Miserable ZuständeIn NRW-Gefängnissen wird der Platz knapp

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JVA Köln mit Wassereinbruch

In der JVA Köln wird das Wasser mit einem Eimer aufgefangen.

Köln – Holger Zlobinski ist Justizvollzugsbediensteter in der JVA Köln. Sein Job ist es, im größten Gefängnis von NRW für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. An diesem Tag gibt es im Frauenhaus ein Problem. Nicht mit Häftlingen – sondern mit einem Wassereinbruch. „Wo jetzt der Regen in das Hafthausbüro tropft, stehen normalerweise der Computer und die Alarmgeräte“, erklärt Zlobinski. „Bei starkem Niederschlag müssen wir die Technik in Sicherheit bringen. Ich bin seit 20 Jahren in der JVA Ossendorf eingesetzt. Der Zustand der Gebäude wird immer bedenklicher“.

Die JVA-Ossendorf wurde 1960 erbaut. Mittlerweile ist die Anstalt in einem miserablen Zustand. „Auch in die Schächte mit den Stromkabeln dringt Wasser ein. Auf den Fluren setzen wir mittlerweile große Wäschewannen ein, um das Wasser abzufangen. Die Eimer sind zu klein, die müssten wir bei starkem Regen alle zehn Minuten ausleeren“, berichtet Holger Zoblinski.

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In NRW gibt es 36 Justizvollzugsanstalten mit mehr als 18.000 Plätzen und fünf Jugendarrestanstalten mit mehr als 250 Plätzen. Die Strafvollzugsbedingungen in den Haftanstalten von NRW sind vielerorts erschreckend. Die Szenen, die sich beim Besuch des „Kölner Stadt-Anzeiger“ im Hafthaus 13 abspielen, werfen ein Schlaglicht auf die Situation in der Anstalt. Die inhaftierten Frauen müssen verlegt werden, weil die Sicherheitstechnik durch den Regen außer Gefecht gesetzt wurde.

Alles zum Thema Hendrik Wüst

Land müsste fünf Milliarden investieren

Um die Gefängnisse wieder in Schuss zu bringen, hat das Land das Justizvollzugsmodernisierungsprogramm aufgelegt. Neue JVA sollen in naher Zukunft zunächst in Münster und Willich entstehen. Auch in Wuppertal-Vohwinkel und in Iserlohn soll saniert werden, weil die Vollzugsbedingungen wegen der maroden Bausubstanz immer problematischer werden.

NRW-Justizminister Peter Biesenbach räumt ein, dass die wenigsten der 36 Gefängnisse in NRW in einem guten Zustand sind. „Die rot-grüne Vorgängerregierung hat uns ein Erbe von maroden Gebäuden überlassen. Unsere Experten gehen von einem Investitionsbedarf von mehr als fünf Milliarden Euro aus“, sagt der CDU-Politiker aus Hückeswagen im Gespräch mit dieser Redaktion. Manche Haftanstalten würden noch aus der Preußen-Zeit stammen. „Auch die Gefängnisse, die in den 70er Jahren gebaut worden sind, erfüllen unsere Ansprüche an einen modernen Strafvollzug nicht mehr. Die Asbestbelastung führt zum Teil dazu, dass viele Zellen nicht mehr genutzt werden können“, so Biesenbach.

Zahl der Häftlinge in NRW steigt an

Ein weiteres Problem: Die Zahl der Häftlinge, die längere Freiheitsstrafen verbüßen, nimmt zu. Bei den Strafen zwischen fünf und zehn Jahren ist der Anteil der Vollstreckungen zuletzt von 3,9 auf 5,5 Prozent angestiegen. „Die Null-Toleranz-Politik der Landesregierung führt zwangsläufig dazu, dass mehr Menschen für Fehlverhalten zur Verantwortung gezogen werden“, sagt der Justizminister. „Unsere Experten gehen davon aus, dass die Zahl der Häftlinge pro Jahr um ein Prozent zunehmen wird.“

Die intensiven Ermittlungen im Zusammenhang mit Kindesmissbrauch würden zudem dazu führen, dass mehr Plätze in der Sicherungsverwahrung benötigt würden. „Beim Urteil gegen die Täter von Münster wurden allein an einem Tag drei Sicherungsverwahrungen angeordnet. Wir prüfen daher, ob wir einen neuen Standort benötigen. Derzeit haben wir 140 Plätze in Werl. Wenn wir in Köln neu bauen, könnten möglicherweise auch dort Plätze für Sicherungsverwahrte geschaffen werden“, erklärte Biesenbach. Auch die Zahl der Häftlinge mit psychischen Auffälligkeiten nehme zu. „Deswegen müssen wir das Justizkrankenhaus in Fröndenberg erweitern oder einen weiteren Standort ins Auge fassen“, sagte der Justizminister.

