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Sprecht mit uns!Was junge Kölnerinnen und Kölner jetzt von den Älteren erwarten

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Vier junge Kölnerinnen und Kölner erzählen, warum sie sich jetzt Solidarität von den Älteren wünschen.

Die meisten jungen Menschen waren in der Corona-Krise solidarisch: Sie hielten sich zum Großteil an Maßnahmen, die ihre Generation besonders hart trafen. Gleichzeitig zeigen Studien: Jugendliche fühlten sich vor und während der Krise vergessen. Sie wollen mehr mitbestimmen. Vier junge Kölnerinnen und Kölner erzählen, warum sie sich jetzt Solidarität von den Älteren wünschen.

Das Symbolbild für den Umgang mit Jugendlichen in der Corona-Krise entstand weit weg von Köln und den anderen Metropolen, in Dieburg, südhessische Provinz, irgendwo zwischen Darmstadt und Aschaffenburg. Der Skatepark sei ein Treffpunkt für junge Leute in der Pandemie, sagte die Stadtverwaltung, nicht nur zum Skaten, auch zum Abhängen in Gruppen. Anfang Mai wollte der Bürgermeister offenbar Härte demonstrieren: Ein LKW rückte an und kippte eine Ladung Rollsplit über die Rampen. Wer da noch hinunter fährt, schrammt sich Hände, Knie, Ellbogen und Gesicht auf. „Anlage gesperrt. Vorsicht Unfallgefahr d. Rollsplit.“ Im Rathaus klopfte man sich vermutlich auf die Schultern: Endlich waren sie weg, diese lästigen Jugendlichen. Laut Anwohnern wurde der Skatepark im Nachbarort plötzlich voller.

Zoom-Meetings ersetzen Jugend nicht

61 Prozent. So viele Jugendliche fühlten sich in der Corona-Krise einsam, resümierten Forscher der Goethe-Universität Frankfurt im Rahmen ihrer „Jugend und Corona“-Studie. Klar, die Corona-Maßnahmen treffen alle Generationen. Doch ein Jahr Pandemie macht ein Siebtel des Lebens eines Grundschulkindes aus, ein Siebzehntel bei Abiturienten, ein Siebzigstel bei Rentnern. Gerade junge Menschen sammeln innerhalb eines Jahres viele prägende Erinnerungen: Die erste Liebe, der erste Tanzkurs, Kino mit Freunden, Kleider kaufen für den Abiball.

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Was sich junge Kölnerinnen und Kölner für die Zukunft wünschen

Nele Hendrix, 20 Jahre

„Während der Corona-Pandemie ging es mir viel zu wenig darum, wie es Kindern und Jugendlichen psychisch geht und welche Probleme jungen Erwachsenen in der Ausbildung und dem Studium durch die Krise erwachsen. Andererseits wurde Corona ganz klar als Krise erkannt und auch als solche behandelt. Plötzlich haben Politikerinnen und Politiker und auch die Bevölkerung verstanden, dass wir uns für das Wohl von Anderen einschränken müssen. Ich finde es krass, wie viel in der Corona-Krise bewegt wurde. Was plötzlich alles möglich war. Ich würde mir wünschen, dass dieser Wille zum Handeln und zur Veränderung auch bei der Klimakrise vorhanden wäre. Gleichzeitig hat Corona gezeigt, dass systemrelevante Berufe wie zum Beispiel in der Pflege und Bildung für das Funktionieren einer Gesellschaft deutlich wichtiger sind als Unternehmen, die nur auf den Konsum von Produkten ausgerichtet sind.“ 

Asper Rausch, 15 Jahre

„Ich finde schon, dass meine Generation in der Krise solidarisch war und halte die Corona-Maßnahmen für richtig. Gleichzeitig hat sich die Politik vor der Pandemie wenig um Themen für unsere Generation gekümmert und tat es auch in der Pandemie nicht. Corona könnte ein Anstoß sein für mehr Solidarität: Gerade die Generation, für die wir solidarisch waren, sitzt nämlich häufig in Führungspositionen und kann Veränderungen bewirken. Sie könnten darauf achten, dass die Entscheidungen, die sie momentan treffen, nicht auf Kosten der nächsten Generation gehen. Das heißt: Nicht die gesamte Umwelt verpesten und Millionen an Euros in Kohlekraft investieren. Ich bin bei Fridays for Future aktiv, deshalb ist Klimaschutz für mich natürlich eines der wichtigsten gesellschaftlichen Probleme. Köln hat 2019 den Klimanotstand ausgerufen, jetzt muss die Stadt mehr tun als Symbolik und beispielsweise Radwege ausbauen. Zudem würde ich mir in Köln mehr Sport- und Musikangebote für junge Menschen wünschen, die für alle – egal aus welcher sozialen Schicht – zugänglich wären. Für den Rest des Jahres 2021 wünsche ich mir, dass bei der Bundestagswahl demokratiefeindliche und klimaschädliche Parteien an Macht verlieren.“

