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Streit über die Corona-Ferien„An Schulen darf sich das Virus munter ausbreiten“

Lesezeit 6 Minuten
In manchen Städten Chinas soll der Schulbetrieb bald wieder aufgenommen werden. Vorher wird aber noch desinfiziert.

In manchen Städten Chinas soll der Schulbetrieb bald wieder aufgenommen werden. Vorher wird aber noch desinfiziert.

  • Andere Länder haben im Kampf gegen das Virus zu drastischen Maßnahmen gegriffen und Betreuungs- wie Bildungseinrichtungen geschlossen.
  • Deutschland zögert, obwohl in NRWs Lehrerschaft Verunsicherung herrscht.
  • Ein Kölner Lehrer berichtet, dass an seiner Schule Seife und Desinfektionsmittel fehlen.
  • Und die drei größten Lehrerorganisationen in NRW fordern, dass Schulschließungen kein Tabu sein dürften.

Köln – Christoph Kessler (Name geändert) geht seit einigen Tagen mit einem unsicheren Gefühl zur Schule. „Am liebsten würde ich zu Hause bleiben. Aber ich kann mich ja nicht drei Monate krankschreiben lassen.“ Kessler ist 56 Jahre alt und Lehrer an einer weiterführenden Schule in Köln. Er leidet an Asthma und der Lungenkrankheit COPD. Was sonst kein Drama ist, bereitet ihm seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie Sorgen. Was, wenn sich Risikopatienten wie er ansteckten? Und das Virus weitertrügen?

„Jedes Konzert, jedes Fußballspiel ab 1000 Besuchern wird abgesagt, aber an Schulen, die in vielen Fällen auch von 1000 Kindern besucht werden, darf sich das Virus munter ausbreiten“, kritisiert Kessler, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Im Lehrerkollegium herrsche Verunsicherung. „Einerseits wird uns gesagt, dass wir eineinhalb Meter Abstand halten sollen, andererseits hängen einem Fünftklässler meistens mit der Nase direkt im Gesicht, wenn sie was erzählen wollen. Das ist doch klar. Das sind ja auch Kinder“, sagt der 56-Jährige.

In vielen europäischen Ländern gibt es schon Corona-Ferien

Auch die Sache mit dem Händewaschen sei gar nicht so einfach umzusetzen, wie man denken könnte. Es fehle an Seife an den Waschbecken für Schüler. Was Desinfektionsmittel betrifft, stünde in seiner Schule seines Wissens eine einzige Flasche auf einer der Lehrertoiletten – und die sei halb leer. „Es gibt aber auch viele Kollegen, die sich über die Mahner wie mich lustig machen.“

Alles zum Thema Angela Merkel

Das Corona-Virus hat in anderen Teilen Europas Kindern schon so genannte Corona-Ferien beschert. In dem am stärksten von der Pandemie betroffenen Land Italien sind landesweit alle Schulen und Universitäten bis zum 3. April geschlossen. Am Donnerstagabend wurde bekannt, dass auch Frankreich ab Montag bis auf weiteres alle Kindergärten, Schulen, und Universitäten schließt.

Die Rechte von Eltern

Bleiben Kindergärten oder Schulen als Vorsichtsmaßnahme gegen die Ausbreitung des Coronavirus geschlossen, dürfen Arbeitnehmer notfalls für die Kinderbetreuung zu Hause bleiben. Solange keine andere Betreuungsmöglichkeit besteht, sei Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen die Arbeitsleistung unmöglich. Das bedeutet, dass sie nicht zur Arbeit kommen müssen, sagt Arbeitsrechtlerin Nathalie Oberthür.

Ob sie weiter ihr Gehalt bekommen, hängt davon ab, ob wirklich keine andere Betreuung möglich ist. Der Rechtsschutz des Deutschen Gewerkschaftsbunds verweist darauf, dass Arbeitnehmer meist für wenige Tage Anspruch auf bezahlte Freistellung haben. Bleiben Schulen oder Kitas aber länger geschlossen, müssten Arbeitnehmer Urlaub nehmen. Sollte Homeoffice möglich sein, könne das eine Alternative sein. (dpa)

Aber auch in Ländern, die weniger Infektionen registriert haben, wurden flächendeckende Schulschließungen angeordnet. Österreich beispielsweise stellt den Schulunterricht für mindestens vier Wochen komplett ein. Für Kinder bis zur achten Klasse wird gleichzeitig Betreuung angeboten. Eine Pflicht, zu Hause zu bleiben, gibt es vorerst nicht.

In der Schweiz bleiben weiterführende Schulen und Universitäten geschlossen. Auch Dänemark, Polen, Rumänien, Irland, Griechenland, Norwegen und Tschechien schließen Schulen und Kitas. In Spanien endete der Unterricht am Mittwoch in der Region um Madrid, der am stärksten betroffenen Region des Landes. In Deutschland griff als erste Großstadt Halle zu einer solchen Maßnahme: Die größte Stadt Sachsen-Anhalts sperrt von Freitag an alle Kitas und Schulen bis zum 27. März.

Angela Merkel spricht von vorgezogenen Osterferien

Eine deutschlandweite Schließung von Schulen ist auch nach dem Treffen der Ministerpräsidenten der Bundesländer am Donnerstag vorerst nicht geplant. Kanzlerin Angela Merkel schloss aber nicht aus, in Ländern, die intensiv betroffen sind – so wie NRW – etwa vorgezogene Osterferien zu veranlassen. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek will einen Normalbetrieb „so lange wie möglich“ aufrechterhalten.

