch.

Kaum Widerstand aus dem Westen

Umso erstaunter ist man, dass sich im Westen, in Europa und den USA kaum Widerstand gegen das Vorgehen regt. Gewiss, US-Präsident Donald Trump mahnt auf Twitter, China solle ruhigbleiben. Er nutzt die Vorgänge, um seine Politik der Handelszölle gegen Peking noch einmal zu legitimieren und China als den Bösewicht hinzustellen, der er tatsächlich auch ist. Europa gibt wieder das Bild ab, das man von ihm kennt. Sobald wirtschaftliche Interessen tangiert sind, halten sich die Politiker mit Kritik zurück: Das gilt für CDU-Politiker genauso wie für solche aus der SPD. Wo sonst vollmundig angeschwärzt wird, ist im Falle von China plötzlich Enthaltsamkeit angesagt.

Dabei kämpft ausgerechnet in Fernost eine junge Generation um die Werte, die auch dem Westen eine eigene Identität verliehen haben. Die Hongkonger Demokratiebewegung erfährt aus der Politik der westlichen Länder öffentlich viel zu wenig Zustimmung. Die Zurückhaltung im demokratischen Teil der Welt ist mehr als nur bedauerlich. So wird die eigene Glaubwürdigkeit als ein erfolgreiches gesellschaftliches Modell untergraben. Auf was sonst sollen sich die jungen Demokraten aber stützen? 

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