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Mehr Chaos oder mehr Tempo?Was das Ende der Priorisierung für Impfwillige bedeutet

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Impfwillige in einer Turnhalle. 

Köln – Das Ende der Priorisierung wird die Impfkampagne in Deutschland grundlegend verändern. Ab dem 7. Juni soll jeder Deutsche einen Termin vereinbaren können, kündigte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Montag an. Auch in NRW können sich die Bürgerinnen und Bürger dann unabhängig von ihrem Alter, Vorerkrankungen oder ihrem Beruf um einen Impftermin für die Corona-Schutzimpfung bemühen. Zudem sollen ab dem 7. Juni auch Betriebs- und Privatärzte mit Impfstoff beliefert werden. Für viele Hausärzte kam die Ankündigung des Gesundheitsministers nicht weniger überraschend als für ihre Patienten. Entsprechend groß ist der Unmut. Jürgen Zastrow, leitender Impfarzt in Köln, kritisiert das Vorgehen: „Was die Politik vorhat, weiß ich doch nicht. Wir Ärzte können immer nur reagieren.“ Auch der Hausärzteverband zeigt sich enttäuscht. Andere sehen in der Entscheidung den logischen nächsten Schritt. Ein Überblick in Fragen und Antworten.

Wie ist die Entscheidung zu bewerten?

Experten sind uneins, ob die Aufhebung zu früh kommt. „Mehr Impfstoff und keine Priorisierung führt nicht automatisch zu mehr Impfterminen“, betont Thomas Preis, Vorsitzender des Kölner Apothekerverbandes. „Wir haben den Eindruck, dass einzelne Praxen schon am Limit impfen“, sagt Preis. Auch viele Hausärzte bewerten den Termin kritisch. „Wenn wir hundert Impfdosen haben und tausend Patienten geimpft werden wollen, funktioniert das nicht“, sagt Oliver Funken, Vorsitzender des Hausärzteverbandes Nordrhein: „Aber die tausend Impfdosen werden wir Anfang Juni eben nicht haben.“

Karl Lauterbach hingegen begrüßt das schnelle Ende der Priorisierung. „Ich denke nicht, dass die Zustände im Juni chaotischer werden“, sagt der SPD-Gesundheitsexperte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Bis zur Aufhebung der Priorisierung werden wir zehn bis 15 Millionen weitere Impfungen durchgeführt haben.“ Aber: Die Entscheidung bringe mehr Planbarkeit. Das sei auch für die Entwicklung der Fallzahlen entscheidend. „Eine englische Auswertung zeigt, dass sich Menschen, die einen Impftermin haben, im Schnitt deutlich vorsichtiger verhalten“, sagt Lauterbach. Diesen Effekt „sollten wir unbedingt mitnehmen.“

Alles zum Thema Karl Lauterbach

Was passiert bis zum 7. Juni?

In Nordrhein-Westfalen bleibt alles beim Alten. Personen der Prioritätsgruppe drei können weiterhin Impftermine buchen, alle anderen nur in Sonderfällen. Lauterbach befürwortet das Abwarten und betont, es sei wichtig, in den kommenden drei Wochen an der Reihenfolge festzuhalten, „um den Risikogruppen definitiv vorzeitig Impfangebote zu machen“.

Wie vereinbare ich einen Termin im Impfzentrum?

Die Vergabe der Impftermine in den Impfzentren wird im Rheinland über die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein koordiniert. In Nordrhein-Westfalen soll auch in den Impfzentren die Priorisierung kippen. Jürgen Zastrow, der auch Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung in Köln ist, erwartet „einen großen Run auf die Impfzentren.“ Am ersten Tag der Freigabe würden vermutlich alle Telefonleitungen zusammenbrechen, so Zastrow. Eine Erhöhung der Kapazitäten scheint unwahrscheinlich.

Wie bekomme ich einen Termin bei meinem Hausarzt?

Bei niedergelassenen Ärzten lohnt sich zunächst ein Blick auf die jeweilige Homepage der Praxis. Dort sind meistens bereits Informationen zu finden, ob die Praxis impft und wie die Terminvergabe abläuft. Häufig führen die Praxen interne Wartelisten, auf denen Patientinnen und Patienten sich telefonisch, per Mail oder online über eine Terminbuchungssoftware eintragen lassen können.

Wird genügend Impfstoff für alle da sein?

Nein. Zumindest nicht unmittelbar nach der Aufhebung der Priorisierung. Von Seiten des Hausärzteverbands Nordrhein gibt es deutliche Kritik an der Entscheidung von Bund und Ländern. „Wenn man die Priorisierung aufhebt, muss man genug Impfstoff zur Verfügung stellen. Das wurde vom Bundesgesundheitsminister allerdings bereits gebremst. Hier passt etwas nicht zusammen“, sagt Oliver Funken.

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Das Problem, dass es zu wenig Impfstoff gebe, werde mit der Aufhebung in die Praxen verlagert, kritisiert der Verbandschef. „Aus meiner Sicht ist das ein taktischer politischer Schachzug, aber kein pragmatischer Ansatz.“ Ähnlich sieht es Zastrow: „Wir haben mit einer Verlagerung des Drucks zu tun: Weg von der Politik und hin zu den Arztpraxen.“

Wie viel Impfstoff können die Arztpraxen derzeit bestellen?

Aktuell könnten die Arztpraxen nicht viel bestellen: „Man hat uns jetzt erstmal den Hahn richtig zugedreht,“ sagt Zastrow. 36 Impfstoffdosen hätten die Ärzte in seiner Praxis jeweils letzte Woche bekommen, diese Woche seien es sechs gewesen, nächste Woche zwölf. „Auch bei Astra bekommen wir von der bestellten Menge mal nur 40 Prozent, mal nur fünf Prozent. Deshalb ist es schlau von Spahn zu sagen: Die Praxen können so viel Astrazeneca bestellen wie sie wollen. Nur den zweiten Teil des Satzes lässt er weg: Ob sie das auch bekommen, ist eine andere Frage“, so Zastrow.

Dienstags erfahren die Arztpraxen, wie viele Impfstoffdosen sie für die nächste Woche bestellen können, erklärt der HNO-Arzt. „Was montags drauf dann tatsächlich geliefert wird, fällt immer geringer aus.“ Entlastung könnte hingegen eine neue Vorgabe des Herstellers Biontech bringen. Dessen Impfstoff kann inzwischen bis zu einem Monat lang gelagert werden.

Was ändert die Einbindung der Betriebsärzte?

Der Mangel in den Praxen könnte dadurch weiter verschärft werden. Prozentual landen durch die Einbindung der Betriebsärzte weniger Ampullen in den Arztpraxen. Die Integration der Betriebsärzte „darf nicht zu Lasten der niedergelassenen Ärzte gehen“, betont Thomas Preis. Er fordert eine gerechte Aufteilung, sieht die Praxen aber „als wichtigste Anlaufstelle für Corona-Impfungen“.

Wann wird ein Termin für jeden verfügbar sein?

Schon bei seiner Ankündigung am Montagabend betonte Spahn: „Es wird nicht möglich sein, alle innerhalb des Juni zu impfen, die geimpft werden wollen.“ Funken äußert zudem Zweifel daran, dass im Juni tatsächlich überhaupt nicht mehr priorisiert werde, letztlich liege dies in der Hand der Ärzte. Sein Verband plane keine neuen Vorgaben. 

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