Katharina Wilms, 16 Jahre

„In der Pandemie wird immer über uns gesprochen, aber nicht mit uns. Dabei sind die Maßnahmen für Jugendliche und junge Erwachsene besonders einschränkend, weil die persönliche Entwicklung in unserem Alter rasant voran schreitet. Ich hätte mir gewünscht, dass Schulen so lange wie möglich offen geblieben wären. Dann wäre es sinnvoll gewesen, vor dem Distanzunterricht Lerngruppen von zum Beispiel zwei Personen zu bilden, die sich weiterhin treffen können. Wichtig ist, dass nun in der Schule eine Chancengleichheit geschaffen und auf Bildungslücken eingegangen wird. Es gibt Jugendliche, die nur ein Handy für den Digitalunterricht haben und keinen ruhigen Ort zum Lernen – da werden in den nächsten Jahren Lücken aufklaffen. Es darf nicht von privaten Nachhilfestunden abhängen, diese Lücken zu schließen. Denn was ist, wenn Familien das Geld dafür fehlt? Immerhin haben wir in der Krise gelernt, dass Digitalisierung enorm wichtig ist. Themen, die junge Leute betreffen, sollten auch mit jungen Menschen besprochen werden – zum Beispiel in Form von Schülervertretungen oder Umfragen. Gesprächsbereitschaft ist mir sehr wichtig. Dass die Älteren sagen: Wir reden nicht nur über euch, sondern mit euch, wir hören euch zu und respektieren eure Meinung.“

Kaan Hira, 20 Jahre

„Im Bundesnotbremsegesetz wurden Hochschulen mit kaum einem Wort erwähnt. Studierende wurden in der Krise total vergessen. Wir waren die Leidtragenden, die seit über einem Jahr im Homeoffice sind, während Unternehmen diese Pflicht nie hatten. Warum? Weil wir noch keine Steuern zahlen? Wir verursachen ja nur Kosten und sind kurzfristig nicht die Leistungserbringer für die Wirtschaft. Auf lange Sicht schon, klar. Aber langfristig denkt man in der Politik nicht. Die Probleme der jungen Menschen wurden vor der Pandemie ignoriert, während der Pandemie ignoriert und werden wohl auch danach ignoriert. Man darf nicht so tun, als wären wir Schützlinge, die man zur Schule bringt und damit ist alles gegessen – so läuft das nicht. Die Politik muss uns einbinden, uns zuhören. Das Hauptproblem nach Corona ist Klima. Wir protestieren seit Monaten für eine bessere Klimapolitik. Und als was hat man uns hingestellt? Als Schulschwänzer. Man solle das den Experten überlassen, hieß es. Jetzt sagt man: Wir wollten ein besseres Klimagesetz machen, aber wir konnten es nicht. Das ist heuchlerisch und zynisch.“

Viele Studierende im dritten Semester fragen sich derzeit, wie ihre Universität wohl von innen aussieht, wo eigentlich die Mensa zu finden ist und wie das Essen dort schmeckt. Corona zeigt uns auch die Grenzen des Digitalen: Ein Zoom-Meeting mit den engsten Freunden kann all diese Erfahrungen nicht ersetzen. Noch eine Zahl: 58 Prozent. So viele befragte Jugendliche sind der Meinung, ihre derzeitige Situation sei Politikern nicht wichtig. Eine gefährliche Entwicklung, findet Nadia Kutscher, Professorin für Heilpädagogik und Rehabilitation an der Universität Köln. „Junge Menschen wurden zu lange aus dem Blick verloren“, sagt sie. „Das muss sich schleunigst ändern.“ Ändert sich wohl erstmal nicht. Erst vor wenigen Tagen scheiterte der Versuch der Bundesregierung, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern.

