PsychologieSind weiße Trikots zu neutral?

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Fußballtrikots liefern immer Diskussionsstoff, erst recht zur Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine. Schön oder hässlich? Standesgemäß oder billig? Traditionell oder modern? Die Meinungen der Fans gehen auseinander. Einig sind sie sich jedoch darin, dass die Shirts immer teurer werden. Zu teuer? Das Heimtrikot der DFB-Auswahl kostet – Spielername und Versand inklusive – 101 Euro.

Prof. Markus Raab beschäftigt ein ganz anderer Aspekt – die psychologische Wirkung eines Trikots. „Es gibt einige empirische Untersuchungen, die Einflüsse auf die Schiedsrichter-Entscheidungen durch die Trikotfarbe nachweisen“, sagt der Leiter des Psychologischen Instituts der Deutschen Sporthochschule Köln.

Eindrucksvoll ist ein Beispiel aus dem American Football. In einer Studie konnten Wissenschaftler belegen, dass gegen Spieler in schwarzen Trikots überaus häufig ein Foulspiel ausgesprochen wird, weil sie aggressiver wirken. Das wurde durch einen Film belegt, in dem Spielszenen zusammengeschnitten wurden. Die Autoren der Studienanordnung legten das identische Video zwei Gruppen von Schiedsrichtern vor.

Einziger Unterschied: Die Wissenschaftler hatten die Farbe der Teams zwischen den Versionen getauscht. Das Team, das in der ersten Variante weiß gekleidet war, war im zweiten Einspieler schwarz gekleidet und umgekehrt. In beiden Gruppen wurde gegen die schwarz gekleidete Mannschaft häufiger ein Foulspiel gewertet. „Vor diesem Hintergrund ist es schon erstaunlich, dass das deutsche Zweittrikot bei der WM 2010 schwarz war“, sagt Raab. „Meiner Meinung nach war das keine gute Entscheidung.“

Klinsmann setzte 2004 auf Rot

Dabei hatte der frühere Bundestrainer Jürgen Klinsmann doch 2004 schon die Bedeutung der Farbpsychologie erkannt. Eine seiner ersten Maßnahmen war es, der Nationalmannschaft ein rotes Zweittrikot zu verpassen. Er wollte damit das Zeichen für einen Neuanfang setzen. „Rot steht für Aggressivität, für Dominanz“, sagt Raab. „Aber auch für Entschlossenheit und Schnelligkeit.“ Offenbar war Klinsmanns Idee gar nicht so schlecht, wie die Durham-Universität in Großbritannien im Jahr 2008 herausgefunden hat.

Die Wissenschaftler sind zu der Erkenntnis gekommen, dass Fußballmannschaften in roten Trikots häufiger siegen. Die spanische Nationalmannschaft – genannt „Die Rote Furie“ – ist dafür das beste Beispiel. Auch Bayern München hat in seinen roten Leibchen in dieser Saison viele Spiele gewonnen, die entscheidenden gegen Borussia Dortmund und den FC Chelsea aber verloren. Spricht das jetzt für oder gegen die These?

In der Praxis wenig Beachtung für psychologische Aspekte

Bei Klubs und Verbänden spielt die Wahrnehmung beim Trikotdesign kaum eine Rolle. „Da stehen andere Aspekte im Fokus, verständlicherweise sind die Vereins- oder Landesfarben wichtig. Da steckt viel Tradition drin“, sagt Raab. Außerdem stellt sich zwangsläufig die Frage, ob die Beeinflussung überhaupt in einem relevanten Rahmen liegt. „Das denke ich schon“, sagt der Experte. „Besonders beim Torhüter in der Elfmetersituation ist das offensichtlich. Wenn der Schlussmann ein sehr auffälliges Trikot trägt, wie zum Beispiel Tim Wiese damals mit Rosa, dann wird die Aufmerksamkeit des Schützen unbewusst darauf gelenkt.“

Natürlich hat sich Raab anlässlich der Europameisterschaft die Nationaltrikots genau angeschaut. Neben dem spanischen sticht für ihn das schwedische Hemd heraus: „Durch die Längsstreifen wirken die Spieler größer, stärker, unüberwindbar. Das kann besonders für Abwehrspieler ein psychologischer Vorteil sein gegenüber gegnerischen Angreifern.“

Weiß ist neutral

Blau, wie bei den Italienern, ist für ihn hingegen völlig unauffällig und aus psychologischer Sicht bedeutungslos. Auch das deutsche Trikot in der weißen Variante sei recht neutral. Auffällig seien allenfalls die schwarz-rot-goldenen Linien. Das grüne Auswärtstrikot gefällt ihm besonders gut, es ist sein Favorit unter allen Nationen.

„Aus wahrnehmungspsychologischer Sicht ist das auch durchaus interessant. Ein grünes Trikot auf grünem Rasen kann ein Vorteil sein, weil Angreifer von der gegnerischen Defensive womöglich übersehen werden können“, sagt Raab. „Andererseits kann das vielleicht auch den eigenen Mitspielern passieren. Aber rein aus optischen Gesichtspunkten ist das sehr gelungen. Schlicht, einfach schön.“

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