Zweifel im Fall Oury JallohLegte ein unbekannter Dritter das Feuer in der Zelle?

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Ein Umdenken im Fall Oury Jalloh bewirkte offenbar ein aufwendiger Brandversuch im Jahr 2016, dessen Ergebnisse lange unter Verschluss geblieben waren. 

Ein Umdenken im Fall Oury Jalloh bewirkte offenbar ein aufwendiger Brandversuch im Jahr 2016, dessen Ergebnisse lange unter Verschluss geblieben waren. 

Halle/Saale – Im Todesfall Oury Jalloh gibt es neue Zweifel daran, dass  der Asylbewerber 2005 selbst  das tödliche Feuer in seiner Dessauer Polizeizelle gelegt hat. Stattdessen halten  mehrere Sachverständige einen Tod aus Fremdverschulden für wahrscheinlicher. Das geht laut  ARD-Magazin „Monitor“ aus  Ermittlungsakten  hervor. Demnach hätte nicht der Mann aus Sierra Leone, sondern ein unbekannter Dritter Feuer in der Zelle gelegt - möglicherweise ein Polizist. Zudem hat  der Dessauer Oberstaatsanwalt Folker Bittmann offenbar vor einigen Monaten konkrete Verdächtige in den Reihen der Polizei benannt. 

Die Staatsanwaltschaft Halle, seit Sommer für die Ermittlungen im Fall  zuständig,   hatte  die Akten allerdings  anders bewertet und  die Mordermittlungen im Oktober eingestellt. Oberstaatsanwältin Heike Geyer verteidigt dies gegenüber dieser Zeitung: Die nun öffentlich gewordenen  Einschätzungen seien nicht neu, sondern intern aktenkundig gewesen.  Nach Bewertung aller Akten sei „die Staatsanwaltschaft Halle zu einem anderen Ergebnis gekommen“ als die Ermittler in  Dessau, so Geyer. „Wir sehen keinen Anfangsverdacht.“ Die Staatsanwaltschaft Halle gewichtet diese Gutachten also nur anders.

Knackpunkt ist Gutachten der Rechtsmedizin

Damit wollen sich die Anwälte der Familie Jalloh nicht abfinden. Geyer bestätigte dieser Zeitung, die  Anwälte hätten Beschwerde gegen die Einstellung der Ermittlungen  eingelegt, „so dass nunmehr die Generalstaatsanwaltschaft zu prüfen hat, welche Einschätzung zutreffend ist“. Entscheidend für die halleschen  Ermittler ist das Gutachten der Rechtsmedizin. Es  ging von Anfang an  davon aus, dass Jalloh bei Brandausbruch  in der Zelle  gelebt hat. Darauf stützte sich auch die  Einstellung des Verfahrens. Die neuen Gutachten nach Brandversuchen kommen im Widerspruch dazu zum Schluss, dass Jalloh bei Ausbruch des Feuers nicht  mehr gelebt hat oder zumindest nicht handlungsfähig war.

Auch der Dessauer Oberstaatsanwalt Bittmann hatte lange die   These vertreten, Jalloh habe sich  selbst entzündet. Ein Umdenken bewirkte aber offenbar ein Brandversuch  in Sachsen 2016, dessen Ergebnisse Monate unter Verschluss geblieben waren. Laut „Monitor“ hat Bittmann im  April 2017 schriftlich fixiert, er gehe davon aus, dass  Jalloh den Brand nicht selbst legte - und wahrscheinlich Brandbeschleuniger eingesetzt wurde.

Fall Oury Jalloh sorgt bundesweit für heftige Kontroversen

Der Fall Jalloh sorgt seit zwölf Jahren für Kontroversen. Der  36-Jährige war an Armen und Beinen gefesselt gewesen, als er in Dessau auf einer Matratze verbrannte.  Auch zwei Gerichtsprozesse konnten nicht klären, wie das Feuer ausgebrochen war.

Woher kam das Feuerzeug?

Begründete Zweifel gab und gibt es an der Arbeit der Ermittler. Für Oury Jallohs Familie sind eine Reihe Fragen offen. Die wichtigste: Woher Jalloh das Feuerzeug gehabt haben soll, um den Brand zu legen. Er war durchsucht worden. Ein von der Polizei angeblich am Tatort sichergestelltes Feuerzeug könne wegen anhaftender Textilrückstände nicht in der Zelle gewesen sein. Die Untersuchung des Tatorts wurde per Video dokumentiert – die Aufnahme bricht allerdings vor der Untersuchung des Leichnams und dem angeblichen Fund des Feuerzeugs ab. Der zuständige Beamte hat dies damit erklärt, dass es einen Stromausfall gegeben habe und außerdem der Akku der Kamera leer gewesen sei.

Angesichts der  neuen Erkenntnisse  sprach Henriette Quade, Innenexpertin der Linken im Landtag, von einer „Zäsur“. Erstmals sei von Seiten der Justiz der Mord-Verdacht bestätigt worden. Sie kritisierte, es sei nicht nachzuvollziehen, dass zwei Staatsanwaltschaften bei gleicher Aktenlage zu so unterschiedlichen  Bewertungen kämen. Sie kritisiert  zudem: Erst  vergangenen Freitag wurden Oberstaatsanwältin Geyer  und Generalstaatsanwalt Jürgen Konrad im Rechtsausschuss des Landtags zum Fall Jalloh befragt. Quade bezichtigte die Ermittler nun, die Abgeordneten  nicht korrekt informiert zu haben. „Dass die Gutachter mehrheitlich zu der Auffassung gekommen sind, dass der Tod Oury Jallohs durch Fremdeinwirkung wahrscheinlicher ist als die Selbstentzündung, ergab sich aus den Darstellungen nicht.“ Das sehen nicht alle Abgeordneten so. Sebastian Striegel (Grüne) sagte, es sei klar geworden, dass die Ermittler beide  Varianten für möglich hielten. Die Linke fordert eine unabhängige  Untersuchungskommission.

Indes ist klar: Dass  Dessauer Polizisten  konkret in  Verdacht  gerieten, war Ursache  dafür, dass die Ermittlungen von der Staatsanwaltschaft Dessau abgezogen wurden. Das bestätigte die Generalstaatsanwaltschaft. Unklar ist, ob den Polizisten Konsequenzen drohen. Das Innenministerium kenne den Fall  nur aus  der Befragung im Rechtsausschuss, sagte ein Sprecher der MZ. „Ein Schriftstück“ liege dem Ministerium „weder im Original noch in Kopie vor“. Weitere Ermittlungen  seien Aufgabe der  Staatsanwaltschaft.

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