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Verfassungsschutz-Chef im InterviewWie Verschwörungsmythen zu Terror führen können

Lesezeit 4 Minuten
Burkhard Freier

Burkhard Freier, Chef des NRW-Verfassungsschutzes

  • Rechtsextreme-Milieus nutzen die Corona-Pandemie für ihre Zwecke.
  • Das Internet wirkt laut Experten wie eine Radikalisierungsmaschine.
  • Burkhard Freier, Chef des NRW-Verfassungsschutzes, über die wachsende Gefahr von rechten Anschlägen im Land

Herr Freier, nach einer Reihe rechtsextremer Anschläge warnen Sicherheitsbehörden derzeit vor einer neuen Terrorwelle. Wie lautet ihre Prognose? Burkhard Feier: Wir stellen im Bereich des Rechtsextremismus mehrere besorgniserregende Trends fest. Die Neo-Nazi-Milieus radikalisieren sich immer stärker. Das sind Gruppen wie die Splitterpartei Die Rechte, der III. Weg, aber auch Kameradschaften. Überdies setzen die Gruppierungen im Netz mit Verschwörungsmythen vom vermeintlichen Austausch der weißen Bevölkerung bis zum Systemkampf gegen die angebliche Corona-Diktatur einen gefährlichen Nährboden. Ultrarechte Influencer radikalisieren teils auch psychisch auffällige Menschen. Am Ende stricken sich Attentäter wie jener in Halle oder in Hanau ihre ganz eigene rassistische Doktrin und greifen zur Waffe.

In welcher Weise nutzen derzeit die rechtsextremen Milieus die Corona-Verschwörungskampagnen für ihre Zwecke?

Etliche Gruppierungen haben ihre Ideologie und die Corona-Verschwörungsmythen passend gemacht – antisemitische Tiraden eingeschlossen.

Droht Terrorgefahr durch rechte Corona-Leugner?

Es besteht sicherlich – neben Vertrauensverlusten in das Regierungshandeln und einem möglichen Zulauf zu rechtsextremistischen Gruppen – auch eine Terrorgefahr, weil solche Verschwörungsmythen ein Tat-Auslöser sein könnten. Dieser Funke, der im Netz durch rechtsextreme Zirkel geschürt wird, kann auch überspringen. Das kann in der Szene der Reichsbürger sein. Auch dort herrscht ein schräges Weltbild vor, sie sind aber zugleich oft höchst gewaltbereit und nutzen Möglichkeiten, mit allen Mitteln gegen den Staat vorzugehen. Viele von ihnen sind erklärte Corona-Leugner, die dann bei entsprechender Indoktrination glauben könnten, jetzt handeln zu müssen.

Zur Person

Burkhard Freier, geboren am 15. März 1956 in Rinkerode im Kreis Warendorf. Der Jurist ist SPD-Mitglied und seit August 2012 Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz in NRW.

Wie wichtig ist das Internet als Radikalisierungsmaschine?

Sehr wichtig. Für die Verfassungsschützer liegt in den kommenden Jahren der Focus darauf, im World Wide Web rechtzeitig rechtsextreme Anschlagsplaner auszumachen. Deshalb werden wir das Netz mit neuen Methoden nach solchen Personen ausforschen.

Kann man in jeden Winkel des Internets schauen?

Nein, gewiss nicht, aber der Verfassungsschutz wird versuchen, anhand neuer Technik die Massendaten anders zu analysieren als früher üblich.

Wie eng sind die Verbindungen zwischen russischen Nationalisten und der hiesigen Neo-Nazi-Szene?

Wir beobachten, dass auch russische Extremisten nach NRW kommen. So etwa bei dem »Kongress« unter dem Motto »Gemeinsam für Europa«, den die Splitterpartei »Die Rechte« 2017 in Dortmund durchführte. Ein »Macher« der rechtsextremistischen Kampfsportmarke »White Rex« hat die russische Staatsbürgerschaft. Insgesamt sehen wir eine Internationalisierung des Rechtsextremismus. Das Neo-Nazi-Spektrum verfügt über enge Kontakte ins Ausland, beispielsweise durch Kampfsport oder Schießübungen in Ungarn, der Ukraine oder in Bulgarien.

Die Berliner Staatsschützer haben die Klima-Protestbewegung „Ende Gelände“ (EG) als linksextrem eingestuft, im neuen Verfassungsschutzbericht hält sich ihre Behörde mit solchen Statements allerdings zurück. Haben Sie eigentlich Angst vor Kritik aus der Politik?

Nein, im NRW-Verfassungsschutzbericht steht drin, dass »Ende Gelände« von extremistischen Kräften wie der Interventionistischen Linken (IL) beeinflusst wird. In Berlin beherrscht die IL quasi die Klimaaktivisten. Denn dort haben die Linksextremisten die Ortsgruppen der Klima-Protestler mitgegründet und sind maßgeblich in die strategische Ausrichtung involviert. An Rhein und Ruhr beeinflusst die IL nur etwa die Hälfte der Ortsgruppen von »Ende Gelände«. Nichtsdestotrotz unterstützt die IL in NRW weiterhin flächendeckend die Aktivitäten von EG und versucht so Einfluss auszuüben. Allerdings finden sich bei Ende Gelände in NRW auch zahlreiche Aktivisten, die nichts mit linksextremistischen Strömungen am Hut haben.

Warum sucht diese Gruppe die Klimapolitik?

Die Interventionistische Linke versucht Kampagnen wie die Proteste gegen den Klimawandel thematisch für sich zu nutzen. Eine Devise lautet, in gesellschaftlichen Kämpfen zu intervenieren. Etwa bei aktuellen und in der Gesellschaft relevanten Themen wie Klima, Rassismus. Die IL versucht Brücken zu bauen zwischen der Zivilgesellschaft und Extremisten, weil sie damit die Proteste radikalisieren können. Dazu gehören etwa »Massenaktionen zivilen Ungehorsams«. Dies bedeutet ein massenhaftes Übertreten von Regeln und Strafgesetzen, keine Distanzierung von Gewalt. Regelverstöße werden vor allem in einschlägigen Plattformen umgedeutet und verharmlost. Am Ende des »zivilen Ungehorsams« steht dann das Ziel, einen revolutionären Bruch mit dem Kapitalismus zu erreichen. Auch Teile von »Ende Gelände« verfolgen eine gewaltbereite Agenda. So etwa, wenn es heißt: Absperrungen von Werkschutz oder Polizei werden wir umfließen. Klingt harmlos, kann aber nur durch körperliche Gewalt geschehen.

Sie zählen 970 Linksextremisten in NRW zum gewaltbereiten Spektrum, wer sind diese Leute, welchen Gruppierungen spielen eine Rolle?

Meist handelt es sich um Vertreter aus der Autonomen Szene, die eher keiner Organisation angehören. Bei Demonstrationen treten sie in kleinen Gruppen auf. Vermummt, schwarz gekleidet, äußerst aggressiv, in Teilen gewalttätig gegen Ordnungskräfte.

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