„Jugendliche wurden auf das Schülersein reduziert“

Kaan Hira, 20 Jahre, Abiturjahrgang erster Lockdown, spricht klar und bestimmt, seine Worte legt er sorgfältig zurecht. Trotzdem klingt die Frustration durch. Im Frühjahr war er noch Schülersprecher des Dreikönigsgymnasiums, jetzt studiert er Medizin, zweites Semester, an der Uni Köln. Einen Großteil aus dem Homeoffice, versteht sich. Mehr als ein Jahr Pandemie. Mehr als ein Jahr, in dem die Jugend vergessen wurde, findet er.

„Jugendliche wurden immer auf das Schülerinnen- und Schülerleben reduziert“, sagt Hira. „Das Privatleben wurde kaum betrachtet – nur, wenn es darum ging, dass irgendwelche Menschen sich in Parks getroffen haben. Dann hieß es: Die bösen Jugendlichen, die sich nicht an die Regeln halten und nicht solidarisch sind.“ Nein, sagt er, man könne nicht davon reden, dass die Politik in der Pandemie an die jungen Menschen gedacht hätte. Er schrieb seine Abiturprüfungen in der ersten Corona-Welle: An einem Freitag im März schickten die Lehrer ihn und seine Mitschüler nach Hause. An dem Tag hatte er seine letzte Unterrichtsstunde im Klassenzimmer.

„Die digitale Infrastruktur hätte man viel früher ausbauen müssen“, findet Kaan Hira. „Nach den Sommerferien hatten die Kultusministerien immer noch keinen Plan, wie es weitergehen soll. Dabei war es doch klar, dass die Pandemie nach dem Sommer nicht vorbei ist.“ Er hätte sich mehr Unterstützung sozial schwacher Familien gewünscht, mehr Einbindung der Schüler in die Entscheidungen der Politik.

Mehr Gespräche zwischen den Generationen

Demokratie, sagt Pädagogin Nadia Kutscher, basiert auf der Erfahrung ernsthafter Beteiligung. Fühlen sich bestimmte soziale Gruppen nicht gehört, besteht die Gefahr, dass sie sich vom demokratischen System abwenden, nicht mehr wählen gehen und sich abkoppeln. Eine demokratische Gesellschaft muss also die Anliegen junger Menschen ernst nehmen, wenn sie eine neue demokratische Generation heranziehen möchte. „Wir brauchen die Stimme der jungen Menschen in der Politikberatung“, sagt Kutscher. Sie selbst könne Jugendliche in Studien befragen und deren Anliegen weitergeben. Doch das reicht nicht, findet sie: Jugendliche und junge Menschen müssten systematisch eingebunden werden, in Krisenstäben auf allen Ebenen Gehör finden.

Am Pfingstmontag setzt sich Katharina Wilms bei wenig frühlingshaftem Wetter auf eine Bank im Nordpark, Köln-Riehl. Sie ist 16 Jahre alt, Schülerin am Ursulinengymnasium und verbringt ihre Freizeit eigentlich lieber auf Reitplätzen und Volleyballfeldern als vor Zoommeetings. Die Corona-Pandemie, sagt sie, habe ihr über ein Jahr ihrer Jugend weggenommen. Natürlich könne sie verstehen, dass auch Schulen wegen des hohen Infektionsrisikos schließen mussten. Aber hätte man sie nicht vorher mit besseren Schutzmaßnahmen sicherer machen können?

„Wir sollten gefragt werden, bevor solche Entscheidungen über uns gefällt werden“, findet sie. Das gelte nicht nur für die Corona-Maßnahmen. „Wir wissen ja, was uns interessiert, was wir möchten. Andere können das nur vermuten.“ Sie würde sich mehr Gesprächsbereitschaft wünschen, Diskussionen zwischen den Generationen und zwischen Politikern, Schülern und Studierenden. „Solange man nicht mit uns spricht, haben wir keine Politik für junge Menschen.“

Generation Fridays for Future

Wie sähe sie denn aus, diese Politik für junge Menschen? Auf diese Frage antworten Asper Rausch, Kaan Hira, Katharina Wilms und Nele Hendrix (siehe Protokolle) alle dasselbe: Klimafreundlicher. Mehr Recycling, sagen sie, Ausbau der erneuerbaren Energien, mehr Fahrradwege in Köln, ein günstigerer öffentlicher Nahverkehr. „Die Generation im Rentenalter hat vielleicht noch 30 Jahre hier“, sagt Wilms. „Wenn alles gut geht, haben wir noch 70. Das sollten 70 lebenswerte Jahre sein.“

