Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

„Die Sprache des Genozids“Medwedew spricht von „Präventivschlag“ und „Parasiten“ – und offenbart so Putins Ziel

6 min
Dmitri Medwedew, stellvertretender Vorsitzender des russischen Sicherheitsrates und Vorsitzender der Partei „Einiges Russland“, bei der Militärparade zum Tag des Sieges. (Archivbild)

Dmitri Medwedew, stellvertretender Vorsitzender des russischen Sicherheitsrates und Vorsitzender der Partei „Einiges Russland“, bei der Militärparade zum Tag des Sieges. (Archivbild)

Der Ex-Kremlchef liefert immer wieder schrille Töne. Auch wenn seine Botschaften skurril klingen, muss man sie ernst nehmen, sagen Experten. 

Dmitri Medwedew redet viel – und nimmt dabei auch Widersprüche in Kauf. In einem großen Interview mit der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass wurde das nun erneut offensichtlich, ebenso wie der eindeutig imperialistisch-faschistische Blick Moskaus auf die Ukraine. Mehr als 15 einzelne Meldungen versendete die Nachrichtenagentur angesichts des Gesprächs – und Medwedew ließ nur wenig Interpretationsspielraum bei seinen Worten.

Der ehemalige russische Präsident sprach etwa davon, dass dem Westen „nicht nur Verrat im Blut liegt, sondern auch eine kranke, völlig überholte Vorstellung der eigenen Überlegenheit“. Russland müsse sich deshalb „entsprechend verhalten“ und „wenn nötig Präventivschläge durchführen“, betonte der nunmehrige Vizechef des russischen Sicherheitsrats und Chef der Regierungspartei „Einiges Russland“.

Dmitri Medwedew: Radikale Tiraden als Markenzeichen

Während Medwedew erst unverhohlen mit Angriffen auf den Westen drohte, betonte der langjährige Gefährte Putins nur wenig später, die westlichen Warnungen vor einem möglichen Angriff Russlands auf Nato-Staaten oder Europa seien „völliger Unsinn“. Dass in der westlichen Öffentlichkeit vor einem russischen Angriff gewarnt werde, sei lediglich „eine weitere Flanke des offenen Krieges des Westens gegen uns“, befand der Hardliner, der einst als hoffnungsvoller Reformer gegolten hatte. 

Seit Kriegsbeginn ist Medwedew immer wieder mit drastischen Botschaften in die Öffentlichkeit gegangen – längst wird er für seinen oftmals vulgären und cholerischen Tonfall in den sozialen Netzwerken regelmäßig als Trinker oder Wirrkopf verhöhnt.

„Medwedew zeigt hemmungslos seinen Faschismus“

Medwedew scheint das durchaus zu ärgern: Auf der Plattform X blockiert der ehemalige Kremlchef regelmäßig Nutzer, deren Kommentare ihm nicht gefallen. Gleichzeitig scheint der nunmehrige Sicherheitsratschef weiterhin einen verbalen Freibrief von Kremlchef Wladimir Putin zu haben – immer wieder verschickt Medwedew radikale, faschistische Botschaften.

Neu ist das nicht: „Medwedew zeigt hemmungslos seinen Faschismus“, schrieb der britische Historiker Ian Garner bereits im Sommer 2023 über einen von Medwedews Wutausbrüchen – und kritisierte, dass die sozialen Netzwerke die „rassistischen, kriegshetzerischen Tiraden“ des Ex-Kremlchefs nicht unterbinden.

Ex-Kremlchef vergleicht Ukraine mit dem Dritten Reich

Auch im jüngsten Interview und angesichts des zumindest leichten Kurswechsels von US-Präsident Donald Trump, der Moskau ein 50-tägiges Ultimatum gestellt hat, drosselte Medwedew seinen Ton nicht. Im Gegenteil: Von den oftmals von Russland als Kriegsgrund angeführten „Sicherheitsinteressen“ war beim Ex-Kremlchef erneut nicht die Rede, dafür aber erneut von einem angeblichen „Nazi-Regime“ in der Ukraine.

„Entmilitarisierung, Entnazifizierung und Demokratisierung“ seien nach dem Zweiten Weltkrieg als Kriterien für „Nazi-Deutschland als Aggressor“ formuliert worden, wagte sich Medwedew in einen historischen Exkurs und behauptete schließlich, es gebe „offensichtliche Ähnlichkeiten“ zwischen der „modernen Ukraine“ und dem Dritten Reich. Damit nicht genug: Das Nachbarland verwandele sich in eine „Diktatur“, behauptete Medwedew, erneut ohne überzeugenden Belege für seine These.

Dmitri Medwedew will die „Entparasitierung“ der Ukraine

Dass Putin unterdessen mittlerweile mehr als 25 Jahre in Russland die Macht auf sich vereint und die politische Opposition vernichtet hat, erwähnte Medwedew freilich nicht. Vielmehr lieferte der langjährige Weggefährte Putins deutlichen Belege für seine faschistische Weltsicht und forderte schließlich eine „Entparasitierung“ und „Schädlingsbekämpfung“ in der Ukraine. „Andernfalls hat eine solche parasitäre Ukraine keine Überlebenschance“, fügte Medwedew an.

