SicherheitNeues Polizeigesetz in Bayern wird verabschiedet – Das sind die Regelungen

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Polizei Bayern Wappen

Berlin – Auch bei denen, die von dem Gesetz profitieren sollen, ist die Skepsis groß. „Das Polizeiaufgabengesetz enthält Regelungen, die nicht dazu dienen, das Vertrauen zwischen der Bevölkerung und der Polizei zu stabilisieren“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jörg Radek, am Montag dieser Zeitung. „Sie sind eher darauf angelegt, Misstrauen in den Staat zu säen.“ Er fügte hinzu: „Man sollte sich gut überlegen, ob man ein solches Gesetz haben möchte. Es ist mit einer bürgernahen Polizei nicht mehr in Einklang zu bringen.“

Rund 40.000 Menschen demonstrierten in München

Ungeachtet dessen ist es am Dienstagnachmittag soweit. Unter Punkt sechs der um 14 Uhr beginnenden Sitzung des bayerischen Landtages steht die Verabschiedung des Polizeiaufgabengesetzes auf der Tagesordnung. Es gibt Änderungsanträge der CSU, der Freien Wähler und der fraktionslosen Abgeordneten Claudia Stamm. Große Teile der bayerischen Opposition haben sich derweil bereits am Donnerstag voriger Woche auf den Straßen der Landeshauptstadt bemerkbar gemacht. 30.000 bis 40.000 Menschen zogen durch München und sagten generell Nein zu dem Gesetz. Mancher fühlte sich dabei an alte Zeiten erinnert – an den Widerstand gegen die atomare Wiederaufbereitungsanlage im oberpfälzischen Wackersdorf.

Nichts hat Bayern zuletzt so aufgewühlt wie das Polizeiaufgabengesetz. Und das aus zwei Gründen.

In der Hauptsache geht es um das Gesetz selbst. Das ist einerseits keine bayerische Spezialität. Denn es handelt sich um eine Anpassung an europäische Datenschutzvorgaben und an ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Bundeskriminalamts-Gesetz von 2016, die auch in anderen Ländern vorgenommen wird. Andererseits – da sind sich die Fachleute einig – ist die Anpassung nirgends so drastisch wie im Freistaat. Dies hat wesentlich mit dem Begriff der „drohenden Gefahr“ zu tun, der laut BKA-Gesetz bisher für Terrorakte reserviert war. Er soll nun durchgehend an die Stelle der „konkreten Gefahr“ treten und verbunden mit dem Schutz eines mutmaßlich „bedeutenden Rechtgutes“ bestimmte Polizeimaßnahmen rechtfertigen.

Körperkameras sollen ununterbrochen laufen

Zu diesen Maßnahmen gehören verdeckte Ermittlungen, das Abhören von Telefonen oder Onlinedurchsuchungen. Geplant ist ferner, dass Sicherheitskräfte genetische Spuren an Tatorten auf Merkmale des Trägers hin untersuchen dürfen, also Haar- und Augenfarbe oder die Herkunft. Die Polizei könnte ohnehin weitaus öfter die DNA von Verdächtigen nehmen, als dies bisher der Fall ist. Es soll zum Routineeingriff werden – vergleichbar der Erfassung von Fingerabdrücken. Eine Neuerung wäre überdies, dass die Polizei Pakete und Briefe sicherstellen und auswerten darf, sobald sie eine „drohende Gefahr“ vorhersagt. Nach Angaben der Landesregierung ist dies eine notwendige Anpassung an das Darknet, einen verborgenen Bereich des Internet, über das Drogen und Waffen gehandelt werden. Strittig ist schließlich, dass Körperkameras an den Uniformen von Polizisten ununterbrochen laufen sollen. Gespeichert würden die Aufnahmen so lange, bis der Beamte auf einen Knopf drückt.

Zwar hat die CSU-geführte Regierung vereinzelt Zugeständnisse gemacht. So wurde die automatisierte Gesichtserkennung bei Überwachungsmaßnahmen gestrichen. Ministerpräsident Markus Söder hat am Wochenende zudem eine Kommission einberufen, die die Umsetzung des Gesetzes kritisch begleiten soll. Er beteuerte ansonsten: „Ich bin wirklich überzeugt, dass wir etwas brauchen, das der Polizei rechtliche Möglichkeiten gibt, auf neue Herausforderungen und Bedrohungen zu reagieren.“ Als Beispiele nannte der CSU-Politiker Amokläufe, Terrorismus, aber auch Stalking. Hier habe die Polizei in den vergangenen Jahren unzureichende Möglichkeiten gehabt. Ziel der geplanten Neuregelung sei, „Opfer zu verhindern“, Aufgabe sei der „Schutz des Lebens“. Doch die Kritiker besänftigt das nicht. Sie fürchten eine Polizei mit geheimdienstlichen Befugnissen.

