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Völkerrechtler zum Ukraine-KriegPutin könnte in Den Haag landen

Lesezeit 6 Minuten
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Der Schatten eines Mannes fällt auf einen Bildschirm, auf dem Russlands Präsident Putin zu sehen ist.

  • Der Chefankläger beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag hat wegen Putins Ukraine-Kriegs ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
  • Der Kölner Professor für Völkerstrafrecht Claus Kreß ist Sonderberater des Chefanklägers.
  • Im Interview spricht er über die Chancen, den russischen Präsidenten vor Gericht zu stellen, und begründet sein Zutrauen in das Völkerrecht.

Köln – Herr Professor Kreß, Sie kommen als Sonderberater des Anklägers beim Internationalen Strafgerichtshofs gerade aus Den Haag. Was bringen Sie mit?

Claus Kreß: Ankläger Karim Khan hat ein förmliches Ermittlungsverfahren eröffnet, das schon die Zeit ab 2014 einschließt - nach der Besetzung der Krim und mit dem Konflikt in der Ostukraine. Aber auch etwaige künftige Kriegsverbrechen im Rahmen der laufenden russischen Invasion sind im Visier. Das ging jetzt quasi über Nacht, weil in einem bislang einmaligen Vorgehen 39 Staaten – unter ihnen Deutschland – entsprechende Ermittlungen beim Chefankläger beantragt haben. Die Ukraine wiederum, die dem Gründungsvertrag des Internationalen Strafgerichtshofs bislang nicht beigetreten ist, hatte dem Gerichtshof bereits zuvor eine für die Zukunft offene Zuständigkeit eingeräumt.

Sie sagen „künftige“ Kriegsverbrechen. Der Überfall auf die Ukraine ist doch selbst schon ein Bruch des Völkerrechts.

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Sie fragen hier nach dem Verbrechen der Aggression. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine zu Recht mit überwältigender Mehrheit als Aggression verurteilt. Damit stellt sich im Hinblick auf das Führungspersonal der Russischen Föderation unweigerlich die Frage nach einem Verbrechen der Aggression. Doch leider sind dem Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofs im Hinblick genau auf dieses Verbrechen bis auf Weiteres die Hände gebunden. Der Internationale Strafgerichtshof wird seine Zuständigkeit hier nur ausüben können, wenn er vom UN-Sicherheitsrat grünes Licht erhält. Dazu wird es nicht kommen, solange Putin im Amt ist und im Sicherheitsrat das russische Veto einlegen kann. Hier rächt sich die bisherige Weigerung auch westlicher Staaten wie Frankreich und Großbritannien, dem Gerichtshof im Hinblick auf das Verbrechen der Aggression dieselben Befugnisse einzuräumen wie etwa bei den Kriegsverbrechen.

Sarkastisch gesagt: Man hört Putin angesichts dieser Situation schon aus Angst mit den Zähnen klappern…

Zur Person

Claus Kreß, geboren 1966, ist Professor für Straf- und Völkerrecht an der Universität zu Köln. Hier ist er auch Direktor des Instituts für Friedenssicherungsrecht. Kreß ist Ad-hoc-Richter am Internationalen Gerichtshof (IGH) und „Special adviser“ (Sonderberater) des Chefanklägers am Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag. (jf)

In der Tat muss Putin sich für den Augenblick vor keinem internationalen Gerichtshof fürchten. Wer würde bestreiten, dass ihm im Moment einzig mit Waffengewalt mit sofortiger Wirkung Einhalt geboten werden kann? Aber sollten sich internationale Gerichte deshalb nicht mit Putins Gewalteinsatz befassen? Wir wissen nicht, was aus Putin wird. Aber wir wissen sehr wohl, dass Putin nicht identisch ist mit Russland und mit der russischen Gesellschaft. Dort gibt es viele unglaublich tapfere Menschen, die Putins Vorgehen zutiefst ablehnen. Auf die Dauer ist sein Erfolg im eigenen Land alles andere als sicher. Und wenn er stürzt, dann wird sehr vieles denkbar, was uns gerade sehr weit weg erscheint.

Wird Putin jemals vor dem Tribunal in Den Haag stehen?

Noch richten sich die Ermittlungen nicht gegen eine bestimmte Person. Doch das mag sich ändern. Aus Ermittlungen in der „Situation der Ukraine“, die in alle Richtungen offen sind, können sich bei entsprechendem Verdacht Ermittlungen gegen bestimmte Personen ergeben.

In der Zwischenzeit bringt das schönste Völkerrecht gar nichts, wenn einer nur entschlossen genug ist, sich nicht darum zu kümmern. Im Falle Putins weiß man das spätestens seit 2014, als er die Krim annektierte.

