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Erdogans langer ArmKölner Kioskbetreiber sieben Monate in der Ukraine festgesetzt

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Der Kölner Kemal Kutan während seines Zwangsaufenthalts in der Ukraine 

Köln/Kiew – Seit dem 23. Juli 2017 saß Kemal Kutan, Kioskbetreiber aus Köln, in der Ukraine fest. Am Donnerstagmorgen durfte er ausreisen, mittags landete er am Düsseldorfer Flughafen. Die Türkei hatte Kutan – ebenso wie den türkischstämmigen Kölner Schriftsteller Dogan Akhanli – über eine so genannte „Red notice“ von Interpol suchen lassen, obwohl dies bei politisch motivierten Verfahren nicht erlaubt ist.

Interpol hat keine eigenen Ermittler. Die Behörde ist lediglich eine internationale Informationsbörse, in die jedes Land ihre Fahndungsgesuche einstellen kann. So rutschen immer wieder Fälle wie jene von Akhanli oder Kemal Kutan durch – Staaten lassen nach Regimegegnern suchen, die längst in anderen Ländern anerkannt sind.

Kutan weiß nicht, wieso er als Staatsfeind betrachtet wird

Als einen der gefährlichsten Staatsfeinde der Türkei sieht Ankara Kemal Kutan erst seit einigen Tagen. Das Land hat das Kopfgeld auf ihn von rund 300 000 Euro auf knapp eine Million Euro erhöht, Kutan steht auf einer Fahndungsliste jetzt neben dem Prediger Fethullah Gülen, den Staatspräsident Erdogan für den Putsch im Sommer 2016 verantwortlich macht. Die Konterfeis führender IS-Kämpfer sind dort zu sehen, Aktivisten der verbotenen kurdischen Untergrundorganisation PKK, regierungskritische Intellektuelle und eben der Kioskbetreiber Kutan. „Warum sie mich jetzt auch noch als besonders gefährlich einstufen, keine Ahnung. Vielleicht wollen sie Druck auf die Ukraine ausüben, vielleicht wollen sie mich töten lassen“, sagt Kutan.

In Köln hat der 52-Jährige vor drei Jahren seine Wohnung gewechselt, weil er sich bespitzelt fühlte. „Sicher habe ich mich auch in der Ukraine nicht gefühlt“, sagt er. „Ich hoffe, dass ich künftig unbehelligt in die Ukraine reisen darf. Ich will mich nicht beugen lassen. Aber natürlich verunsichert es, wenn man sieben Monate in einem Land festgehalten wird.“

Am Montagmittag stand Kutans Frau Tetiana eingerahmt von Chips, Gummibärchen, Wein und Zigaretten in ihrem Kiosk, die Kühlschränke wummerten. Ihr Mann, der in einer ukrainischen Kleinstadt bei Tetianas Eltern untergeschlüpft war, hatte sich über Whatsapp zugeschaltet. Kemal Kutan war am 23. Juli 2017 mit seiner Frau nach Kiew gereist, um Tetianas Familie zu besuchen. Er wusste um die Fahndungsnotiz von Interpol, dachte aber, er könne innerhalb Europas nicht verhaftet werden.

Am Flughafen verhaftet

Die Handschellen klickten gleich am Flughafen. Die Türkei wirft Kutan seit Jahren vor, in zwei Morde verwickelt zu sein. Zudem habe er Kontakte zur verbotenen kommunistischen Partei TKP. Kutan sagt, die Mordvorwürfe seien an den Haaren herbeigezogen, ähnlich wie bei Dogan Akhanli.

