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Studie zum kirchlichen MissbrauchGutachter: Nur Frauen können Opfer bewahren

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Aachener Dom

Der Aachener Dom. Im katholischen Bistum Aachen wurde ein Gutachten über sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche des Bistums vorgestellt.

Aachen/Köln – Bei der Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche gebe es ab jetzt einen „Goldstandard“. So urteilt der Kirchenrechtler Thomas Schüller über ein am Donnerstag vorgestelltes Gutachten zum Umgang mit Missbrauchsfällen im Bistum Aachen.

Vor zwei Jahren veröffentlichte die Deutsche Bischofskonferenz eine Missbrauchsstudie, die als Meilenstein gewürdigt, aber auch kritisiert wurde: Die Autoren der Untersuchung hatten keinen uneingeschränkten Zugriff auf die Kirchenakten und benannten keinen einzigen Verantwortlichen.

Bistum Aachen: 175 Hinweise auf Missbrauch gefunden

Das war jetzt im Fall Aachen anders. Die Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl konnte nach Darstellung beider Seiten frei agieren und war ausdrücklich aufgerufen, die Namen derer zu benennen, die in der Vergangenheit möglicherweise etwas vertuscht hatten. Die Unterstützung des Bistums Aachen sei „grenzenlos“ gewesen, lobte der Jurist Ulrich Wastl.

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Die Gutachter fanden bei ihren Recherchen Hinweise auf 175 Missbrauchsopfer im Bistum Aachen bis 2019, die meisten davon Jungen, besonders aus der Altersgruppe der Acht- bis 14-Jährigen. In mehreren Fällen seien Priester, die sich des Missbrauchs schuldig gemacht und teilweise Haftstrafen abgesessen hätten, wieder in Gemeinden eingesetzt worden. Dort hätten einige dann erneut Kinder missbraucht. 

Das Gutachten bestätigt damit ein Prinzip, das aus der Studie der Bischofskonferenz und aus Einzelfällen bereits zur Genüge bekannt ist: Opfer galten in der Kirche tendenziell als Störungsfriede. Als Täter überführte Kleriker wurden geschützt und wieder eingesetzt.

Schwere Vorwürfe gegen führende Aachener Bischöfe

Persönliche Mitverantwortung sehen die Gutachter bei mehreren früheren Aachener Bischöfen, unter ihnen Klaus Hemmerle (1929-1994) und Heinrich Mussinghoff, der bis 2015 an der Spitze des Bistums stand. Die Präsentation des Gutachtens hatte jedoch nichts von einem Tribunal. Es ging den Juristen erkennbar nicht darum, einzelne Verantwortungsträger an den Pranger zu stellen. Vielmehr wollten sie die „systemischen Ursachen“ des Missbrauchs herausarbeiten, die solche Verbrechen an Kindern und Jugendlichen nach ihrer Überzeugung bis heute begünstigen.

Dazu gehört für sie zum einen die quasi unangreifbare Stellung des Priesters als Mittler zwischen Gott und den Menschen. So jemand kann sich nach früher weit verbreitetem Verständnis eigentlich gar nicht schuldig machen. Ein zweiter wesentlicher Punkt ist für die Gutachter das problematische Verhältnis der Kirche zur Sexualität. Sexualität werde rein negativ gesehen - darüber zu sprechen, hätten viele Amtsträger nie gelernt.

Die wichtigste Empfehlung lautet: Die Kirche muss ihre Leitungsämter für Frauen öffnen. Nur so könne ihr „männerbündische System“ aufgebrochen und ein „Kulturwandel“ erreicht werden. Dass die Kirche diesen Rat beherzigt, ist jedoch absolut nicht in Sicht. Das Priestertum und damit auch alle Bischofsämter bleiben Männern vorbehalten - mit dem schlichten Hinweis darauf, dass die zwölf Apostel von Jesus vor 2000 Jahren in der römischen Antike auch alle Männer gewesen seien.

Gute Beurteilung des Gutachtens

Kirchenrechtler Schüller bewertet das Gutachten als „qualitativ präzise“ und „fachlich hochwertig“. „Hinter diesen Bericht wird kein Bistum zurückgehen können, und jeder weiß jetzt, welche Angst das Erzbistum Köln umtreibt, verzweifelt den für Köln erstellten Bericht mit allen Kräften nicht der Öffentlichkeit zu übergeben“, sagt der Münsteraner Professor der Deutschen Presse-Agentur.

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki hatte bei derselben Kanzlei eine ähnliche Untersuchung bestellt, die schon seit mehr als einem halben Jahr fertig ist. Durchgesickert ist bereits, dass darin unter anderem der heutige Hamburger Erzbischof Stefan Heße - ehemals Personalchef in Köln - kritisch beurteilt wird.

Die geplante Veröffentlichung des Gutachtens wurde von Woelki jedoch mittlerweile ganz abgesagt - es fehle die nötige Rechtssicherheit. Der Aachener Bischof Helmut Dieser hat sich von Woelkis Bedenken nicht abschrecken lassen. Kirchenrechtler Schüller meint: „Dem Bischof von Aachen ist für seinen Mut und seine Entschlossenheit zu danken.“ (dpa) 

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