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Sind Weihnachtsgeschenke nötig?„Im Rausch des Kriegens verliert sich das Wollen“

Lesezeit 5 Minuten
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Weihnachtsgeschenke liegen unter einem geschmücktem Baum.

  • Jede Woche widmen wir uns einer Streitfrage und stellen ein Pro und ein Contra vor. In dieser Episode: Sind Weihnachtsgeschenke nötig?
  • Peter Berger geht die Freudlosigkeit der Nicht-Schenker auf die Nerven.
  • Claudia Lehnen findet, man überfordert Kinder und sich selbst mit endlosen Wunschzetteln.

Das Fest der Liebe ist auch ein Fest des Gebens und Nehmens. Ist das große Auspacken unterm Tannenbaum eine schöne Tradition oder bloßer Konsumterror? 

Pro: Schau mal. Das ist aber schön. Das könnte mir gefallen

Dieses Jahr schenken wir uns nichts. Wenn ich das schön höre, platzt mir der Kragen. Da stehen sie dann vor mir, diese Gutmenschen mit ihrem selbstgefälligen Blick, der sagen will: Haben wir doch wieder ein Opfer des Konsumterrors vor uns. Mit geht diese Freudlosigkeit auf die Nerven. Ich will mit meinen Päckchen doch einfach nur glücklich und zufrieden nach Hause gehen.

Die Nicht-Schenker predigen den Verzicht und fühlen sich dabei auch noch als etwas Besseres, weil sie dem Konsumrausch nicht erlegen sind, sich den Weihnachtsstress nicht aufbürden und das Fest ganz entspannt angehen wollen. Weil wir doch eh schon alles besitzen. Und wenn überhaupt, dann kaufen sie Gutscheine, deren Großteil nie eingelöst werden wird. Es könnte ja hochnotpeinlich sein, wenn man doch ein Geschenk bekommt und nichts dagegenhalten kann.

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Wer so schenkt, muss Weihnachten als puren Stress empfinden. Weil er sich einfach keine Gedanken machen will, mit welchem Geschenk er seinen Liebsten tatsächlich eine Freude machen könnte. Weil ihm einfach nichts einfällt. Schenken ist ganz einfach, wenn man zuhört und sich bemüht, sich die Wünsche seiner Liebsten zu merken, die die im Laufe des Jahres ganz unbewusst geäußert haben.

„Schau mal. Das ist aber schön. Das könnte mir gefallen.“ Es dürfte niemanden geben, der einen solchen Satz von Familie und Freunden noch nie gehört hat. Wie stressfrei kann das Schenken sein, wenn man das im Kopf behält, anstatt darüber hinwegzugehen und es sofort wieder zu vergessen. Es ist das reinste Vergnügen.

Und wer behauptet eigentlich, dass man Geschenke, sei es zu Weihnachten oder zum Geburtstag immer erst eine Woche vorher besorgen muss? Und was hat es mit Konsumrausch zu tun, jemanden wirklich zu überraschen? Und wie schön klingt doch der Satz an den Feiertagen. „Dass Du daran gedacht hast.“

Was meinen Sie? Sagen Sie uns Ihre Meinung!

Schreiben: Kölner Stadt-Anzeiger, 50590 Köln Faxen: 02 21/2 24-25 24 Mailen: leserforum@dumont.de

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Nein, wir schenken uns nichts. Wir schreiben auch keine Weihnachtskarten mehr, schicken Heiligabend einfach eine Massen-Whatsapp an alle. Mit einem tanzenden Nikolaus oder einem Weihnachtsbaum, der sich selbst schreddert. Das finden wir total originell und unglaublich witzig. Wenn wir das Filmchen dann massenhaft geteilt haben und es keiner mehr sehen kann, sind das Fest und der ganze Stress hoffentlich bald vorbei.

Nein. Ich lasse mir das Schenken nicht vermiesen. Ich liebe es, mir Gedanken zu machen, hin und her zu überlegen, was wem gefallen könnte. Es ist mir eine Lust, auf der Suche nach schönen Dingen durch kleine Läden zu stöbern. In Schaufenster zu gucken, um vielleicht ganz spontan etwas Schönes zu entdecken. In den kleinen Geschäften, die ihre Auslagen so liebevoll gestalten, dass es eine Augenweide ist.

