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Thomas Kutschaty im Interview2.500 Euro Bußgeld bei Verstoß gegen Impfpflicht denkbar

Lesezeit 9 Minuten
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Blick in die Zukunft - Thomas Kutschaty

Köln –  Herr Kutschaty, Sie haben gute Chancen, der nächste Ministerpräsident von NRW zu werden. Haben Sie die Kabinettsliste schon in der Schublade?

(Lacht) Nein, wir wollen erst einmal die Wahl gewinnen. Die Umfragewerte sind zwar deutlich besser als vor einem halben Jahr, aber wir alle wissen, dass Umfragewerte nicht immer unbedingt das Wahlergebnis widerspiegeln. Unsere Aussichten sind gut, aber das Rennen beginnt erst noch. Wir stehen alle an derselben Startlinie.

Könnte die Ampel im Bund ein Modell für NRW sein?

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Schon länger werbe ich dafür, das Blockdenken zwischen den demokratischen Parteien aufzulösen. Bei den Koalitionsverhandlungen im Bund herrschte ein sehr vertrauensvolles Klima. Ich habe den Eindruck, dass dabei auch nochmal die Beziehungen von SPD, Grünen und FDP in der Landespolitik intensiviert worden sind. Das ist ein gutes Signal. Man merkt ja auch, dass es zwischen CDU und FDP in der Landesregierung bereits knirscht. Wenn Ministerpräsident Wüst im Landtag spricht, gibt es bei der FDP längst nicht immer Applaus. Das war früher anders.

Die Ampel im Bund ist auch deswegen zustande gekommen, weil FDP und Grüne nicht mit der derangierten CDU koalieren wollten. In NRW könnte die Lage anders sein. Müssen Sie nicht befürchten, dass es am Ende in Düsseldorf eine Jamaika-Koalition gibt?

Das Ergebnis der CDU wird sicher auch davon abhängen, ob Friedrich Merz Bundesvorsitzender wird. Das könnte viele Wähler aus der politischen Mitte verschrecken und wäre eher ein Auftrieb für die Ampel, nicht für Jamaika.

Bund und Länder setzen im Kampf gegen die Pandemie auf Kontaktbeschränkungen. Reicht das aus – oder droht am Ende doch wieder der Lockdown?

Mit der 2G-Regel für den Theater- oder Kinobesuch sowie im Einzelhandel zum Beispiel für Bekleidungsgeschäfte gibt es ja jetzt so etwas wie einen Lockdown für Ungeimpfte. Wir müssen diese vierte Welle brechen. Aber wir müssen die fünfte oder sechste Welle auch jetzt schon verhindern. Und das hängt entscheidend vom Impftempo ab. Es war ein Fehler, die Impfzentren im September zu schließen. Wir müssen die Impf-Infrastruktur massiv ausbauen. Es kann jedenfalls nicht sein, dass Menschen vier Stunden für ihre Impfung oder ihren Booster in der Kälte anstehen und im schlechtesten Fall sogar wieder weggeschickt werden, weil nicht genug Dosen da sind, oder die letzte Impfung erst fünf Monate und zwei Wochen her ist. Deshalb brauchen wir vor allem ausreichend Impfstoff und Impfstellen an allen Ecken. Wer eine Spritze setzen darf, sollte auch impfen dürfen.

Der Besuch von Fußballspielen ist in der Pandemie verzichtbar, die Bildung unserer Kinder aber nicht."

NRW plant Zulassungsbeschränkungen für Fußballstadien, Sie sind rigoroser und fordern Geisterspiele. Damit machen Sie sich bei den Fans nicht gerade beliebt.

Das verstehe ich, ich mache es mir damit ja auch nicht leicht. Meine Haltung ist dennoch klar. In der aktuellen Situation sollten wir alle nötigen Sicherheitsvorkehrungen treffen. Und da sind mir 15.000 Zuschauer bei einem Spiel zwischen Dortmund und Bayern, die in U-Bahnen und Straßenbahnen anreisen, einfach noch zu viel. Zumal in der jetzigen Phase – in der noch nicht alle Geimpften schon eine Auffrischung hatten – ja auch die Aussagekraft des Immunitätsnachweises nachlässt. Wenn ich die Wahl habe zwischen Geisterspielen und Schulschließungen, ist die Entscheidung für mich eindeutig. Der Besuch von Fußballspielen ist in der Pandemie verzichtbar, die Bildung unserer Kinder aber nicht. Man muss auch bereit und entschlossen sein, da die notwendige Abwägung zwischen Nutzen und Risiko zu treffen.

CDU-Fraktionschef Bodo Löttgen hält Fußballstadien für die sichersten Orte in Deutschland.

