Unerfüllte ProphezeiungSo reagiert die Verschwörungsbewegung QAnon auf Trumps Abgang

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QAnon

QAnon-Anhänger beim Sturm auf das Washingtoner Kapitol am 6. Januar.

Köln – Es war der Tag, auf den sie alle gewartet hatten. Heute würde es passieren. Heute würden die USA und die Welt erschüttert werden. Heute, am 20. Januar, dem Tag der Amtseinführung des Präsidenten, würde Donald Trump den Deep State zu Fall bringen. so wie „Q", der Prophet, es vorhergesagt hatte. Und endlich würden alle sehen, dass sie die ganze Zeit Recht hatten. Sie, über die sich die Unwissenden so lange lustig gemacht hatten: QAnon. Doch der 20. Januar kam – und ging, ohne, dass etwas passierte. Der große Knall blieb aus. Kein triumphierender Donald Trump, keine deklassifizierten Geheimakten, die die bösen Machenschaften von Regierungsmitarbeitern offenlegten, kein US-Militär, das Joe Biden verhaftete. Keine Straßenschlachten, keine Soldaten, die Kinder aus dem Untergrund befreiten. Biden wurde als 46. Präsident der USA vereidigt, die Prophezeiungen erfüllten sich nicht. QAnon, die Verschwörungsbewegung, die von Experten als größte und gefährlichste der Welt eingestuft wird, steht am Scheideweg. Hunderttausenden Mitglieder weltweit stecken in einer Glaubenskrise.

„Trust the Plan“: Vertraut dem Plan. Unter diesem Motto hatten die Anhänger von „Q“ vier Jahre lang darauf hingefiebert, dass ihr Traum der Aushebelung des „Deep States“, des tiefen Staates in Erfüllung geht. Donald Trump sollte ihr Heilsbringer sein. Er würde die korrupten Machenschaften von Regierung und Medien ans Tageslicht und sie schließlich alle zu Fall bringen, so der feste Glaube, dem allein in Deutschland Zehntausende Menschen anhängen.

QAnon: Zwischen Vertrauen in Donald Trump und Enttäuschung

Nach den Ereignisse vom Mittwoch, oder vielmehr ihrem Ausbleiben, zieht sich nun einen Riss durch die QAnon-Community, wie die Nachrichten in einschlägigen deutschen Telegram-Gruppen zeigen. Dort reagierten viele Nutzer nach Bidens Amtseinführung mit Enttäuschung. „Leider habe ich heute meine Hoffnung endgültig verloren“, schreibt eine Nutzerin. „Alle sagten heute wird was passieren (...). Nichts ist passiert nur der Teufel sitzt jetzt am Hebel.“ Ein anderer schreibt: „Irgendwie fehlen mir die Worte! Ich hatte echt ne Zeit lang auch daran geglaubt... Sehr ernüchternd das heute!“ Zahlreiche Nutzer kündigten an, die Bewegung zu verlassen, weil sie sich betrogen fühlen.

Einige Anhänger fühlen sich durch ihre Enttäuschung darin angespornt, selbst zur Tat zu schreiten. Die Lehre aus den nicht erfüllten Prophezeiungen sei, dass wir „nicht blind darauf hoffen dürfen, dass ein einziger Mann uns rettet“. Nun müsse endlich jeder selbst aufstehen und das System zum Einsturz bringen.

Q-Anhänger knüpfen ihre Hoffnung an bedeutungslose Details

Andere hingegen wollen die Realität nicht wahrhaben. Sie zweifelten während der Amtseinführung daran, dass die im TV übertragenen Bilder echt seien. Viele hofften darauf, dass die Medien ein „Theater“ aufführten, während tatsächlich gerade reihenweise Regierungsmitglieder verhaftet werden. Oder sie hangelten sich an eigentlich nichtssagenden Details entlang: Biden sei vor 12 Uhr vereidigt worden, somit sei der Eid nicht gültig (Anm. d. Red.: Ja, er wurde vor 12 Uhr vereidigt, das hat jedoch keinen Einfluss auf sein Amt). Biden habe keine Salutschüsse erhalten, somit sei Trump weiter Präsident (Anm. d. Red.: Das stimmt nicht. Es gab Salutschüsse für Biden. Und selbst wenn nicht: Sie sind nur zeremoniell).

Der größte Teil der QAnon-Anhänger hält weiter am Glauben fest. Einige von ihnen lösen sich dabei schlicht von sämtlichen angeblich prophezeiten Details. So schreibt ein Nutzer: „Anons, bleibt in Eurer Mitte, im Vertrauen. Mr. Trump hat sich nicht 4 Jahre beschimpfen, kritisieren und bedrohen lassen. (...) Ich bin überzeugt das es noch lange nicht entschieden ist.“ In diese Kerbe schlägt auch der spirituelle Zweig der Bewegung: Das Ganze sei eine Glaubensfrage. Wahlweise bräuchte entweder Trump die Unterstützung und den Glauben seiner Anhänger oder es sei ein Test der Überzeugung vor Gott. So oder so, für sie gilt: „Wer jetzt geht, braucht nicht wiederkommen.“

QAnon ist keine Theorie, sondern ein Weltbild

Dass der Tag, in den sie alle Hoffnung und Erwartung gesteckt hatten, als Enttäuschung endet, bringt das Weltbild vieler Q-Anhänger ins wanken. Für sie sind die Ansichten der Bewegung kein Hirngespinst, sondern ein Glaube, der ihr Weltbild prägt. Am Mittwochabend schreibt eine Q-Gläubige bei Telegram, dass sie Angst davor habe, was passiere, wenn die Vorhersagen nicht einträten. Sie habe schließlich monatelang versucht, die Menschen in ihrem Dorf zu überzeugen.

Unsicherheit streuen auch die großen Influencer der Szene. Ron Watkins, eine der wichtigsten Stimmen der Bewegung, verkündete am Mittwoch, es sei Zeit, so gut es geht ins normale Leben zurückzukehren und die neue US-Regierung zu akzeptieren. Ein Schock für viele Q-Anhänger.

Ein Ende der Bewegung ist dennoch nicht in Sicht. Wie es nun weiter gehe, sei schwer vorherzusagen, erklärt der kanadische Verschwörungs- und Extremismusexperte Marc-André Argentino auf Twitter. Desillusionierte Q-Anhänger seien nun leichte Beute für andere extremistrische Gruppen.  Argentino betont: „Die Kernelemente, die diese Menschen dazu bewegen an QAnon zu glauben, bleiben bestehen. Und Sie werden andere Ventile für ihre konspiratorische Denkweise und anti-demokratischen Ideale finden müssen.“

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