Man wird tatsächlich fragen müssen, ob die Staatengemeinschaft Putin zuvor entschieden genug begegnet ist, ob sämtliche Instrumente wirksamer Abschreckung zum Einsatz gekommen sind. Oder ob nicht manche allzu verständnisvolle Stellungnahme ihn vielleicht sogar in seinem Kalkül bestärkt hat, er werde auch den nächsten Schritt ohne entschiedene Gegenwehr tun können. Aber diese sehr ernste Frage richtet sich an die Politik, nicht an das Völkerrecht. Und seit Russland angreift, gilt völkerrechtlich das Recht auf kollektive Selbstverteidigung, das heißt auf militärische Nothilfe zugunsten der Ukraine. Für die Entscheidung der Nato-Staaten, der Ukraine keine direkte militärische Nothilfe zu leisten, gibt es natürlich gute politische Gründe. Doch es sind eben politische Gründe dafür, von einer bestehenden völkerrechtlichen Erlaubnis keinen Gebrauch zu machen.

Aber nochmals: Das Völkerrecht hat den russischen Angriff nicht verhindert. Ist das für jemanden wie Sie nicht der Moment einer Kapitulationserklärung des Rechts vor der Macht und der Gewalt?

Nein, auch das nationale Recht kapituliert nicht bei einer Gewalttat. Aber die Wirkung von Recht wird geschwächt, wenn dem zum Rechtsbruch Geneigten der Eindruck vermittelt wird, zu einer wirksamen Reaktion auf der Grundlage des Rechts fehle es an Entschlossenheit. Das Völkerrecht an sich hätte es schon vor Putins Angriffskrieg erlaubt, eine wirksamere Drohkulisse aufzubauen.

Nämlich?

Das Völkerrecht hätte es erlaubt, die Ukraine in Anbetracht der immer klarer zu Tage liegenden völkerrechtswidrigen russischen Drohung in weit größerem Umfang zur Verteidigung mit Waffen auszustatten, als dies geschehen ist. Nehmen wir Deutschland: Es war eine politische, vielfach auch mit der Geschichte begründete Entscheidung der deutschen Politik, die vom Recht auf Selbstverteidigung der Ukraine gedeckten Möglichkeiten für Waffenlieferungen nicht zu nutzen. Inzwischen wird zu Recht häufiger die Frage gestellt, wie überzeugend eine solche Haltung im Angesicht einer offenen Drohung mit Aggression ist. Und inzwischen liefert Deutschland der Ukraine Waffen. War es da wirklich klug, Putin gegenüber zuvor den Eindruck zu erwecken, man werde es nicht tun?

Wie sehen Sie die Zukunft des Völkerrechts, das von Putin mit Füßen getreten wird?

Bei allem anhaltenden Entsetzen über die laufende russische Aggression macht der Aufschrei des Weltgewissens gegen diese Aggression auch Mut. Und es bleibt nicht bei einem Aufschrei, sondern es formiert sich breiter Widerstand. Der maßgebliche Bezugspunkt für diese weltweite Erhebung gegen den Angriff auf die Ukraine ist das Völkerrecht, so wie es in der „Uniting for Peace“-Resolution der UN-Vollversammlung für alle Welt sichtbar Bekräftigung gefunden hat. Schon in New York war bemerkenswert zu sehen, welche Staaten angesichts der fundamentalen Herausforderung für die Weltordnung einander wieder näherkommen. Nehmen Sie dann auch die Sanktionen gegen Russland: Sie sind ja nicht einfach Machtpolitik, sondern sie haben das verletzte Völkerrecht als Bezugspunkt. Und nehmen Sie nicht zuletzt die mit den laufenden Ereignissen befassten Gerichte, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, den Internationalen Gerichtshof und den Internationalen Strafgerichtshof. Den Menschen in der Ukraine unter Putins Bombenhagel hilft all dies aber nicht unmittelbar, und das schmerzt sehr.

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Sie sehen durch Putins Bomben also nicht auch noch das Gebäude der internationalen Ordnung in Trümmern?

Vielleicht sogar im Gegenteil! Putin wird die Völkerrechtsordnung nicht zerstören. Es gibt deutliche Anzeichen dafür, dass das katastrophale Ausmaß dieses Angriffs Kräfte sammelt und bündelt, die zuvor im Begriff waren, auseinanderzudriften. Ich glaube, die Staatengemeinschaft erkennt gerade, was auf dem Spiel steht und was sie durch Putins Krieg zu verlieren droht, wenn sie nicht entschlossen reagiert.

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