Die Wissenschaftler der Goethe-Universität diskutierten ihre Studienergebnisse mit einem Team von Jugendlichen. Corona zeige deutlich, was ohnehin nicht gut funktioniert, sagten diese: Das Schulsystem sei veraltet, jungen Menschen mangele es an Ansprechpersonen und Mitspracherecht. Mehr Mitspracherecht – eine politikverdrossene Generation scheint trotz der Befürchtungen des Bundesjugendkuratoriums nicht heranzuwachsen. Ganz im Gegenteil: Laut einer Studie des Bundesamtes für Naturschutz ging jeder dritte Jugendliche bereits für mehr Umweltschutz auf die Straße. Zwar verloren Fridays for Future-Demonstrationen während der Krise an Zulauf. Gleichzeitig alterte der Spruch „Schüler müssen Freitags im Klassenzimmer sitzen“ in Zeiten des Distanzunterrichts eher mäßig gut.

Sorge um berufliche Zukunft

Ein Großteil der jungen Menschen blickt nicht nur bezüglich des Klimas mit Sorge den kommenden Jahren entgegen. Ausbildungsplätze brechen in der Pandemie weg, wegen Kurzarbeit stellen viele Unternehmen keine neuen Mitarbeiter ein. Im Frühjahr 2020 machten sich noch 25 Prozent der Schülerinnen und Schüler Sorgen um ihre berufliche Zukunft, zeigt eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Sechs Monate später waren es 41 Prozent. Dabei spielt jedoch auch der soziale Hintergrund eine große Rolle: Jugendliche mit Migrationshintergrund haben deutlich größere Angst um ihre berufliche Zukunft als Mitschüler aus Akademikerhaushalten.

Gleichzeitig definieren sich junge Menschen immer weniger nach ihrem Beruf, fanden Forscher des Instituts für Demoskopie Allensbach 2017 heraus. Klar, ein geregeltes Einkommen ist grundlegend, doch nur 37 Prozent der Befragten hielten Erfolg im Beruf für „sehr wichtig“ – sechs Prozent weniger als vier Jahre zuvor. Den gesellschaftlichen Leistungsdruck sieht auch Kaan Hira kritisch: „Es bringt niemandem etwas, wenn man nach 20 Jahren Arbeit komplett ausgebrannt ist“, sagt er. „Ich glaube, mit einer Vier-Tage-Woche könnten wir genauso effizient sein wie mit einer Fünf-Tage-Woche.“

Erholen statt Aufholen

Kürzlich beschloss die Bundesregierung ein milliardenschweres „Aufholprogramm“, mit dem die ganzen Lernlücken wieder aufgeholt werden sollen, die in der Pandemie entstanden. Kaan Hira schüttelt bei der Erwähnung des Programmes leicht den Kopf. „Wir brauchen kein Aufholen, sondern ein Erholen“, sagt er. Bei „aufholen“ denke er, die Schülerinnen und Schüler seien einfach zu langsam gewesen in der Krise. Von wegen: Selbst Schuld, dann müsst ihr nach Corona eben doppelt so viel pauken.

Sollte der Fokus beim „Aufholen“ wirklich auf das Schulwissen gerichtet sein? Oder müssen nicht entspannte Sommertage am See, die erste Party, die erste Liebe, Kino mit Freunden, der erste Tanzkurs, Billard-Abende in brechend vollen Kneipen, die erste Reise mit Freunden, die letzten Geburtstagsfeiern aufgeholt werden?

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Corona zeigt Probleme auf, die schon lange existieren. Viele von ihnen verschärften sich: Frauen wurden häufig zurück in traditionelle Rollenbilder gedrängt, soziale Brennpunkte zu Hochburgen der Corona-Infektionen und Schulen, in denen noch immer Overhead-Projektoren zum Einsatz kommen, sollten in den digitalen Unterricht starten. Gerade darin sieht Nadia Kutscher auch eine Chance: „Wir haben einen Digitalisierungsschub an vielen Stellen erlebt, der vorher undenkbar war“, sagt sie. „Es wäre eine vertane Chance, wenn wir weitermachten wie zuvor“, findet auch Hira. Im vergangenen Jahr seien so viele Schwachstellen aufgefallen, die Bürokratie, die Trägheit der Strukturen, Ignoranz gegenüber jungen Menschen. „Da könnte man auf jeden Fall anpacken“, sagt der 20-Jährige. „Und mehr mit der jüngeren Generation sprechen.“

Der Rollsplit am Dieburger Skatepark lag übrigens nur ein paar Tage. Dann schaufelten Eltern ihn weg und luden ihn vor dem Rathaus ab.

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