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Studie zur LehrerbelastungPädagogen klagen über miserable Schulausstattung

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Der Arbeitsalltag von Lehrern in NRW ist oft von Mängeln geprägt: ungenügende Ausstattung der Schulen mit Computern und Arbeitsräumen, zu wenig Lehrer im Kollegium und Mängel in der Inklusion. 

Köln – Holger Maiwald leidet an Sodbrennen und Schlaflosigkeit. Wenn er nachts im Bett liegt, kann er oft nicht abschalten. Die Probleme, die er in seinem Job tagtäglich erlebt, lassen ihn nicht los. „Ich nehme viele Sachen mit nach Hause“, sagt der Kölner. Maiwald (Name geändert) unterrichtet Deutsch und Philosophie an einer Gesamtschule im Rheinland. Er sei gerne Lehrer. Eigentlich. „Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich den Beruf noch einmal ergreifen würde, wenn ich die Wahl hätte“, sagt der Pädagoge.

Alles abverlangt

Wenn Kinder über Bänke und Tische turnen, ist die Belastung für Lehrer groß. Besonders die Inklusion hat vielen Grundschullehrern einiges abverlangt. Der tägliche Klassenkampf lässt viele Lehrer erschöpft zurück. Und es fehlt an Möglichkeiten, den Stress wieder abzubauen, so das Ergebnis einer Studie der Lehrergewerkschaft Verband Bildung und Erziehung (VBE) NRW.

„Die Bedingungen sind alles andere als gesundheitsfördernd: Dauernde Belastungsphasen kombiniert mit ständigem Frust über die unzureichende Ausstattung“, sagt die stellvertretende VBE-Landesvorsitzende, Wibke Poth. „Zusätzlich sorgt der allgegenwärtige Personalmangel vielerorts für Mehrarbeit.“

Dabei würden, sagt Poth, Investitionen in die Gesundheitsförderung den Personalmangel verringern und letztlich die Bildungsqualität stärken. Die VBE-Studie untersucht, in welchem Maße die Schulstrukturen ein gesundheitsförderliches Verhalten bei Lehrkräften unterstützen oder behindern.

Dazu wurden in NRW 4413 Lehrer befragt. Das Ergebnis ist niederschmetternd. Besonders auffällig: Lehrkräfte erleben im Alltag lange Belastungsphasen (hier geben die Lehrer den Wert 4,33 von maximal 5 an), während Entspannungsmöglichkeiten nahezu fehlen (4,42). Angebote der Gesundheitsförderung scheinen kaum vorhanden oder bekannt zu sein. Dabei haben viele Lehrkräfte ein großes Interesse an Gesundheitsthemen.

„Sehr gelitten“

Maiwald hatte sich entschieden, Lehrer zu werden, weil er es besser machen wollte. „Ich habe unter dem autoritären Stil, den unfairen Noten und der Selbstherrlichkeit einiger Lehrer an meinem Gymnasium sehr gelitten“, berichtet er. Schon im Referendariat merkt er, dass es nicht leicht ist, die alten Muster zu überwinden.

Doch der Pädagoge beißt sich durch. Er bekommt eine Stelle an einer Gesamtschule, die in einem sozialen Brennpunkt liegt. „Ich komme selbst nicht aus einem Akademiker-Haushalt. Mir macht es Spaß, Kindern zu helfen, die keine besonders guten Startvoraussetzungen mitbringen“, sagt Maiwald.

In der fünften Klasse, die er als Klassenlehrer übernimmt, kommt fast kein einziges Kind zum Unterricht, das keine Probleme hat. Da gibt es Jungen und Mädchen, die nur in der Schule Deutsch sprechen. Sie hören viel Musik, wollen so sein wie Gangster-Rapper, die Respekt für uncool halten. Manche leiden darunter, dass ihre Eltern suchtkrank sind.

„Oft ist auch Gewalt an der Tagesordnung oder es gibt Hinweise auf sexuellen Missbrauch“, sagt Maiwald. „Das ist zum Teil gruselig. Aber man kann ja nicht einfach wegsehen und sagen, ich bin nur für die Wissensvermittlung zuständig. Die schreiende Hilflosigkeit ist eine emotionale Belastung. Ich hänge schließlich auch an meinen Schülern.“

Grundschullehrer befragt

Vor allem Lehrkräfte an Grundschulen wurden in der VBE-Studie befragt (61,7 Prozent). Die Lehrer bewerteten den eigenen Gesundheitszustand auf einer Skala von 1 (sehr gut) bis 10 (gar nicht gut) am häufigsten mit dem Wert „4“, am zweithäufigsten mit dem Wert „3“, also als eher befriedigend. Junge Lehrkräfte fühlen sich dabei erwartungsgemäß zufriedener als ältere. Die Lehrer sehen den Einfluss der Arbeitsbedingungen auf ihren allgemeinen Gesundheitszustand als hoch an.