Ich hoffe, dass das nur eine überspitzte, allerdings auch unpassende Einlassung von ihm war und da nicht der Aufsichtsrat von Borussia Dortmund aus ihm gesprochen hat. Ansonsten würde es leider zeigen, wie sehr er den Blick auf die Realität verloren hat. Interessen von Profiklubs dürfen nicht höher bewertet werden als der Gesundheitsschutz für die Menschen in unserem Land.

An Masern-Impfpflicht und Bußgeld orientieren

Sie sprechen sich für eine allgemeine Impfpflicht aus. Wie soll die durchgesetzt werden?

Die Freiheit eines Einzelnen stößt da an Grenzen und Schranken, wo die Freiheit des Anderen beginnt. Wenn wir eine höhere Impfquote erreicht hätten, hätten wir uns auch die Diskussion um die Impfpflicht sparen können. Bei den Masern gibt es schon eine Impfpflicht. Ich wüsste nicht, warum man das nicht auch bei Corona rechtsicher umsetzen können sollte. Das muss der Bundestag jetzt klären. Am Ende wird natürlich niemand von der Polizei abgeholt und in ein Impfzentrum oder zu einem Arzt gefahren. Wer gegen Pflichten verstößt, muss aber mit erheblichen Bußgeldern rechnen. Bei einem Verstoß gegen die Masern-Impfpflicht drohen beispielsweise bis zu 2.500 Euro. Daran könnte man sich orientieren.

Impfgegner behaupten oft noch auf der Intensivstation, Corona sei nicht gefährlich. Wie sollte man damit umgehen?

Ich mach mir da vor allem Gedanken um die Pflegerinnen und Pfleger. Sie haben oft Tränen in den Augen, wenn sie über ihre Situation sprechen. Wer auf einer Corona-Intensivstation stirbt, der stirbt nicht im Kreis seiner Familie. Das heißt, die Pflegekräfte sind in der Regel die letzten Ansprechpartner für die Sterbenden, die ja zum Teil auch noch jung sind. Das ist eine große Belastung für die Pflegenden. Sie sind sehr aufopferungsbereit, aber mit ihren Kräften am Ende. Viele bleiben nur noch im Job, weil sie ihre Kolleginnen und Kollegen nicht im Stich lassen wollen.

Wie kann die Politik der Pflege helfen?

Vielen Pflegerinnen und Pflegern geht es nicht um mehr Geld, sondern vor allem um bessere Arbeitsbedingungen. Dazu gehört natürlich eine bessere Bezahlung, gar keine Frage. Aber das Arbeitspensum und die Belastung insgesamt sind zu hoch. Sie brauchen zum Beispiel einen verlässlichen Dienstplan. Man muss sich am Freitag darauf verlassen können, dass man am Samstag auch tatsächlich frei hat. Heute besteht immer eine große Unsicherheit. Wenn die nächste Schicht nicht kommt, kann man die Intensivstation ja nicht einfach verlassen. Dann müssen private Verabredungen oder die gemeinsame Zeit mit der Familie abgesagt werden.

Was ist zu tun?

Wir brauchen ein Anwerbeprogramm und auch eine Kampagne des Landes, mit dem wir gezielt neue Pflegekräfte gewinnen. Ich bin dafür, eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich für Pflegerinnen und Pfleger einzuführen und die Tarifbindung in der Langzeitpflege zu stärken. In NRW fehlen rund 14.000 Kräfte in der Gesundheits- und Krankenpflege. Die bekommen wir nur, wenn wir die Arbeitsbedingungen nachhaltig verbessern. Dazu gehören beispielsweise auch verlässliche Rahmenbedingungen für eine gute Kinderbetreuung. Viele Pflegekräfte bekommen ihren Job oft mit ihrer Familie nicht mehr unter einen Hut und verlassen den Beruf auch deshalb. Daher brauchen wir an den Krankenhäusern eine organisierte Betreuungsstruktur. Diese Forderungen werden eine zentrale Rolle in unserem Landtagwahlprogramm spielen.

Wie wäre die Corona-Lage in Deutschland, wenn im Herbst keine Bundestagswahlen stattgefunden hätten?

Das ist schwer zu sagen. Die Experten hatten ja schon im Sommer gewarnt, dass der Winter wieder härter werden würde, wenn das Impf-Ziel nicht erreicht wird. Aber in der Zeit war von der Impfkampagne auch in NRW nicht viel zu hören und zu sehen. Die Schließung der Impfzentren und die Einführung der kostenpflichtigen Bürgertests waren Fehler - das ist inzwischen allen klar.