In der JVA-Köln liegt die Sanierung auf Eis

Und was passiert in Köln? Eigentlich sollte der Neubau längst begonnen haben. Aber jetzt liegt die Modernisierung auf Eis, trotz der unzumutbaren Bedingungen. „Wir haben uns entschieden, den Neubau in zwei Abschnitten anzugehen. Das liegt daran, dass wir nicht alle 1300 Gefangene anderweitig unterbringen können. Dafür fehlen uns die Kapazitäten.“

Tatsächlich? Oder wird einfach nicht kreativ genug gedacht? Justizexperten hatten vorgeschlagen, die Häftlingen in eine JVA im holländischen Eindhoven umzuquartieren. Von solchen Überlegungen hält das Justizministerium allerdings nichts. „Die Häftlinge müssten dort in einem Drei-Schichten-Betrieb von deutschen Bediensteten bewacht werden. Für einen solchen Einsatz Personal zu finden, ist wenig aussichtsreich“, sagt Biesenbach. Man müsste zudem einen Staatsvertrag mit den Niederländern abschließen, dessen Vorbereitung viel Zeit kosten würde. „Ich glaube nicht, dass wir am Ende wegen der Kaskade von Problemen zu der gewünschten schnellen Lösung kommen würde“, so Biesenbach.

Biesenbach ärgert Belegung durch Schwarzfahrer

Der Justizminister will das Problem jetzt grundsätzlicher angehen. „Wir sollten prüfen, wie wir den Vollzug entlasten können“, betont Biesenbach. Die Unterbringung von Schwarzfahrern binde Raum und Personal. „Wir gehen davon aus, dass die Unterbringung aller Verurteilten, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, pro Jahr rund 160 Millionen Euro kostet. Für die Einführung eines Sozialtickets müsste das Land nur 40 Millionen Euro investieren. Vor diesem Hintergrund werde ich mit NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst das Gespräch über die Einführung eines Sozialtickets suchen. Die Einführung eines Sozialticktes könnte die Justiz deutlich entlasten“, kündigt der Justizminister an.

Schnelle Hilfe aber ist nicht in Sicht. Vor dem Baubeginn in Köln müssten 800 Häftlinge verlegt werden. „Die dafür nötigen Ersatz-Kapazitäten werden wir erst haben, wenn die Neubauten in Münster und Willich bezogen werden können. Das wird nicht vor 2026 der Fall sein. Bis dahin müssen dafür sorgen, dass der Vollzug in Köln weiter betrieben werden kann.“

Aufstockung der JVA würde Anwohner stören

Das geht allerdings nur mit weiteren Investitionen in Gebäude, die nach der Renovierung dem Bagger zum Opfer fallen werden. „Wir können die Häftlinge nicht bis 2026 in mit Asbest belasteten Zellen sitzen lassen“, sagt Jakob Klaas, Abteilungsleiter für den Strafvollzug im Justizministerium. „Wir müssen in Kauf nehmen, dass wir Geld in Gebäude investieren, die später abgerissen werden müssen. Der Staat kann seine Entscheidung hier nicht allein nach wirtschaftlichen Überlegungen treffen.“ Auch eine Aufstockung bestehender Gebäude sei nicht möglich. Die steigende Lärmbelästigung könnte zu Konflikten mit den Anwohnern führen, heißt es.

CDU-Politiker Kehrl verlangt mehr Tempo für JVA-Neubau 

Oliver Kehrl, CDU-Landtagsabgeordneter und seit 2018 Mitglied im Beirat des JVA Köln, verlangt mehr Tempo bei der Sanierung der Haftanstalten: „Wir müssen neue Wege einschlagen, um bei der Sanierung unserer Haftanstalten endlich voranzukommen. Auch die Möglichkeit, Häftlinge im Ausland oder in anderen Bundesländern unterzubringen, darf nicht von vornherein ausgeschlossen werden“, betont Kehrl.

Beim Schulausbaupakt in Köln habe er gesehen, wie durch die Zusammenarbeit mit privaten Investoren Tempo in den Neubau gekommen sei. „Der Neubau der Haftanstalten gehört zu den Pflichtaufgaben im bevorstehenden Modernisierungsjahrzehnt.“

Angela Wotzlaw ist die langjährige Chefin der JVA Köln. Bislang hatte die sie Hoffnung, zumindest einen Teil des Neubaus noch als Anstaltsleiterin eröffnen zu können. „Aber meine Zuversicht schwindet“, sagt Wotzlaw. „Ich werde in neun Jahren pensioniert.“

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