Zur TKP habe er seit zwölf Jahren keinen Kontakt mehr. Er sei auch nicht politisch aktiv. Er kritisiere lediglich immer wieder öffentlich das türkische Regime. „Ich bin Erdogan ein Dorn im Auge, weil ich nicht den Mund halte. Dabei bin ich politisch nicht mehr aktiv.“

Drei Tage in Haft

Nach drei Tagen in ukrainischer Haft kam der 52-Jährige frei, die Staatsanwalt sah keinen triftigen Haftgrund. Verlassen durfte Kutan die Ukraine sieben Monate lang nicht. Warum die Staatsanwaltschaft nicht über den Auslieferungsantrag der Türkei entschied, wusste er nicht. Tetiana Kutan betreibt den Kiosk in Buchforst seitdem allein – 15 Stunden pro Tag, sieben Tage pro Woche.

„Ich lebe seit 2013 ohne Hilfen vom Staat, aber es war sehr schwierig für meine Frau, das Geschäft über einen so langen Zeitraum allein zu führen“, sagt Kemal Kutan. Eigentlich sollte Interpol die Information, dass Kutan deutscher Staatsbürger ist und hier politisches Asyl erhalten hat, reichen, um den Fahndungshinweis zu löschen. Die ukrainischen Behörden schwiegen beharrlich, sagt Kutans Anwalt Hanswerner Odendahl.

Die deutsche Botschaft in Kiew sei „mit dem Fall befasst“, habe „engen Kontakt zu den ukrainischen Behörden und den Rechtsanwälten, um Herrn K. die Rückreise nach Deutschland zu ermöglichen“, hatte das Auswärtige Amt (AA) geschrieben. Wie viele Deutsche noch auf einer Interpol-Liste stehen, sagt das AA nicht.

Auch Kurden lässt Ankara suchen

Die Türkei lässt immer wieder Kurden auf die Liste setzen, die als politische Flüchtlinge in Deutschland anerkannt sind, darunter die Autorin Pinar Selek. Seit fünf Monaten sitzt der kurdische Schriftsteller Selim Çürükkaya im irakischen Erbil fest – der PKK-Dissident und Erdogan-Kritiker wird ebenfalls mit einer „red notice“ gesucht.

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Für die deutsche Justiz ist seit mehr als zehn Jahren klar, dass Kemal Kutan kein Mörder ist. Als Kutan nach Deutschland geflohen war, wurde er im Sommer 2007 festgenommen, bevor er Asyl beantragen konnte. Er saß mehrere Monate in Baden Württemberg in Haft, die Staatsanwaltschaft prüfte den Mordverdacht gegen ihn eingehend, das Oberlandesgericht Karlsruhe stimmte einer Auslieferung wegen erheblicher Zweifel am Tatverdacht nicht zu. „Mein Mandant hat damals großes Glück gehabt, dass das Gericht den Fall so eingehend überprüft hat, die Regel ist das nicht“, sagt Anwalt Odendahl. Weil Karlsruhe keinen Grund sah, Kutan an die Türkei auszuliefern, konnte er deutscher Staatsbürger werden.

Mehrfache Haft in der Türkei

In der Türkei war Kutan mehrfach im Gefängnis wegen Mitgliedschaft in illegalen Organisationen und verbotener politischer Arbeit. Zwischendurch arbeitete er als Chefredakteur der sozialistischen Zeitung „Volksdemokratie“. Zwischen November 1984 und Januar 1990 war er mehr als fünf Jahre lang inhaftiert, in dieser Zeit sei er auch gefoltert worden, sagt Kutan.

Er wolle weiterhin die Familie seiner Frau in der Ukraine besuchen können und lasse sich nicht einschüchtern, sagte Kutan nach seiner Rückkehr nach Düsseldorf. Er habe Hoffnung auf eine demokratische Türkei – „allerdings erst nach der nächsten Wahl“. Die Freilassung von Deniz Yücel habe ihn sehr gefreut, „aber bitte vergessen wir nicht, dass es noch viele Geiseln in der Türkei gibt, das Land ist wie ein großes Gefängnis“. Auch er selbst fühle sich als Geisel des Erdogan-Regimes. Eine Geisel, die weitaus weniger öffentliche Solidarität erfahren hat als Deniz Yücel und Dogan Akhanli.  

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