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Wahlsieger Günther in Schleswig-Holstein mit Luxusproblem

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Kiel – Der klare Wahlsieger aus dem hohen Norden steckt im Dilemma: Soll Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) den leichteren, eher bodenständigen Weg gehen - oder entscheidet sich der Politikwissenschaftler für die anstrengendere Variante mit Signalwirkung für Energiewende und Klimaschutz?

Nach dem Günther-Triumph braucht die Union nur noch einen Partner aus der weithin beliebten Jamaika-Koalition mit Grünen und FDP. Eine Richtungsentscheidung wird in Kiel eher nicht vor der NRW-Wahl am kommenden Sonntag erwartet, die aus bundespolitischer Sicht ein wichtiger Stimmungstest ist.

Bislang lässt sich Günther nicht in die Karten schauen. Vor der Wahl hat er für eine Fortsetzung des Jamaika-Bündnisses geworben, nun will der 48-Jährige mit beiden sprechen. „Am Ende wird es Daniel Günther sein, der entscheidet”, sagt der Kieler Politologe Wilhelm Knelangen. Der haushohe Wahlsieg hat die Machtbasis des selbst ernannten „Notnagels” Günther von 2017 in der Partei zementiert. Am Ende wird sie seinem Votum ohne Murren folgen. „Wäre Daniel Günther nicht da, hätte die CDU 27 Prozent bekommen”, sagt ein einflussreiches Parteimitglied. Mit Günther wurden es 43,4 Prozent.

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„Daniel, Daniel”-Sprechchöre nach dem Wahlsieg

Bis 1.30 Uhr feierten Günther und seine CDU den Triumph in einer Lounge der Kieler Wunderino-Arena. Mehrfach gab es „Daniel, Daniel”-Sprechchöre. Der strahlende Wahlsieger feierte ausgelassen zu dröhnender Partymusik und tanzte mit den Spitzenkandidaten der beiden Jamaika-Partner: Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) und Wirtschaftsminister Bernd Buchhholz (FDP). Während der stellvertretenden Ministerpräsidentin die Freude angesichts des Grünen-Rekordergebnisses von 18,3 Prozent ins Gesicht geschrieben stand, musste der Liberale mäßige 6,4 Prozent verdauen.

Entscheidend wird sein, welches Ziel Günther hat. Will er es vor allem der eigenen Partei leicht machen und ohne große Störfeuer durchregieren, wählt er die Variante Schwarz-Gelb. Das wäre auch ein Signal in Richtung Wirtschaft. Mit Buchholz und Gesundheitsminister Heiner Garg stünden zwei Leistungsträger weiter bereit.

Die Grünen haben sich in der Regierung als Modernisierungsmotor besonders bei Kernthemen wie Energiewende und Klimaschutz verstanden. Sie hätten die konservative CDU sozusagen zum Jagen getragen, sagen sie. Strategische Überlegungen könnten für die Grünen sprechen. Günther hätte die junge und nach links gerückte Fraktion im eigenen Team und nicht als Gegner. „Wenn die Grünen trotz ihres Wahlerfolges in die Opposition geschickt werden, dann wird diese im Norden sehr stark sein”, sagt Politologe Knelangen. Zudem würde dies die Partei wieder zurück in die Arme der SPD treiben. „Die CDU muss aber ein Interesse daran haben, dass die durch die Ampel im Bund engere Verbindung von SPD und Grünen wieder geknackt wird.”

Grüne Ängste, trotz Erfolgs in die Opposition zu müssen

An der Grünen-Basis herrscht der Wunsch nach Schwarz-Grün vor, es gibt aber Ängste, trotz aller Erfolge in die Opposition geschickt zu werden. Es stünden so viele Entscheidungen an, sagt die frühere Staatssekretärin Anke Erdmann. „Da will man verändern und nicht zuschauen, wie andere zurückdrehen.” Das zielt auf Schwarz-Gelb. Für Co-Spitzenkandidatin Aminata Touré steht aber fest, regierten die Grünen künftig nicht, könnten sie „im Zweifel auch eine absolut inhaltliche und angriffslustige Opposition sein”.

Der abgestürzten SPD um Herausforderer Thomas Losse-Müller dürfte die Debatte um Schwarz-Grün oder Schwarz-Gelb massiv geschadet haben. Sie hatte vor allem auf soziale Themen gesetzt wie Mietpreisbremse oder Kita-Gebühren. Die historisch schlechten 16 Prozent ließen bisher für unmöglich Gehaltenes wahr werden. So verlor SPD-Bundesvize und Landtagsfraktionschefin Serpil Midyatli das als sicher geltende Direktmandat in ihrem Wahlkreis Kiel-Ost gegen die weithin unbekannte CDU-Politikerin Seyran Papo (34).

„Der gefühlte SPD-Verlust der letzten Tage lag an der fehlenden Machtoption”, sagt Experte Knelangen. Viele Wähler stellten sich die Frage, was sie mit ihrer Stimme eigentlich erreichen könnten. Am Ende seien viele aus dem Mitte-Links-Bereich zu den Grünen oder dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW) gegangen. An ein rechnerisch ebenfalls mögliches Bündnis der CDU mit der Partei der dänischen und friesischen Minderheit glaubt so recht niemand. „Dafür ist die Distanz zu groß. Nicht inhaltlich, aber die Union müsste vorher erklären, warum nun keine Koalition mit einer der beiden anderen Jamaika-Parteien mehr gehen soll”, sagt Knelangen.

© dpa-infocom, dpa:220508-99-200880/30 (dpa)

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