Während das Schulklima als gut bewertet wird, gibt es Differenzierungen in Bezug auf die emotionale Unterstützung durch das Kollegium und Schulleitern bei Konflikten mit Schülern. Während die Lehrer sich von ihren Kollegen emotional gut unterstützt fühlen, finden sie ihren eigenen Aussagen nach weniger Rückendeckung durch die Schulleiter. Die Distanz setzt sich fort in der Feststellung, dass ein „erheblicher Anteil der Lehrkräfte den Entscheidungen der Schulleitung gegenüber skeptisch eingestellt ist.“

Sehr unzufrieden sind die Lehrer mit der räumlichen Ausstattung ihrer Schulen. Fast genauso schlecht sehen die Pädagogen die materielle und personelle Ausstattung an den Schulen an. Das größte Problem sind jedoch die Belastungsphasen und die Möglichkeit zur Entspannung.

„Wenn man will, dass Lehrer genau das tun, was die Gesellschaft von ihnen verlangt: länger in der Schule zu bleiben und sich mit Kollegen zu beraten, müssen sie das auch irgendwo tun können“, sagt die Vorsitzende des Philologen-Verbandes, Susanne Lin-Klitzing. „Das Lehrerzimmer bietet viel zu wenig Möglichkeiten, um vernünftig arbeiten zu können.“

Vieles im Argen

„Vieles liegt im Argen“, sagt auch Dorothea Schäfer von der Erziehung Gewerkschaft und Wissenschaft (GEW) in NRW. „Erholung ist bei den meisten gar nicht möglich.“ In den Pausen könnten sich die Lehrer nicht zurückziehen, denn es gebe nur große Lehrerzimmer, „wo dann natürlich weiter über die Schüler gesprochen wird, wenn es Probleme im Unterricht gegeben hat. Man steht im Grunde den ganzen Tag unter Strom“, sagt Schäfer.

Selbst bei Ganztagsschulen könne man die Pausen nicht nutzen, um die angefallenen Dinge zu bearbeiten. Das geschehe dann zumeist zu Hause, „weil man keinen richtigen Arbeitsplatz hat“. Die Arbeitsbedingungen in den Schulen findet die GEW-Vorsitzende „höchst unzureichend“.

Es gebe Beispiele, gut renovierte Schulen, wo man auf die Bedürfnisse der Pädagogen geachtet und zum Beispiel einen Ruheraum eingerichtet habe. „Aber das ist die Ausnahme unter den Schulen.“ Die GEW fordert, dass Lehrer einen eigenen Arbeitsplatz haben. So gebe es mitunter nur drei Computer – für alle.

Kampf um die Talente

Bei einem großen Kollegium sind solche Bedingungen kaum akzeptabel. Gerade auch, wenn man junge Menschen für den Lehrerberuf begeistern will, findet Professor Heiko Meier von der Universität Paderborn, der die Studie mit seiner Forschungsgruppe ausgearbeitet hat: „Gerade auch in der freien Wirtschaft, ist der »war for talents« längst entbrannt und wird zunehmend über weiche Faktoren der Arbeitgeberattraktivität aus-gefochten. Einer dieser Faktoren ist auch die Gesundheitsförderung“, sagt er.“

Da angesichts des gesellschaftlichen Megatrends Gesundheit nicht zu erwarten ist, dass sich dieser Faktor in nächster Zeit abschwächen wird, sind die Schulen gut beraten, sich ebenfalls damit zu befassen.“

Endlose Konferenzen

Holger Maiwald gibt pro Woche 25,5 Unterrichtsstunden. Ein bequemer Halbtagsjob? „Schön wär’s“, sagt er. Wenn Klassenarbeiten zu korrigieren seien, komme er auch mal auf 80 Stunden in der Woche. Viel Zeit würden Konferenzen und die Gespräche mit Eltern in Anspruch nehmen.

Der Zuzug von Flüchtlingskindern erschwert die Arbeit an den Schulen. Hinzu kommen die Belastungen durch die Inklusion. Weil die Landesregierung beschlossen hat, dass die Förderschulen weiterbestehen dürfen, hat sich an den Regelschulen der Mangel an Sonderpädagogen verstärkt.

„Wenn wir unseren Job vernünftig machen wollten, müssten wir das Kollegium verdoppeln. Das wird natürlich nie passieren“, sagt Maiwald. Über das Klischee von den „faulen Säcken“, das nicht zuletzt von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) befördert wurde, kann er nur müde lächeln. „In meinem Bekanntenkreis herrscht eine ganz andere Auffassung. Die Leute haben oft Gleitzeit oder können Home-Office machen. Da heißt es meistens: 'Deinen Job wollte ich nicht haben'.“

Warum das so sei? „Das Klima hat sich in den letzten 20 Jahren komplett verändert. Früher war ein Schüler selbst schuld, wenn er schlechte Noten hatte. Heute wird der Lehrer für Misserfolge verantwortlich gemacht.“

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