Staatsanwaltschaft KölnDurchsuchungen bei Ex-SPD-Politikern wegen Cum-Ex-Skandal

Lesezeit 8 Minuten
Polizeiwagen 280921

Polizeieinsatz (Symbolbild)

Köln – Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker gilt unter Juristen als äußerst hartnäckig. Wenn es um die strafrechtliche Sicht der Dinge geht, legt sich die Leiterin der Cum-Ex-Schwerpunktabteilung im Kölner Justizzentrum auch schon mal mit ihren Vorgesetzten an. Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erfuhr, hat Brorhilker im Zuge der Aufklärung des größten Steuerraubes der deutschen Finanzgeschichte gegen den Widerstand der Behördenleitung ein politisch äußerst heikles Verfahren eröffnet. Am Dienstagmorgen durchsuchten Kölner Staatsanwälte und Polizeibeamte Büros im Hamburger Finanzamt für Großunternehmen nebst Objekten des 2020 zurückgetretenen SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs.

Betroffen von den Ermittlungen ist neben einer Sachgebietsleiterin bei der Finanzbehörde auch der einstige hanseatische SPD-Innensenator Alfons Pawelczyk. Laut Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer bestehe der „Anfangsverdacht der Begünstigung“ zur Steuerhinterziehung. „Die bisherigen Ermittlungen haben Anhaltspunkte für strafrechtlich relevantes Verhalten der Beschuldigten im Zusammenhang mit … Cum-Ex-Geschäften eines in Hamburg ansässigen Kreditinstituts ergeben.“ Dabei handelt es sich um die Privatbank M.M. Warburg. Die Tatverdächtigen waren zunächst für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Im Kern geht es um die Frage, warum der Hamburger Fiskus 47 Millionen Euro im Jahr 2016 zu Unrecht bewilligte Steuererstattungen an die hanseatische Privatbank M. M. Warburg nicht zurückforderte. Das Geld stammte aus mutmaßlich illegalen Cum-Ex-Geschäften der Banker. Trotz der Warnungen der Kölner Staatsanwaltschaft ließ das Hamburger Finanzamt für Großunternehmen nach Verhandlungen mit dem Geldinstitut seinerzeit die Frist für die Rückforderung der Millionen verstreichen. Im Jahr 2017 drohten weitere 43 Millionen Euro Steuererstattungen durch illegale Cum-Ex-Geschäfte zu verjähren. Gleich zwei Mal musste Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble die widerspenstigen Hanseaten anweisen, sich zumindest dieses Geld bei der Warburg Bank zurückzuholen. Inzwischen durchleuchtet ein Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft die Vorgänge.

Alles zum Thema Olaf Scholz

Politisch brisante Ermittlungen

Die Kölner Ermittlungen sind politisch besonders brisant. Fallen sie doch mitten in die ohnehin schon schwierigen Koalitionsgespräche kurz nach der Bundestagswahl. Denn die rheinischen Strafverfolger wollen auch klären, ob und inwieweit namhafte SPD-Politiker Einfluss genommen haben, um dem Geldinstitut die Steuergeschenke zu verschaffen. Seinerzeit amtierte Olaf Scholz als Erster Bürgermeister an der Alster. Der spätere Kanzlerkandidat hatte sich gleich mehrfach in jener Zeit mit den Bankeignern Christian Olearius und Max Warburg in der Angelegenheit getroffen. Im Untersuchungsausschuss bestätigte Scholz die Zusammenkünfte, konnte sich aber nicht mehr an Gesprächsinhalte erinnern, zugleich bestritt er jegliche Einflussnahme.

Bei Durchsuchungen im Jahr 2018 stellte die Kölner Staatsanwaltschaft das Tagebuch des damaligen Warburg-Gesellschafters Christian Olearius sicher. Das Dokument gewährt den Ermittlern einen tiefen Einblick in die Versuche der Banker, mit Hilfe der SPD in Hamburg die drohenden Cum-Ex-Rückzahlungen von gut 90 Millionen Euro zu verhindern. In einem Tagebuch-Eintrag notierte der Warburg-Gesellschafter Olearius nach einem Treffen mit Hamburgs Erstem Bürgermeister Scholz zuversichtlich, man müsse sich wohl keine Sorgen wegen der Rückzahlung machen.

Bank spendet an SPD-Kreisverband

Auch der damalige Finanzsenator und heutige Stadtchef Peter Tschentscher war offenbar in den Warburg-Fall involviert. Dies legt ein von ihm handschriftlich ergänzter Vermerk in der Causa nahe, der im Untersuchungsausschuss auftauchte. Tschentscher wehrte sich stets gegen den Vorwurf der politischen Einflussnahme: „Die Unterstellung, hier hätten Politiker Einfluss genommen auf die Entscheidung von Finanzämtern, die kann ich ganz eindeutig zurückweisen.“

Zumindest die Opposition in der Hamburger Bürgerschaft hegt ihre Zweifel. Linken-Obmann Norbert Hackbusch meint, es sei „eindeutig belegt, dass es eine politische Einflussnahme auf die Entscheidungen der Finanzbehörde und des Finanzamts gegeben hat“. Auch der CDU-Parlamentarier Richard Seelmaecker glaubt, dass Tschentscher und Scholz den Beamten „die Richtung für eine Entscheidung“ in Sachen Warburg „vorgegeben“ hätten.

