Welthungerhilfe-Direktorin„Regenmengen in Pakistan sprengen jede Vorstellungskraft“

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Kinder im Notcamp in Dera Allah Yar in Pakistan

Kinder im Notcamp in Dera Allah Yar in Pakistan

  • Aisha Jamshed ist Landesdirektorin der Welthungerhilfe in Pakistan. Die gelernte Betriebswirtschaftlerin arbeitet seit 17 Jahren im Bereich humanitärer Hilfe. Ein Gastbeitrag.

Die Menschen in Pakistan haben gelernt, mit extremen Wetterlagen umzugehen. Denn Hitzewellen, starker Regen und Dürren wechseln sich im Jahresverlauf regelmäßig ab. Doch die Regenmengen, die der Monsun in diesem Jahr gebracht hat, sprengten jede Vorstellungskraft. Seit 50 Jahren hat es im August nicht so viel geregnet, in manchen Provinzen fiel sieben bis acht Mal so viel Regen wie sonst üblich – nun steht ein Drittel des Landes unter Wasser.

Wie praktisch jeder und jede Pakistani hatte auch ich Angst um Familie und Freunde. So war die Familie meines Schwagers in ihrem Haus eingeschlossen, ich konnte sie tagelang nicht erreichen und wusste nicht, ob sie noch lebten. Meine Erleichterung darüber, dass ihnen nichts Schlimmes passiert ist, wich schnell der Sorge, wie humanitäre Hilfe für die Millionen Flutopfer geleistet werden kann. Die Gedanken an das Ausmaß der Katastrophe lassen mich nachts wach liegen.

Aisha Jamshed

Aisha Jamshed

33 Millionen Menschen, so viele wie zusammengenommen in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen leben, sind von den Überschwemmungen betroffen, 1500 Menschen starben. Etwa 13.000 Kilometer Straße, das entspricht der Gesamtlänge aller Autobahnen in Deutschland, wurden zerstört, mehr als 930.000 Nutztiere sind ertrunken. Wasser und Schlamm haben 1,9 Millionen Häuser beschädigt oder zerstört.

Alles zum Thema Klimawandel

Hinter jeder Zahl verbirgt sich ein Schicksal, wie das der Familie von Ahmed, die die Welthungerhilfe in der besonders betroffenen Provinz Sindh unterstützt. Die Flut hat ihnen alles genommen: Eines ihrer fünf Kinder ist ertrunken, ihr Haus wurde zerstört, das Feld auf dem Ahmed Weizen angebaut hat, ist weggespült. Jetzt campieren sie am Straßenrand, sie haben nichts zu essen, keine Schlafplätze, keine Privatsphäre. Sie trinken Wasser, von dem sie wissen, dass Leichen darin schwammen.

Die Familie wird in den nächsten Monaten nicht nach Hause zurückkehren können, solange das Wasser nicht abfließt. Die Kinder werden auf absehbare Zeit nicht zur Schule gehen, ohne Einkommen droht die Verschuldung. Das Leben von Ahmeds Familie wird ein täglicher Kampf, wenn sie nicht hungrig zu Bett gehen wollen.

Schon vor den Überschwemmungen war die Hunger-Situation in Pakistan laut Welthunger-Index „ernst“, das Land belegte Rang 92 von 116 untersuchten Ländern. Die Ernährungslage wird sich jetzt noch weiter verschlechtern, denn die Ernte ist zerstört und die Nahrungsmittelpreise steigen derzeit alle zwei Tage. Konnte sich eine sechsköpfige Familie noch vor einem halben Jahr für umgerechnet 20 Euro einen Monat lang mit Weizen, Reis, Hülsenfrüchten, Zucker und Speiseöl versorgen, kostet dasselbe Paket heute 35 Euro.

Die Welthungerhilfe unterstützt zusammen mit ihren lokalen Partnerorganisationen Flutopfer unter anderem mit Nahrungsmitteln und mit dem Nötigsten für das tägliche (Über-)Leben, zum Beispiel Küchenutensilien, Hygieneartikeln, Planen, Decken, Wasserfilter.

Gefahr durch Cholera

Wir pumpen Wasser ab und verteilen Saatgut, damit Bauern dort aussäen können, wo das Wasser abgelaufen ist. Wenn Krankheiten wie Cholera ausbrechen, helfen wir mit Bargeld, damit die Menschen sich Medikamente oder einen Arztbesuch leisten können. Für diese Hilfen wurden bislang etwa 2,5 Millionen Euro aufgewendet.

Ich bin froh zu sehen, dass es in Deutschland Solidarität mit den Menschen in Pakistan gibt. Und wir sind dankbar für jede noch so kleine Spende. Vielleicht ist es auch die Erfahrung der Flutkatastrophe im Ahrtal, die viele Menschen in Deutschland, trotz aller Ängste um die eigene Situation, solidarisch mit den Flutopfern in Pakistan sein lässt.

Sorge bereitet mir aber die zu geringe internationale Aufmerksamkeit und Unterstützung zur Bewältigung der Flutfolgen. Das gigantische Ausmaß der Überschwemmungen ist auch auf den Klimawandel zurückzuführen, zu dem Pakistan selbst kaum beiträgt: Das Land ist gemessen an der Einwohnerzahl das fünfgrößte Land der Erde und liegt auf Rang 10 des globalen Katastrophenrisiko-Rankings – trägt aber weniger als ein Prozent zum globalen CO2 -Ausstoß bei.

Verantwortung übernehmen

Wenn wir davon sprechen, dass wir in einem globalen Dorf leben, müssen wir füreinander einstehen. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit. Die Länder, die maßgeblich für den Klimawandel verantwortlich sind, müssen Verantwortung übernehmen und anerkennen, dass Pakistan und andere von der Klimakrise besonders betroffene Gemeinschaften finanzielle Unterstützung für die Bewältigung der Folgen und für die Anpassung brauchen.

Dann können wir in Pakistan und anderswo vorausschauend handeln, Katastrophenfolgen minimieren und mit Wettextremen noch besser umgehen. Wir dürfen die Menschen nicht im Stich lassen.

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