Aus gesundheitspolitischer Sicht sei nichts gewonnen, wenn die Kinderbetreuung nach Schulschließungen von Großeltern übernommen werde müsse, die als Risikogruppe durch Corona stärker gefährdet seien. Ministerpräsident Armin Laschet sah am Mittwoch keinen Anlass, Kitas, Schulen oder Unis landesweit zu schließen. Vom Deutschen Lehrerverband (DL) hieß es am Donnerstag, man sei bei der Frage weiterhin mehrheitlich der Auffassung, der Expertise des Gesundheitsministeriums und des Robert Koch-Instituts zu folgen. Bisher gebe es von dort keine Empfehlung für generelle Schulschließungen, sagte DL-Präsident Heinz-Peter Meidinger. Er rief aber alle Schulen dazu auf, sich vorzubereiten. Sie sollten ausloten, wie Schüler weiter mit Unterrichtsmaterialien versorgt werden könnten.

Corona-Ferien: Kritik am zögerlichen Handeln

Nicht überall ist man vom zögerlichen Handeln der deutschen Ministerpräsidenten überzeugt. CDU-Europaabgeordneter und Gesundheitsexperte Peter Liese glaubt, Schulschließungen seien auch in Deutschland nötig. „Mindestens in den am meisten betroffenen Gebieten, oder auch flächendeckend – wenn möglich schon ab Montag.“

Auch der NRW-Elternverband forderte am Donnerstag den Unterricht einzustellen. „Wir bekommen viele Anrufe besorgter Eltern“, sagte Elternvereins-Vorsitzende Andrea Heck. „Es wäre vernünftig, wie in Österreich, Dänemark, Polen und Italien die Schulen zu schließen“, sagte Heck.

Lehrerorganisationen: Schulschließungen dürfen kein Tabu sein

Die drei größten Lehrerorganisationen in NRW – die GEW, der Philologen-Verband NW und der VBE – haben eine gemeinsame Erklärung verfasst. Man erwarte von Ministerien, Gesundheitsbehörden und Schulträgern bestmögliche Unterstützung und Hilfestellung für die Lehrer und Schulleiter in NRW. Die Gefahrenlage müsse jeden Tag neu bewertet werden. Schulschließungen dürfen kein Tabu sein.

„Unsere Schulleiter sind weder Juristen noch Virologen. Im Notfall dürfte die Schulleitung eine Schule schließen. Hierfür brauchen die Schulleiter Handlungssicherheit und Beratung“, erklärte am Donnerstag Maike Finnern, Vorsitzende der GEW NRW. Ihr Kollege Stefan Behlau, Vorsitzender des VBE NRW, stellte klar: „Das Land NRW als Arbeitgeber muss Lehrkräfte bestmöglich schützen. Sie sorgen sich natürlich um ihre persönliche Gesundheit und die ihrer Familie.“ Ein Gebot der Stunde sei es zudem, die sanitären Mängel an vielen Schulen zu beheben.

Die schlechte digitale Infrastruktur in NRW

In einem Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ kritisiert Sabine Mistler, Vorsitzende des Philologenverbandes: „Lehrkräfte müssen, ebenso wie medizinisches Personal umgehend und unbürokratisch getestet werden können.“ Sie weist aber auch darauf hin, dass vor einer möglichen Schulschließung noch wichtige Dinge geklärt werden müssten: „Wie können die Schüler ihre Abschlüsse machen, wie sollen bei längerfristigem Ausfall Noten gegeben werden und wie können eventuell Klassenarbeiten oder Klausuren unter Einhaltung entsprechender Hygienevorschriften geschrieben werden?“

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Könnte es bald Unterricht via Videokonferenz geben? „Das ist NRW leider aufgrund der fehlenden flächendeckenden digitalen Infrastruktur nicht einheitlich möglich“, sagt Mistler. Als Beispiel nennt sie eine Schule im Rheinisch-Bergischen Kreis, an der die Kinder auch von zu Hause aus weiter unterrichtet werden könnten. Über gesicherte Kanäle sollen Lehrer von zu Hause ihre Aufgaben an die Schule schicken, das Sekretariat will diese dann an die Eltern weiterleiten.

Das Risiko beim Einkaufen im Supermarkt

Wie groß die Verunsicherung ist, zeigt auch die Aussage einer Klassenlehrerin einer fünften Klasse an einem Düsseldorfer Gymnasium. „Es macht meiner Meinung nach keinen Sinn, Schulen zu schließen, aber Supermärkte offen zu lassen“, sagte die Lehrerin. Ansteckungsgefahr gebe es im Supermarkt, in der Bahn oder in einer Bar auch.

Bislang bemühe man sich an ihrer Schule um Gelassenheit. In der Regel gebe es zwischen Schülern und Lehrern auch keinen körperlichen Kontakt. „Wir umarmen die Schüler ja nicht, trinken auch nicht aus denselben Flaschen.“ Statt Sorge überwiege an ihrer Schule eher die Enttäuschung darüber, dass anstehende Klassenfahrten sowie Theateraufführungen abgesagt wurden. Die Abiturienten hofften, dass ihre Prüfungen nicht verschoben würden. (mit dpa)

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