Skandal um rechte PolizistenNRW-Beamte versuchten, Kollegin zum Schweigen zu bringen

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Polizeiwache Symbolbild

Beamte einer Polizeiwache in Mülheim haben in mehreren Fällen Ärger mit der Justiz.

Essen/Köln – Es ist der Abend des 11. Januar 2019, als bei der Polizeiwache Mülheim/Ruhr ein Hilferuf eingeht: Von häuslicher Gewalt ist die Rede. Die beiden Polizeikommissare Peter M. und Maria S. (Namen geändert) fahren los. Um kurz nach 21 Uhr erreichen die Beamten der Dienstgruppe A den Einsatzort. Man stößt auf eine blutüberströmte Frau. Schnell stellt sich heraus, dass sie aus der Familienwohnung geflüchtet ist. Eine zweite Streife trifft ein. Die Beamten gehören der Dienstgruppe B an. Gemeinsam steigen die Polizisten zur Wohnung der Familie hinauf. Dort treffen sie den Vater der verletzten Frau an, einen Deutsch-Kosovaren. Im weiteren Geschehen soll Polizist Peter M. ausgerastet sein, den Mann gefesselt und auf ihn eingeschlagen haben. Zu jener Zeit stand der Vater Abaz L. unter Verdacht, seine Tochter verprügelt zu haben.

Der gewalttätige Polizeieinsatz wäre eigentlich automatisch ein Fall für den Staatsanwalt geworden. Doch nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ ließen die beiden Beamten M. und S. in ihrem Einsatzbericht sowohl das Fesseln als auch die Gewalt gegen den Vater unter den Tisch fallen. Das mit dem Treten habe er herausgenommen, teilte der Polizeikommissar M. in einer später sichergestellten Sprachnachricht seiner Kollegin mit. Die Polizisten gingen aber noch weiter und fertigten eine Strafanzeige gegen den Deutsch-Kosovaren Abaz L. an. Der Vorwurf lautete: Häusliche Gewalt gegen die Tochter.

„Hoffentlich hält die still“

Nur eines bereitete den beiden Polizisten Kopfzerbrechen:  Marlene N., Kollegin aus der Dienstgruppe B, war von Anfang an beim Einsatz dabei gewesen. „Hoffentlich hält die still“, schrieb Peter M. auf dem Messengerdienst WhatsApp seiner Freundin. Ob er Bedenken habe wegen Körperverletzung im Amt, wollte diese wissen. Der Kommissar bejahte.

Anderthalb Jahre sollten vergehen, ehe die Polizistin Marlene N. aussagt und das Ausmaß der Vertuschungsaktion ans Licht kommt.

Die Duisburger Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen gegen fünf Beamte wegen Strafvereitelung im Amt. Darunter auch gegen zwei Dienstgruppenleiter, die trotz früher Warnhinweise der Polizeikommissarin den Fall nicht zur Anzeige brachten. Recherchen dieser Zeitung offenbaren einen Polizei-Skandal um falsch verstandenen Korpsgeist, Lügen, Intrigen gegen Kollegen und dem Manipulieren von Akten – und womöglich rassistisch motivierter Gewalt. Dies geht aus Chatverläufen der Beschuldigten sowie aus weiteren belastenden Aussagen hervor. Christoph Arnold, Anwalt von Marlene N.: „Der Fall stinkt zum Himmel, es ist mir unverständlich, warum meine Mandantin, die den Skandal aufgedeckt hat, immer als Beschuldigte gilt.“

Junge Beamtin handelt

Den Ermittlungen zufolge beginnt alles mit der Nachtschicht nach dem Einsatz wegen häuslicher Gewalt. Die Beamtin Marlene N., will sich nicht damit abfinden, wie ihr Kollege auf einen hilflosen Mann eingeschlagen hat. Zwar gilt sie mit ihren 21 Jahren als unerfahren. Sie arbeitet erst kurz auf der Wache, da hält man eigentlich den Mund. Marlene N. aber handelt: Sie lockert auf der Wache die eng geschnürten Handschellen des Abaz L.. Doch ihr Kollege Peter M. verbittet sich jegliche Einmischung mit dem Hinweis, dies sei seine Festnahme.

In einer späteren Vernehmung schildert die Polizistin, dass sie daraufhin das Büro ihres Dienstgruppenleiters aufgesucht habe. Unter Tränen schilderte sie das ganze Geschehen: Wie man in die Wohnung gegangen sei. Wie Kommissar Peter M. den Vater an die Wand gedrückt und gefesselt habe. Wie er etwa fünf Mal auf den Mann eingeprügelt habe. Aus einer Platzwunde blutend, musste sich Abaz L. auf seine Couch im Wohnzimmer setzen. Als er kurz aufstand, soll M. erneut zugeschlagen haben. Dabei soll der Beamte äußerst gereizt reagiert und gebrüllt haben: „Ist es bei Euch üblich, dass Ihr Eure Frauen schlagt?“

Den falschen Mann verdächtigt

Zeitweilig beruhigte sich die Lage in der Wohnung, so Marlene N.. Der verletzte Wohnungsinhaber glaubte in ihr eine Vertrauensperson gefunden zu haben. Freimütig soll er erzählt haben, dass sein Sohn seine Tochter wegen ihres westlichen Lebensstils attackiert habe, diese habe sich dann mit einem Messer gewehrt. Er sei dazwischen gegangen und habe seine Tochter zurückgeschubst. Der Sohn sei daraufhin geflüchtet. Seine Aussage sollte sich später bestätigen: Die Kommissare hatten den falschen Mann festgenommen.

