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Vereinnahmung des OpfersIn Chemnitz wird Daniel H. zur politischen Figur

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Gedenken an Daniel H.

Ein Gedenkort für den getöteten Daniel H. in der Innenstadt von Chemnitz.

Chemnitz – Alles, was in Chemnitz seit dem Sonntag passierte, hatte seinen Ursprung im Tod des 35-Jährigen Daniel H. in der Nacht zum Sonntag, nach dem ersten Abend des Stadtfestes.

Was genau vorfiel, bevor er nach einer Messerattacke starb, wird noch ermittelt; Tatverdächtig sind ein Syrer und ein Iraker.

Der Hooligan-Szene reichten erste Gerüchte aus, um einen Mob in die Innenstadt zu organisieren, der sich verbal und tätlich gegen Migranten und Andersdenkende richtet. „Die politische Instrumentalisierung durch Rechtsextremisten ist abscheulich“, sagt Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) am Mittwoch.

Facebook-Nachruf wird zum Bumerang 

Dass die Öffentlichkeit so schnell erfuhr, wer das Opfer war, lag an einer gut gemeinten Geste seines Ausbildungsbetriebs: Auf Facebook zeigt sich der Verein zur beruflichen Förderung und Ausbildung bestürzt, dass der „Getötete vom Chemnitzer Stadtfest unser ehemaliger Tischlerlehrling Daniel H. ist“, schreibt der VBFA und nennt dabei den vollen Namen.

„Sein Gesellenstück wurde von der Handwerkskammer ausgezeichnet“, sagt eine Vereinssprecherin der Bild-Zeitung. „Er war ein hilfsbereiter junger Mann.“

Daniel H. als deutscher Mythos

In den rechten Netzwerken wird Daniel H. zum fleißigen Deutschen, der von Ausländern abgestochen wurde – verschiedene Mythen zum Tathergang stilisieren ihn zum „Helden“, der sich gegen brutale „Invasoren“ gestellt habe. 

Echte Informationen über den Tischler werden nach und nach bekannt, als Reporter mit Freunden sprechen – und weil Angehörige seine Facebook-Seite in den Gedenkzustand versetzen und öffentlich machen.

So erfährt man, dass er in Chemnitz aufwuchs – auf Facebook nennt er die Stadt bei ihrem DDR-Namen Karl-Marx-Stadt –, dass er Frau und einen laut Medienberichten siebenjährigen Sohn hinterlässt; dass er selbst eine deutsche Mutter und einen kubanischen Vater hatte.

Daniel H. als Antifaschist

Nun schreiben AfD-Gegner im Netz, weil er eine dunklere Hautfarbe hatte, sei er sicher selbst Opfer von Rassismus geworden und würde sich gegen die rechte Vereinnahmung vom Sonntag wehren.

Zudem hat H. bei Facebook angegeben, dass er verschiedene linke Punkbands wie Slime, Rancid oder Zusamm-Rottung mag, er zeigte sich als Fan von Gregor Gysi, Sahra Wagenknecht, der Linkspartei und der Initiative „Laut gegen Nazis“. 

Das Logo „Fuck Nazis“ ist auf der Seite zu finden, ebenso Sprüche wie „Die Nationalität ist völlig egal! Arschloch bleibt Arschloch!“ oder „Terrorismus hat keine Religion“. Inzwischen wird er bei Twitter als „antifaschistischer Arbeiter“ von Links vereinnahmt.

Ein Trauerfall als Politikum

Doch der letzte zugängliche Eintrag auf der Facebook-Seite ist zweieinhalb Jahre alt. Bis zum Mittwochnachmittag haben sich die Angehörigen nicht geäußert, über seinen letzten Freundeskreis ist nichts bekannt.

Außer, dass viele daraus nicht wissen, wohin mit ihrer Trauer, weil Daniel H.s nur noch als Politikum behandelt wird. „Es wäre ihm nicht recht gewesen“, zitiert die Chemnitzer Freie Presse einen Freund, „wenn jetzt Rechte oder Linke hier etwas draus machen.“ 

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