Auf diesem von der staatlichen Nachrichtenagentur Sputnik via AP veröffentlichten Foto ist Dmitri Medwedew (l.) bei einem Besuch des Raketentestgeländes Kapustin Jar zu sehen. (Archivbild)

Auf diesem von der staatlichen Nachrichtenagentur Sputnik via AP veröffentlichten Foto ist Dmitri Medwedew (l.) bei einem Besuch des Raketentestgeländes Kapustin Jar zu sehen. (Archivbild)

Die Entmenschlichung des Gegners, ein zentrales Merkmal des Faschismus, ist nicht neu. In der Vergangenheit sprach Medwedew bereits davon, „den Dämon des Ukrainisch-Seins austreiben“ zu wollen und betitelte den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj mit unter als „freches Schwein“ oder als „Abscheulichkeit“.

„Was russische Eliten von sich geben, muss man ernst nehmen“

Im Mai hieß es derweil, die Ukraine habe nun eine letzte Chance, „ihre Staatlichkeit zu retten“ – dafür müsse Kyjiw jedoch alle russischen Bedingungen akzeptieren, so die klare Botschaft des Moskauer Scharfmachers, dessen schrille Worte oftmals als unbedeutend abgetan werden.

„Nach bald drei Jahren Angriffskrieg ist nur eine Sache klar – die Ukraine kämpft um ihr Überleben, nicht nur als Staat, sondern auch als Nation und Kultur“, warnte unterdessen bereits im letzten Dezember der Historiker Matthäus Wehowski bei X. „Was russische Eliten tagtäglich von sich geben, muss man ernst nehmen“, erklärte der Russland-Experte weiter. „Es ist die Sprache des Genozids“, fügte Wehowski an. „Nur weil wir dachten, es wäre im 21. Jahrhundert nicht möglich, heißt es nicht, dass es nicht passieren kann.“

Die Worte des „Propaganda-Bluthunds“ lassen Rückschlüsse zu

Medwedews Worte dienen jedoch nicht nur als Beleg für die radikale Weltsicht Moskaus, die zuletzt auch in den Worten von Kremlchef Putin offensichtlich geworden ist, sondern scheinen auch einer Strategie zu folgen. Die schrillsten und bedrohlichsten Töne kommen von Medwedew stets dann, wenn es den Anschein macht, dass der Westen seine Gangart gegenüber Moskau deutlich verschärfen könnte – wie auch in dieser Woche.

Der Ex-Präsident diene Putin als „Propaganda-Bluthund“, hatte der Kölner Politologe Thomas Jäger bereits vor zwei Jahren im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ erklärt. Die Drohungen sollen im Westen demnach zu Verunsicherung ob der eigenen Maßnahmen führen. Medwedew wolle damit „eine Form von Selbstabschreckung“ bewirken, erklärte der Professor für Internationale Politik der Universität Köln.

Donald Trumps Ultimatum für Wladimir Putin: „Russland ist’s egal“

Gleichwohl lassen die Ausbrüche des Ex-Präsidenten durchaus Rückschlüsse auf die Stimmung in Moskau zu. In dieser Woche wurde das erneut sichtbar, als zunächst Medwedew auf Trumps jüngsten Schachzug – Waffenlieferungen an die Ukraine und die neue Frist für Moskau – reagierte.

„Russland ist’s egal“, verkündete Medwedew eilig, der bereits zuvor angesichts des sich anbahnenden Kurswechsels in Washington erklärt hatte, dieser habe für Moskau keine Bedeutung. Russland werde damit fortfahren, die „Ziele der militärischen Spezialoperation“ zu erreichen und „unser Land“ zurückerobern, hieß es von Medwedew.

Erst poltert Medwedew, dann erinnert der Kreml an die Atomdoktrin

Wenig später folgte die Bestätigung dieser Position direkt aus dem Kreml. Russland werde weiterhin Putins Plan folgen, erklärte Außenminister Sergej Lawrow, während Kremlsprecher Dmitri Peskow dann an die von Putin im letzten Jahr angepasste Atomdoktrin Russlands erinnerte. Die erlaubt nach der Änderung durch den Präsidenten den Einsatz von Atomwaffen auch dann, wenn Russland von einem Staat angegriffen wird, der von einer Atom-Nation unterstützt wird – so wie die Ukraine von den USA.

Dass Medwedew mit provokanten Aussagen an die Öffentlichkeit tritt, lässt sich daher auch als Indikator dafür deuten, dass der Kreml an seinem radikalen Kurs und den Maximalzielen in der Ukraine festhält. Dass Moskau gleichzeitig immer wieder seine angebliche „Verhandlungsbereitschaft“ betont und kürzlich eine Delegation zu Gesprächen mit ukrainischen Vertretern nach Istanbul geschickt hat, ändert daran nichts.

Dmitri Medwedew: Verhandlungen für „unseren Sieg“

Auch dazu hat sich Moskaus Lautsprecher kürzlich schließlich bereits eindeutig geäußert: „Bei den Istanbuler Gesprächen geht es nicht darum, einen Kompromissfrieden zu den wahnhaften Bedingungen eines anderen zu schließen, sondern darum, unseren schnellen Sieg und die vollständige Zerstörung des Neonazi-Regimes sicherzustellen“, erklärte der Sicherheitsratsvize Anfang Juni und gab damit einem altbekannten Zitat recht, dessen Herkunft nicht komplett geklärt ist, aber meist dem italienischen Schriftsteller Ignazio Silone zugeschrieben wird.

Es lautet: „Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: ‚Ich bin der Faschismus‘ Nein, er wird sagen: ‚Ich bin der Antifaschismus‘.“