2Gplus als freiwilliger Standard an Silvester

Viele Familien stehen vor der Frage, in welchem Rahmen Sie das Weihnachtsfest feiern sollen. Raten Sie dazu, Familientreffen abzusagen?

Diese Frage wird auch bei uns zu Hause diskutiert. Ich würde keine Familienfeier im kleinen Kreis absagen, aber doch zu großer Vorsicht bei Treffen raten, wenn zum Beispiel ungeimpfte Enkel auf Großeltern treffen, bei denen der Impfschutz noch nicht aufgefrischt wurde. Der Test vor dem Fest sollte in jedem Fall dazugehören. Dazu rate ich auch bei privaten Silvesterfeiern - da sollte 2Gplus auf freiwilliger Basis der Standard sein.

Ich würde nur in der aktuellen Situation von großen Partys abraten und auch da eher im kleineren Kreis feiern. Für ungeimpfte Erwachsene gilt ja ohnehin gerade eine strenge Kontaktbeschränkung.

In den Flutgebieten droht vielen Familien ein tristes Fest. Wie zufrieden sind Sie mit dem Tempo des Wiederaufbaus?

Wir könnten weiter sein, wenn die Betroffenen schneller an das zugesagte Geld für den Wiederaufbau kommen würden. Aber die Antragsverfahren sind zu kompliziert. Viele Menschen blicken da nicht durch. Sie bräuchten mehr Hilfe, um die versprochenen Mittel auch tatsächlich abrufen zu können. Von den 300 Stellen, die das Land neu besetzen wollte, um Anträge von Betroffenen schneller abarbeiten zu können, sind noch viel zu wenige besetzt.

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst sollte Mitarbeiter aus den Ministerien in die betroffenen Kommunen entsenden, die dort den Bürgern zum Beispiel in Containern als Ansprechpartner zur Verfügung stehen könnten. Schwarz-Gelb hat seit 2017 mehr als 1.000 neue Stellen in den Ministerien geschaffen. Da sollte genug Kapazität vorhanden sein, um den Kommunen auszuhelfen.

Pauschale Abstände bei der Windkraft unnötig

In NRW stockt der Ausbau der Windkraft. Wie passt das zu den Ampel-Plänen, 2030 aus der Kohle auszusteigen? Der Ausbau der Windkraftanlagen ist in NRW seit 2017 drastisch eingebrochen. Wir haben uns über Abstandsregelungen unterhalten, statt neue Flächen auszuweisen. Allein in 2017 war der Nettozubau an installierter Windleistung in NRW so hoch wie in den Folgejahren 2018 bis 2020 unter Schwarz-Gelb zusammen. In den drei Jahren sind gerade mal etwas mehr als 200 Windräder dazugekommen. Wir müssen aber ungefähr 200 neue Anlagen pro Jahr bauen, um den Ausbauzielen gerecht zu werden.

Welche Abstandsregeln halten Sie für angemessen? Repowering, also der Austausch von alten gegen leistungsstärkere, neue Anlagen ist eines der zentralen Instrumente. Mit einer größeren Anlage am selben Standort kann man teilweise das Fünf- bis Zehnfache an Energie gewinnen. Den Kommunen müssen wir zudem neue Beteiligungsmöglichkeiten einräumen, um die Akzeptanz für die Windenergie zu steigern. Auch an die Mindestabstände müssen wir ran. Pauschale Abstände braucht es nicht. Das Bundesemissionsschutzrecht ermöglicht flexible Abstandsregeln, je nach örtlicher Lage und Anlagengröße. Dadurch wäre auch ein entsprechender Lärmschutz gewährleistet.

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Wie sehen Sie Ihre Rolle, sollten Sie zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden gewählt werden? Mir ist es wichtig, dass die Länder-Perspektive eingebracht wird. Dabei spielt Nordrhein-Westfalen eine wichtige Rolle. Das Schaulaufen auf Ministerpräsidenten-Konferenzen ohne Konsequenz für das eigene Handeln hat unserem Bundesland nicht gut getan. NRW muss im Bund wieder seriös Politik machen.

Mein persönliches Thema ist die ständige Erneuerung des Bildungsaufstiegs. Ich selbst habe als erster in der Familie Abitur gemacht und ein Studium abschließen dürfen. Das ist in unserem Land zu selten möglich, weil sich die soziale Herkunft verhärtet.

Das bedeutet auch: Bildung ohne Augenhöhe ist keine. Die meisten Menschen, die unsere Gesellschaft täglich am Laufen halten, kommen gut ohne Abitur aus und haben den gleichen Respekt verdient wie Menschen mit Abitur. Wir müssen aus diesem Gegeneinander heraus, um wieder mehr zu ermöglichen.

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