Die Kölner Cum-Ex-Ermittler gehen ferner der Frage nach, warum ein Warburg-Gesellschafter der Hamburger SPD Wahlkampfspenden in Höhe von 45.500 Euro zukommen ließ. Den größten Teil bekam der Kreisverband Hamburg-Mitte, dem auch der SPD-Grande Johannes Kahrs angehört. Pikanterweise erfolgte die Zuwendung den staatsanwaltschaftlichen Nachforschungen zufolge, nachdem der Steuer-Deal mit dem hanseatischen Fiskus geglückt war. Handelte es sich um Dankeschön-Spenden für millionenschwere Steuerpräsente? Die Warburg-Bank hat dies stets zurückgewiesen. Man habe auch andere Parteien mit Spenden bedacht, hieß es. Auch der damalige Chefbanker Olearius widersprach jeglicher politischer Einflussnahme.

Kahrs galt seinerzeit als einer der wichtigsten Strippenzieher der SPD an der Alster genauso wie auf Bundesebene. Erst nach längerem Hin und Her räumte der ehemalige haushaltspolitische Sprecher seiner Partei auf Nachfrage im „Hamburger Abendblatt“ Treffen mit Warburg-Mitinhaber Olearius ein. Dabei habe man über die möglichen Folgen des Cum-Ex-Skandals geredet. Bei den Gesprächen soll laut den Erkenntnissen der Strafverfolger im Jahr 2017 das Thema Spenden an die SPD eine Rolle gespielt haben. Olearius notierte am 7. September, dass Kahrs ein Spender abgesprungen sei. Vier Tage später erfolgte die erste Spende an die SPD in Höhe von 13.000 Euro. Weitere Zahlungen durch die Firma des Warburg-Eigners folgten. Kahrs intervenierte für die Privatbank an etlichen Stellen – etwa beim Bundesamt für Finanzaufsicht (BaFin), im Bundesfinanzministerium als auch laut Tagebuchnotiz des Warburg-Chefbankers bei Olaf Scholz.

Scholz erhielt Memorandum der Bank

Auch der frühere SPD-Innensenator Alfons Pawelczyk soll sich engagiert haben. Den Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft zufolge soll der altgediente Genosse Treffen mit Olaf Scholz arrangiert haben. Dort brachten die Warburg-Lenker ihre Klage vom drohenden Ruin vor, sollten sie insgesamt mehr als 90 Millionen Euro aus den Cum-Ex-Geschäften an den Fiskus zurückzahlen müssen. Ende Oktober 2016 übergaben sie Scholz ein siebenseitiges Memorandum, das die Unrechtmäßigkeit der Steuerrückforderungen belegen sollte.

Scholz soll später telefonisch empfohlen haben, die Verteidigungsschrift an seinen Finanzsenator Tschentscher weiterzuleiten. So steht es zumindest in einem Tagebuch-Vermerk des damaligen Warburg-Chefs Olearius. Aus Sicht von Scholz spricht dieser Eintrag dafür, dass er sich aus Steuerverfahren generell und auch in diesem Fall herausgehalten habe. Er habe sich ausdrücklich nicht die Auffassung von Olearius zu eigen gemacht oder das Papier selbst an die zuständige Behörde weitergeleitet, bekundete der SPD-Politiker auf Nachfrage der „Zeit“, „da dies allein aufgrund der Tatsache der Weiterleitung durch den Ersten Bürgermeister Anlass zu Interpretationen hätte geben können“.

Finanzbehörde änderte ihre Meinung

Anlass zu Interpretationen gab dann das Verhalten der zuständigen Hamburger Finanzbehörden. Binnen kurzer Zeit geschah in jener Phase Erstaunliches: Die für die Warburg-Bank zuständige Sachgebietsleiterin im Finanzamt für Großunternehmen änderte ihre Meinung. Drei Wochen vor dem Treffen der Banker mit Olaf Scholz hatte die Beamtin in einem Vermerk noch die Auffassung vertreten, dass die Finanzbehörde der Hansestadt die 47 Millionen Euro von M. M. Warburg zurückverlangen sollte. Am 17. November 2016, acht Tage nach dem letzten Gespräch zwischen Hamburgs Erstem Bürgermeister und Warburg-Eigner Olearius, teilte sie der Bank dann mit, dass man die Cum-Ex-Steuerauszahlungen nun doch nicht einfordern werde. Oppositionspolitiker vermuten, dass der Sinneswandel auf eine Einflussnahme des damaligen Finanzsenators Tschentscher sowie seines Rathauschefs Scholz zurückgeht. Die SPD-Politiker weisen die Vorwürfe vehement zurück. Im Untersuchungsausschuss hatte auch die Sachgebietsleiterin jegliche politische Einflussnahme verneint. 

