Todenhöfer über Iran„Das Kopftuch ist nur ein Thema von vielen“

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Jürgen Todenhöfer.

Mitte Februar feierte die Islamische Republik Iran den 39. Jahrestag des Sieges über die Schah-Monarchie. Doch die Atmosphäre ist angespannt: Die Proteste gegen die Wirtschaftsmisere sind gerade erst abgeflaut, die Menschen leiden unter Arbeitslosigkeit und Armut. In sozialen Netzwerken sorgen iranische Frauen mit Anti-Kopftuch-Aktionen für Aufsehen, und der über allem schwebende Konflikt mit Saudi-Arabien destabilisiert die Region zusehends. Ein Ende der Feindschaft ist nicht in Sicht. Jürgen Todenhöfer musste erleben, dass besonders saudische Politiker für das Nachbarland kaum ein gutes Wort übrig haben. Der Publizist reiste zwei Wochen lang durch Saudi-Arabien und den Iran. Im Interview spricht er über saudischen Reformeifer, iranische Hoffnungen und Vorurteile des Westens.

Herr Todenhöfer, Sie waren gerade eine Woche in Saudi-Arabien und danach eine Woche im Iran unterwegs. Die Länder gelten als erbitterte Feinde. Haben Sie das in Ihren Gesprächen gemerkt?

Manche staunten, dass ich beide Länder direkt nacheinander besuchte. Bei saudischen Politikern folgte, wenn ich das erwähnte, meist eine Attacke auf den Iran. Die Iraner haben gelassener reagiert. Aber sie sind strategisch ja auch in einer besseren Position. Bei meinen Gesprächen in Saudi-Arabien war häufig die Rede von einer Aggressionspolitik des Iran. Auch im Westen wird das ja oft behauptet. In Wirklichkeit handelt es sich aber eher um strategische Eigentore der USA oder Saudi-Arabiens: Die beiden haben den Irak, Syrien und Jemen doch geradezu an die Seite des Iran getrieben. Darüber herrscht heut in Riad verständlicherweise keine Freude mehr.

Bleiben wir bei Saudi-Arabien. Kronprinz Mohammed bin Salman hat diverse Reformen angestoßen; Frauen dürfen zum Beispiel bald Auto fahren und Fußballspiele im Stadion verfolgen. Sind das Zeichen einer echten gesellschaftlichen Öffnung oder soll damit eine Modernisierung nur vorgetäuscht werden?

Jede Öffnung Saudi-Arabiens zu mehr persönlicher Freiheit ist gut. Auch wenn es sich hier wohl nur um eine Normalisierung im Vergleich zu anderen wahhabitischen Staaten, wie etwa Katar, handelt. Besonders die klare Abkehr Saudi-Arabiens von extremistischen Interpretationen des Islam zu einer moderateren Form sehe ich positiv. Der Extremismus der letzten Jahrzehnte hat das Image des Landes schwer beschädigt. Bin Salman versucht, das zu ändern. Kein Extremist wird sich in Zukunft mehr auf die offizielle saudische Interpretation des Islam berufen können. Ein kühner Schritt.

Was allerdings politische Freiheiten und Beteiligung angeht, kann von Öffnung noch keine Rede sein. Politische Opposition wird nicht geduldet. Der Blogger Raif Badawi etwa sitzt schon seit Jahren wegen seiner kritischen Texte im Gefängnis, ebenso sein Anwalt.

Auf der einen Seite gibt es positive gesellschaftliche Entwicklungen. Auf der anderen Seite sehen wir im politischen Bereich eine massive Konzentration der Macht auf eine Person, auf Kronprinz Mohammed bin Salman. Er schaltet jede Gegenmacht aus. Er hat Mitglieder der Königsfamilie festnehmen lassen. Er hat den Konsens mit der religiösen Führung aufgekündigt. Und den gesellschaftlichen Konsens selbst mit wohlmeinend kritischen Intellektuellen.