Die Polizeikommissarin Marlene N. fertigt noch am selben Abend einen Vermerk über die Angaben des Vaters an. Diese Aktennotiz will so gar nicht zur Strafanzeige der Kollegen aus der Dienstgruppe A passen. Die Aktennotiz macht es komplizierter, das Ganze zu vertuschen. Deshalb regt sich auch Peter M. in einem Chat über den seines Erachtens unnötigen Aktenvermerk auf. Seine Streifenkollegin stimmt ihm zu: Das sei einfach bescheuert.

Kollegin deckt Beamten mit Falschaussage

Aber auch das Opfer bleibt nicht untätig. Abaz L. erstattet Strafanzeige gegen Kommissar Peter M. wegen erlittener Polizeigewalt. M. reagiert via WhatsApp-Nachricht verärgert: Jetzt müsse er eine Stellungnahme schreiben. Sein Dienstgruppenleiter habe ihm geraten, sich untereinander abzusprechen. Nach kurzen Ermittlungen wird der Fall im Juni 2019 zu den Akten gelegt. Die Kollegin des verdächtigen Polizeibeamten deckt ihn mit einer Falschaussage.

Belastungszeugin Marlene N. wird erst gar nicht vernommen. Und das hat einen guten Grund: Ihr Dienstgruppenleiter, dem sie sich anvertraute, verspricht zwar, den Chef der Dienstgruppe A über den Übergriff zu informieren. Nichts aber geschieht. Auch die Staatsanwaltschaft erfährt nichts von der belastenden Aussage der Polizeikommissarin.

Inzwischen läuft ein Ermittlungsverfahren gegen den Deutsch-Kosovaren Abaz L. wegen wegen falscher Verdächtigung. Für den 31. Juli 2020 ist die Hauptverhandlung angesetzt. Dieses Mal sind alle sechs Beamten als Zeugen geladen, die am damaligen Einsatz teilgenommen haben. So auch Marlene N..

Gegen die heute 23-jährige Beamtin wird intrigiert. Längst ist intern bekannt, dass sie ihren Kollegen wegen des Übergriffs bei ihrem Vorgesetzten angeschwärzt hat. Und so versucht Kommissar M., ihre Absichten auszuforschen. Intern gilt er als Führungsfigur. Einer, den man nicht gern zum Feind haben will.

Über einen Kollegen lässt er Marlene aushorchen. Der berichtet Peter M., dass die Belastungszeugin sich fürchtet, von ihm abgestochen zu werden, sollten die Dinge schlecht für ihn enden. Per Screenshot leitet der Spitzel an M. einen Chatverkehr mit Marlene N. weiter. Der Kollege fragt, ob sie nicht nochmal wegen des Klimas auf der Wache ihre Aussage zurückziehen wolle. Marlene N. lehnt mit dem Hinweis ab: Weder sei sie feige, noch könne es sein, dass der Kollege damit davonkomme. Ihr Widersacher, Peter M., dankt dem Informanten. Nun weiß er, wie es um ihn steht.

Kommissarin ändert Aussage

Im Prozess treffen die beiden Parteien aufeinander. Peter M. bleibt bei seiner Version der Geschehnisse, seine Kollegin aus der Gruppe A bestätigt seine Aussage. Als dritte Zeugin ist Marlene N. an der Reihe: Sie berichtet umfänglich ihre Version und belastet den Kommissar schwer. Der Richter zitiert nochmals die Einsatzpartnerin von Peter M. in den Zeugenstand. Die Oberkommissarin windet sich, ehe sie zugibt, dass der gefesselte Deutsch-Kosovare einmal geschlagen wurde. Abaz L. wird freigesprochen. Gegen M. lebt das Verfahren wegen Körperverletzung im Amt wieder auf – eine Entscheidung steht noch aus.

Nach dem Prozess bittet seine Einsatzpartnerin ihn laut einem ausgewerteten Chat um Verzeihung. „Du weißt, wenn Marlene nichts gesagt hätte, wäre ich dabeigeblieben.“ Dies sei alles „Scheiße gelaufen“ Der beschuldigte Polizeikommissar Peter M. nimmt es gelassen. Immerhin hat er seit Herbst 2020 auch anderen Ärger mit der Justiz. Er gehört zur Chatgruppe „Alphateam“ auf der Wache Mülheim, die hunderte antisemitische, rassistische und verfassungsfeindliche Symbole untereinander gepostet hat.

Zumindest bei Kommissar M. deutet manches daraufhin, dass auch bei jenem Einsatz im Januar 2019 fremdenfeindliche Motive eine Rolle gespielt haben könnten. In ihrer Vernehmung sagte Marlene N., dass ihr Kollege den gebürtigen Kosovaren wohl nicht misshandelt hätte, wäre er Deutscher gewesen.

Beamtin wechselte zur Einsatzhundertschaft

Der Schritt, sich zu offenbaren, fiel ihr nicht leicht. Immerhin wird nach wie vor gegen die Kronzeugin wegen Strafvereitelung ermittelt. Kurz vor ihrer neuerlichen Vernehmung im Herbst 2020 hatte sie ihren alten Vorgesetzten aufgesucht. Der Dienstgruppenleiter habe Marlene N. von oben herab behandelt, berichtet sie in der Vernehmung. Er habe sich schon gedacht, dass sie die Wahrheit sagen würde. Nun nehme er sich einen Anwalt, und dann werde man sehen, was er sage werde oder auch nicht. 

Längst ist die Kronzeugin von der Polizeiwache Mülheim zur Einsatzhundertschaft gewechselt. Dort war sie anfangs als „Kameradenschwein“ verschrien, ehe sie die Vorbehalte bei den Kollegen aus der Welt schaffen konnte.

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