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SondierungSchulz sieht „hervorragendes Ergebnis“, Union ist zufrieden

Lesezeit 5 Minuten
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Nach 26 Stunden Verhandlungsmarathon treten Horst Seehofer, Angela Merkel und Martin Schulz vor die Kameras.

  • Dreieinhalb Monate nach der Bundestagswahl rückt eine große Koalition näher.
  • Union und SPD planen einen dritten Anlauf – und Angela Merkel wird wohl zum vierten Mal Kanzlerin

Berlin – Knapp 26 Stunden nach ihrer Ankunft übernimmt Angela Merkel die Kontrolle in der SPD-Zentrale. So zumindest wirkt die Choreografie und noch ein bisschen mehr. Knapp 26 Stunden, nachdem Merkel, Martin Schulz und Horst Seehofer getrennt voneinander im Willy-Brandt-Haus eingetroffen sind, stellen sie sich gemeinsam nebeneinander auf eine kleine Bühne im Foyer.

Merkel sieht zerzaust aus, Seehofer müde, Schulz wie immer. Sie haben gerade etwas geschafft. Sie haben einen Tag und eine Nacht durchverhandelt und davor noch ein paar mehr Tage und sich geeinigt, dass sie die nächsten vier Jahre miteinander regieren wollen. Auf 28 Seiten haben sie das festgehalten. Aber ein großes Strahlen liegt nicht über diesen dreien.

Augen richten sich auf Schulz

Vor einer hellblauen Wand stellen sie sich auf, dezente Farbe, ein bisschen erinnert sie an die Stellwände der Unions-Bundestagsfraktion. Drei Rednerpulte sind aufgebaut, Merkel stellt sich hinter das mittlere. Seehofer zur Linken und den Hausherrn Martin Schulz zur Rechten. Es mag eine Frage des Anstands oder des Rangs sein, die Frauen oder Kanzlern diesen Platz zudenkt. Aber es wirkt anders: Nach 26 Stunden Verhandlungen, zum möglichen Beginn einer erneuten großen Koalition, steht Angela Merkel im Zentrum. Und die SPD hat sie dorthin gerückt. Schulz tut dazu noch sein Übriges. Der SPD-Parteichef hat schließlich die eigentliche Hauptrolle an diesem Tag, auf ihn richten sich die Augen.

Alles zum Thema Angela Merkel

Er hat es für die SPD monatelang abgelehnt, erneut in eine große Koalition einzutreten. Im Wahlkampf ging das los. „Ganz sicher hat eine Groko unter Angela Merkel keine Zukunft“, sagte Schulz auf dem Parteitag im Juni vergangenen Jahres. Da beschuldigte er Merkel auch eines „Anschlags auf die Demokratie“, weil sie zu wenig konkrete Positionen beziehe. Am Tag der Bundestagswahl am 24. September folgte die nächste Etappe: Die SPD fuhr ihr schlechtestes Ergebnis der Nachkriegszeit ein. Schulz befand in einer Fernsehrunde: „Diese große Koalition ist abgewählt worden.“ Rolle seiner Partei sei es, als Oppositionspartei der AfD im Bundestag Paroli zu bieten.

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Einen Tag danach legte er sich fest, er werde nie in eine Regierung von Angela Merkel eintreten. Ende November, als nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen die Option große Koalition neu im Raum stand, wiederholte Schulz sofort: „Wir stehen für den Eintritt in eine große Koalition nicht zur Verfügung. Diese Konstellation wurde abgewählt. Wir scheuen Neuwahlen nicht.“

Fair, konstruktiv, turbulent

Zu Beginn der Sondierungsgespräche hat er dann zumindest noch gefordert: „Eine neue Zeit braucht eine neue Politik.“ Und das klang fast, als müsse die nächste große Koalition als Erstes die SPD-Hymne singen, „Wann wir schreiten Seit an Seit.“ Der Refrain heißt da: „Mit uns zieht die neue Zeit.“ In dieser neuen Zeit steht Schulz also ziemlich einträchtig rechts neben Merkel, und sagt, er habe mit CDU und CSU „ein hervorragendes Ergebnis erzielt“.

Warum er das nun plötzlich so sieht, erfährt man nicht, zumindest nicht genau. Schulz sagt zwar gefühlt 25 Mal das Wort Zusammenhalt, aber das war es dann auch schon mit der Begründung. Er redet ziemlich lange, sagt, es sei alles nicht ganz einfach gewesen, ja sogar manchmal „turbulent“. Da schmunzelt Merkel und beide sehen in diesem Moment ein wenig so aus wie Kinder nach einem gelungenen Streich. Man habe sich große Mühe gegeben, beteuert Schulz noch. Und er dankt der CDU, er dankt der CSU für „konstruktive und faire“ Verhandlungen. Später dankt er noch einmal grundsätzlich und es mag ein Zufall sein, aber genau in diesem Moment atmet Merkel einmal sehr tief durch und dreht die Augen nach oben.

Zufriedene Union 

Aber dann ist sie auch schon an der Reihe – und Schulz wird sie während ihrer Worte interessiert betrachten. So kann man es also auch machen. Auch Merkel zeigt sich zufrieden mit den Verhandlungen, aber sie listet eine ganze Reihe von Vereinbarungen auf: Beschleunigung des Wohnungsbaus, 15000 neue Polizisten, Verbesserungen in Pflege und Rente, ein neuer Aufbruch in Europa. CSU-Chef Horst Seehofer hört sich ganz ähnlich an: „Mit dem Ergebnis hochzufrieden“, sei er – was kein Wunder ist, weil er schon hochzufrieden sein muss, dass es überhaupt eine Regierung gibt. Schließlich wird in Bayern im Herbst gewählt, und die CSU hat genug zu tun, um sich von ihren als Schmach empfundenen 40 Umfrageprozentpunkten wieder weiter nach oben zu hangeln. Eine Neuwahl im Bund kann sie da einfach überhaupt nicht brauchen.

Schulz wird abermals von einer Journalistin gefragt: Wie wollen Sie die SPD begeistern? Er antwortet, dass das zu schaffen sei, zeige sich daran, dass das Verhandlungsteam sich einstimmig für die Aufnahme von regulären Koalitionsverhandlungen ausgesprochen hat. Im HR dementierte Hessens Landeschef Thorsten Schäfer-Gümbel später Berichte, sich enthalten zu haben. Schulz verschweigt allerdings, dass es im 40-köpfigen Parteivorstand sechs Nein-Stimmen gegeben hat – unter anderem von den ehemaligen Juso-Vorsitzenden Johanna Uekermann und Sascha Vogt.

Martin Schulz fällt noch etwas ein – und zwar ein Dank an die Mitarbeiter aller Parteizentralen, des Willy-Brandt-Hauses der SPD, des Konrad-Adenauer-Hauses der CDU, und… „Wie heißt eure Parteizentrale?“, wendet sich Schulz an Seehofer. „Franz Josef Strauß“, schallt es zurück, die Lautstärke klingt nach Großbuchstaben. Und dann spielt Seehofer den Souffleur für Schulz. Eine Grundrente soll es geben, sagt der CSU-Chef und betont, das sei „uns schwer gefallen.“ Außerdem werde das Rentenniveau bis 2025 festgeschrieben. Lauter SPD-Forderungen.

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