Das könnte Sie auch interessieren:

Die Kölner Staatsanwaltschaft führt die für die Warburg-Bank zuständige Finanzbeamtin als Beschuldigte. Am Dienstag um 8.30 Uhr präsentierten die Strafverfolger einen Durchsuchungsbeschluss, beschlagnahmten Datenträger und Akten. Die Hintergründe der hanseatischen Steuer-Affäre will nun die Kölner Cum-Ex-Chefanklägerin Brorhilker mit ihrem Team strafrechtlich aufhellen. Bereits vor längerer Zeit hatte die Oberstaatsanwältin Ermittlungen gegen die zuständige Finanzbeamtin, den SPD-Politiker Kahrs sowie Pawelczyk angeregt. Nach Recherchen dieser Zeitung stoppte die Behördenleitung nebst dem Kölner Generalsstaatsanwalt den Vorgang. Aus Sicht der Vorgesetzten erschien der Anfangsverdacht zu vage.

NRW-Justizministerium bejaht Anfangsverdacht

Daraufhin bat die streitbare Strafverfolgerin das Justizministerium unter dem CDU-Politiker Peter Biesenbach um eine Entscheidung. Laut dem Gerichtsverfassungsgesetz darf der Justizminister die Staatsanwälte in seinem Bundesland anweisen, entgegen vorheriger Bedenken zu ermitteln. Die Experten im Ministerium bejahten den Anfangsverdacht. Erneut äußerten General- und Leitender Oberstaatsanwalt Vorbehalte. Wie aber diese Zeitung aus Justizkreisen erfuhr, wies das Ministerium die Kölner Behörde unmissverständlich an, die hanseatische Causa strafrechtlich zu verfolgen.

Ein heikler Vorgang. Ein CDU-Minister aus dem NRW-Kabinett des Kanzlerkandidaten Armin Laschet ermuntert die rheinische Justiz die Cum-Ex-Affäre rund um seinen roten Konkurrenten Scholz zu durchleuchten. Die Landesregierung wollte den Vorgang auf Anfrage nicht kommentieren.

Zumindest warteten die Kölner Cum-Ex-Staatsanwälte mit ihrer Aktion solange ab, bis die Bürger über den Ausgang der Bundestagswahl abgestimmt hatten. Offenbar wollten sich weder Ministerium noch Justiz erneut dem Vorwurf durch die SPD-Seite aussetzen, die strafrechtlichen Ermittlungen zum Nachteil führender Genossen als Wahlkampfthema auszunutzen. 

Was man unter Cum-Ex-Geschäften versteht

Cum-Ex-Geschäfte beschreiben einen Aktienhandelszirkel mit (cum) und ohne (ex) Dividendenanspruch, bei dem der Fiskus gleich doppelt Kapitalertragsteuer erstattet, die zuvor nicht abgeführt wurde. Beteiligt an den illegalen Geschäften zwischen 2007 und 2012 waren Dienstleister, Berater und Banken an verschiedenen Schaltstellen, die später den illegalen Gewinn aus dem Dividendenstripping unter sich aufteilten.

Inzwischen ermittelt allein die Schwerpunktabteilung der Kölner Staatsanwaltschaft in dem Komplex gegen mehr als 1000 Beschuldigte, darunter gegen Vertreter 40 namhafter Banken. Die rheinischen Ankläger gehen in mehreren Verfahren gegen die Hamburger M. M. Warburg Bank von dreistelligen Millionenschäden aus.

Anfang Juni erst hatte das Bonner Landgericht einen ehemaligen Generalbevollmächtigten des hanseatischen Geldinstituts zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte dem Ex-Banker besonders schwere Steuerhinterziehung in 13 Fällen vorgeworfen, ein Gesamtschaden von 325 Millionen Euro soll unter seiner Beteiligung entstanden sein.

Die Bank hat wiederholt die Vorwürfe bestritten: „M.M.Warburg & CO hat sich nie Kapitalertragssteuer mehrfach erstatten oder anrechnen lassen. Die Geschäfte erfolgten unter strikter Beachtung aller Vorschriften“, heißt es in einer Pressemitteilung. Ein gemeinsames „Zusammenwirken mit Dritten hat es nicht gegeben. Intensive Untersuchungen von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Rechtsanwälten bestätigen das genauso wie die hausinternen Überprüfungen“. Später dann teilte die Bank mit, dass man bereits im Jahr 2020 alle Steuernachforderungen im Zusammenhang mit Cum-Ex-Deals beglichen habe.

Warburg-Gesellschafter Christian Olearius betonte immer wieder in der Vergangenheit, dass er keinen Einfluss auf die Politik oder die Verwaltung in Hamburg genommen habe. Es sei „zulässig und üblich, dass relevante Hamburger Unternehmen sich von Zeit zu Zeit mit dem Ersten Bürgermeister und/oder Mitgliedern des Senats über die unterschiedlichsten Themen austauschen".

KStA abonnieren