Manche sagen, das Land sei politisch nun deutlich weniger frei als vorher. Auch in der Privatwirtschaft fragt man sich: Wer ist als nächster dran? Im Grunde hat der Kronprinz einen Putsch durchgeführt. Saudi-Arabien war zwar immer ein absolutistisches Land, eine Familiendiktatur. Aber jetzt will Bin Salman alleiniger absolutistischer Herrscher sein, ein saudischer Sonnenkönig. Sein Motto: „Saudi-Arabien, das bin ich.“

Welche Motivation treibt ihn bei seinen Reformen an?

Er versucht einen neuen Gesellschaftsvertrag mit den Unter-30-Jährigen zu schließen – die über 60 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Das Land steht vor großen wirtschaftlichen Problemen. Der Ölpreis ist gesunken, die Einnahmen sind dramatisch gefallen. Viele junge Leute haben keinen Job – viele sind auch nicht an harte Arbeit gewöhnt. Schließlich war immer genug Geld da. Gerade die Männer hatten lange nicht das Gefühl, hart arbeiten zu müssen. Die einzigen, die oft bereit sind, auch weniger gut bezahlte Jobs anzunehmen, sind die jungen Frauen – die ohnehin kämpferischer sind. Der Staat wird immer mehr Leistungen kürzen müssen. Die gesellschaftlichen Freiheiten, die Bin Salman jetzt zulässt, finden in Bereichen statt, die ihm nicht wehtun. Das Ganze ist trotzdem ein gewagtes Experiment.

Weil Bin Salman es unter Umständen zu weit getrieben hat?

Was der Kronprinz tut, ist hochriskant. Viele Führer des Mittleren Ostens, die versucht haben, ihrem Land eine radikale gesellschaftliche Erneuerung zu verordnen, sind gestürzt worden. Trotzdem: Vieles, was er durchsetzt, ist positiv. Die absolutistischen Methoden, die er anwendet, sehe ich kritisch. Aber vorher gab es eben gar keinen Fortschritt.

Nicht zuletzt wegen der vielen gesellschaftlichen Verbote gelten sowohl Saudi-Arabien als auch der Iran in der Wahrnehmung des Westens oft als rückständig und bedrohlich.

Weder Saudi-Arabien noch der Iran sind liberale Staaten. Aber die von oben stillschweigend geduldeten Freiräume sind groß. Es gibt im Iran junge Menschen, die unverheiratet zusammenleben – obwohl das verboten ist. Im früheren Baden, wo ich Gerichtsreferendar war, war übrigens die sogenannte wilde Ehe bis Anfang der 70er-Jahre auch noch strafbar.

Auch die jungen Iraner finden ihren Weg: Auf den Straßen im Norden von Teheran flirten sie von Auto zu Auto. Oder sie fahren raus aus der Stadt, hören Musik und feiern. Wenn sich ein Polizeiauto nähert, werden schnell Licht und Musik ausgemacht. Und Teheran ist im Vergleich zu Isfahan oder Shiraz sogar noch konservativ.

Von diesen Zuständen ist man in Saudi-Arabien aber noch weit entfernt, oder?

Die Jugend nimmt sich auch dort ihre privaten Freiräume. Beim Besuch von Fußballspielen geht Saudi-Arabien sogar gerade in Führung. In Saudi-Arabien sind jedoch die meisten Frauen in der Öffentlichkeit nach wie vor bis auf die Augen verschleiert – im Iran hängt das Kopftuch manchmal gerade noch über dem Hinterkopf. Die Iranerinnen sind oft geschminkt und schick frisiert. Im Iran gibt es außerdem viele Kirchen, in denen die Glocken läuten. In Teheran gibt es 20 aktive Synagogen. Bei den Wahlen treten auch moderate Kräfte an. Der Iran ist insgesamt schon liberaler. Aber eben auch nicht liberal.