Was ich dagegen ablehne, ist Online-Shoppen, weil es so vollkommen leidenschaftslos ist und ohne jeden Genuss geschieht. Aber ich freue mich über jedes individuelle Mitbringsel, das mir zeigt: Da hat aber jemand wirklich an mich gedacht. Geschenke verbinden. Egal ob sie selbst gemacht oder gekauft sind. Sie sollten nur von Herzen kommen.

Contra: Die Kette des gigantischen Kaufrauschs endet auf Müllbergen

Kennen Sie den Wunschzettel der Zehnjährigen, den vor kurzem ein verzweifelter Vater aus Los Angeles bei Twitter veröffentlichte? In zierlich unschuldiger Kinderschrift steht da schmucklos auf 29 Zeilen eines linierten Papiers allerhand Wertvolles: iPhone 11, Air Pods, neues MacBook Air, Gucci-Badelatschen, eine Chanel-Handtasche, die GoPro, 4000 Dollar in bar. Um nur einige Posten zu nennen. Mehr als 12 000 Dollar, so errechnete eine Twitter-Nutzerin, müssten die Eltern investieren, um am Heiligen Abend nicht das Risiko enttäuschter Kinderaugen in Kauf nehmen zu müssen.

Das Fest der Liebe ist ausgeartet in eine besinnungslose Huldigung völlig unverhältnismäßigen Konsums. Schon Zehnjährige verlieren im Rausch des Kriegens jedes Maß, aber auch jedes Gefühl dafür, was ihnen wirklich Freude bereiten würde. Was zur Folge hat, dass es heute auch Kinder gibt, deren Wunschzettel seltsam leer bleiben.

Denn: Was soll man sich denn auch wünschen, wenn das Kinderzimmer überquillt von Kuscheltieren, unausgepackten Bastelsets, ungeöffneten Buchgeschenken und originalverpackten sündhaft teuren Technik-Apparaturen, die man mal in letzter Sekunde auf einen Wunschzettel kritzelte, weil einem beim besten Willen nichts mehr einfiel, was man noch begehren könnte. Und die man dann vergaß, weil der Lustgewinn einer GoPro oder einer Comiczeichenmaschine im Alltag dann doch niemals so überzeugend daherkam, dass er zum Ausprobieren verleitet hätte.

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Die Vorweihnachtszeit dient in Familien vielfach nur noch einem Zweck: Fieberhaft und künstlich Bedürfnisse zu wecken, welche wir nie verspürt und schon gar nicht geäußert haben, um den ganzen Tanten, Opas und Freunden auspackbare Dinge zu nennen, mit denen sie am Heiligen Abend „eine Freude machen“ können.

Sicher, in Maßen kann das dazu führen, dass die Sechsjährige, die eine Blockflöte geschenkt bekommt, ihre Leidenschaft für das Musizieren entdeckt. Aber in der Fülle endet es damit, dass die Sechsjährige an Heiligabend zwischen Flöte, Eisenbahn, Mikroskop, ferngesteuertem Roboter und Tauchausrüstung sitzt und – erschlagen von der Flut an unersehnten Beschäftigungsangeboten – höchstens noch in der Lage ist, sich passiv ein paar Youtube-Videos reinzuziehen.

Und wer die Kette dieses orgiastischen Kaufrausches zu Ende denkt, der landet ziemlich prompt nicht nur bei vom flüchtigen Glücksgefühl überforderten Individuen, sondern auch vor einem ganzen Haufen Plastikmüll und Elektroschrott. Denn wo endet denn der niemals erwünschte und selten benutzte fluoreszierende Helikopterball, den man verzweifelt im Netz bestellte, weil er bei der Google-Recherche „Geschenke für Jungs“ auf einem der vordersten Plätze landete? Genau. Zusammen mit all dem Verpackungszeug auf den Erde und Meere überwuchernden Müllbergen.

Machen Sie Schluss damit. Verschenken Sie Selbstgemachtes, Wiederverwertetes, Zeit, Küsse, Komplimente, vielleicht sogar Ihr Herz. Und lassen Sie um Himmels willen die Finger von fluoreszierenden Plastik-Helikopterbällen. 

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