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Hinzu kommt, dass die innenpolitische Stimmung aufgeheizt ist. So übt sich die CSU vielfach in Polarisierung, um im Vorfeld der bayerischen Landtagswahl am 14. Oktober die AfD klein zu halten. Innenminister Joachim Herrmann nannte die Kritik an dem Gesetz teilweise „Lügenpropaganda“. Generalsekretär Markus Blume warnte vor einer „Zusammenrottung des linken Lagers“. Der Bundestagsabgeordnete Michael Kuffer ließ wissen, wenn 40000 Menschen demonstrierten, dann seien das ja nur 0,3 Prozent der Wahlberechtigten.

Der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar ist unterdessen noch skeptischer als der eingangs zitierte Polizeigewerkschafter Radek. „Das Polizeiaufgabengesetz senkt die Eingriffsschwelle für die Polizei unverhältnismäßig ab“, erklärte er dieser Zeitung im Vorfeld der Abstimmung am Dienstag. „Im Ergebnis werden eingriffsintensive Ermittlungsmaßnahmen – etwa das Durchsuchen von Smartphones und Tablet-Computern – auch ohne richterliche Anordnung ermöglicht. Dies halte ich für verfassungsrechtlich nicht tragbar.“

Der einstige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) hat schon eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt.

Polizeiaufgabengesetze in anderen Bundesländern

Nicht nur in Bayern, auch in den anderen deutschen Bundesländern werden die Polizeiaufgabengesetze derzeit an die neuen Datenschutzrichtlinien der EU und an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz angepasst. In Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern wurden bereits reformierte Gesetze verabschiedet, in anderen ist eine Ausweitung der Aufgaben und Befugnisse der Polizisten in Planung. Viele Entwürfe zur Verschärfung der Polizeigesetze stoßen dabei auf massive Kritik.

In Nordrhein-Westfalen soll das sogenannte „Sicherheitspaket 1“ der schwarz-gelben Landesregierung noch vor der Sommerpause vom Düsseldorfer Landtag verabschiedet werden. Der Entwurf sieht unter anderem vor, bestimmte Gruppen von Verdächtigen deutlich länger in Gewahrsam nehmen zu können. So sollen etwa terroristische Gefährder nicht mehr nur 48 Stunden, sondern bis zu 28 Tage festgehalten werden können. Außerdem sollen Polizisten auf richterliche Anordnung präventiv Telefonate und mobile Kommunikation, etwa in Whatsapp-Chats, verfolgen dürfen. Zudem soll ihnen erlaubt werden, verdachtsunabhängige Verkehrskontrollen durchzuführen, um Banden, die über die Landesgrenzen hinweg operieren, die Arbeit zu erschweren. Datenschützer kritisierten die Pläne massiv. Die Opposition hält einzelne Punkte für verfassungswidrig und prüft eine Klage.

In Niedersachsen stoßen die Pläne zur Verschärfung des Polizeigesetzes von Innenminister Boris Pistorius (SPD) ebenfalls auf Widerstand. Der Entwurf sieht unter anderem die präventive Kommunikationsüberwachung auch verschlüsselter Sprachnachrichten, die Online-Durchsuchung und den Einsatz elektronischer Fußfesseln zur Überwachung vor. Gefährder sollen zudem künftig länger, nämlich für 74 Tage präventiv in Haft genommen werden können. Zudem sollen Polizisten künftig sogenannte Bodycams tragen: an der Schulter befestigte Kameras, mit denen die Beamten bei Bedarf den Einsatz filmen und aufzeichnen können. Das Gesetz soll noch vor dem Sommer im Parlament beraten werden.

In Bremen liegt der Gesetzesentwurf, der eigentlich noch vor der Sommerpause verabschiedet werden sollte, derzeit auf Eis. Die Bürgerschaftsfraktion der Grünen hatte ihrem Koalitionspartner SPD die Zustimmung verweigert. Vorgesehen hatte der Entwurf erweiterte Rechte bei der Überwachung der Telekommunikation, der Videoüberwachung im öffentlichen Raum und beim Einsatz elektronischer Fußfesseln. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International begrüßte den Widerstand der Grünen. Sie kommentierte: „Bremen ist nunmehr das erste Bundesland, in dem nach zivilgesellschaftlichem Widerstand das Gesetzesvorhaben vorerst gestoppt wurde.“

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