Die Proteste im Iran Ende letzten und Anfang dieses Jahres wurden vor allem durch die wirtschaftliche Misere ausgelöst: Es herrscht zum Teil große Armut, die Arbeitslosigkeit steigt. Inzwischen sieht man immer wieder Bilder von Frauen in sozialen Netzwerken, die ihr Kopftuch aus Protest gegen die Kleidervorschriften in der Öffentlichkeit abnehmen. Geht es jetzt doch zunehmend um Freiheitsrechte?

Im Gegensatz zur grünen Revolution im Jahr 2009 – die bedeutsamer war – kam der Protest dieses Mal aus verschiedenen Bereichen. Den Demonstrationen haben sich sowohl konservative Hardliner als auch junge Menschen angeschlossen, die frustriert sind, weil sie keinen Job finden und keine Perspektive sehen. Das Kopftuch ist nur ein Thema von vielen.

Die jungen Iraner wollen vor allem endlich einen Job! Gerade die jungen Frauen. Inzwischen sind 60 Prozent der Studierenden im Iran weiblich. Was hätte eine junge Frau davon, wenn man ihr sagen würde: „Du kriegst zwar keinen Job, aber dafür darfst du dein Kopftuch abnehmen.“? Natürlich wäre beides ideal. Zumindest aus unserer Sicht.

Warum kommt das Land wirtschaftlich nicht voran?

Das schwierige iranische Experiment der Öffnung zur Welt und zum Westen droht zu scheitern. Der Nuklear-Deal war im Iran heftig umstritten. Irans Reformer haben den Hardlinern gegenüber argumentiert, er werde zu einer Aufhebung der Sanktionen führen. Das werde die Lebensbedingungen erheblich verbessern. Besonders junge Menschen setzten riesige Hoffnungen in die Öffnung des Westens. Diese Hoffnung ist enttäuscht worden. Offiziell wurden die Sanktionen zwar aufgehoben. In der Praxis aber bestehen sie weiter, weil die US-Republikaner und vor allem Donald Trump ausdrücklich davor gewarnt haben, mit dem Iran Geschäfte zu machen. Viele große Banken und Firmen wagen das auch heute noch nicht. Im Iran glauben viele, dass sie von den USA getäuscht wurden. Auf Dauer würde das den iranischen Reformern den Boden unter den Füßen wegziehen. Ich kann nur hoffen, dass die europäischen Politiker weiter zum Nuklear-Deal und zu ihrem Wort stehen.

Wenn wir nochmal auf beide Länder blicken: Was halten Sie für die größten Gefahren?

Im Fall von Saudi-Arabien: Dass sich die Befürchtungen um die innen- und außenpolitische Stabilität des Landes als berechtigt erweisen. Dass Turbulenzen folgen. Im Iran wäre es das Schlimmste, wenn das Land durch einen Bruch der Nuklear-Vereinbarung in eine innenpolitische Depression gestürzt würde und die Reformkräfte unterliegen. Und für beide Länder wäre jede militärische Auseinandersetzung mit dem anderen Land fatal. Ich bin überzeugt, dass Iran und Saudi-Arabien ihren Konflikt überwinden und ein Arrangement finden könnten, mit dem beide Länder leben können. So wie einst Deutschland und Frankreich. Ein Anfang könnte sein, dass der Iran Saudi-Arabien offiziell und nicht nur in Zeitungsinterviews einen Nichtangriffspakt vorschlägt.

Für wie realistisch halten Sie es, dass diese Ideallösung wirklich eintritt? Oder Teile davon?

Der Iran macht ja schon jetzt tastende Vorschläge, er müsste wohl noch stärker in die Offensive gehen. Ein fairer iranischer Friedensvorschlag für den Jemen könnte Türöffner sein. Deutschland und Europa sollten derartige Initiativen unterstützen – statt über zusätzliche Sanktionen nachzudenken, nur weil die USA das gerne hätten. Europa ist ein Machtfaktor dieser Welt. Und sollte das gelegentlich unter Beweis stellen.

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