„Nur über seine Leiche“Witwe mit 44 – trauern heißt nicht immer traurig sein

Lesezeit 9 Minuten
Brenda-Strohmaier

Journalistin und Buchautorin Brenda Strohmaier

Köln – Als sie mit 44 Witwe wird, steht die Berliner Journalistin Brenda Strohmaier vor einem Neubeginn. Wie kann sie ihr Leben nun anpacken, was wird von ihr als Witwe erwartet und wie erlangt sie ihre Autonomie zurück? Und wie kann sie das Andenken an ihren Mann, den Filmkritiker Volker Gunske, bewahren, der zwar eine seltene Krankheit hatte, dessen Tod aber dann doch viel zu plötzlich kam?

In ihrem Buch „Nur über seine Leiche – Wie ich meinen Mann verlor und verdammt viel über das Leben lernte“ schreibt Strohmaier mal rührend, mal sarkastisch über ihr neues Leben als Witwe. Wie von ihr erwartet wird, dass sie in tiefe Depressionen fällt, wie schlecht sich ein „Na, wie gehts anfühlt?“ und wie wichtig ein guter Bestatter sein kann. Aber auch: dass Neues aus einer solchen Situation entstehen kann.

Kurz nach dem Tod ihres Mannes packt sie ihre Koffer und startet eine fünfmonatige Weltreise – allein. Sie macht sich zur Aufgabe, es auch auf eigene Faust zu schaffen, lässt Dates floppen und küsst später auf einer Party sogar eine Frau. Drei Jahre ist ihr neues Leben nun alt. Wie es ihr damals ging und was in ihrem aktuellen Leben los ist, erzählt sie uns im Interview.

Frau Strohmaier, Sie haben ein Buch über Ihr Leben als Witwe mit 44 geschrieben, das gerade deswegen so gut ankommt, weil für Sie das Motto zu gelten scheint: Es ist ja nicht zu ändern, packen wir‘s also an…

Brenda Strohmaier: Auf Profi-Trauerdeutsch heißt diese spezielle Widerstandskraft Resilienz. Ich habe immer geglaubt, dass ich das irgendwie schaffe. Dabei hat mir geholfen, dass ich Journalistin bin und immer mal wieder einen Schritt zurück machen und denken konnte: Wow, interessant, das alles hat man ja nun wirklich noch nie gemacht.

Im Buch gibt es eine Stelle, an der das recht deutlich wird. Dann nämlich, als bei der Beerdigung Ihres Mannes ein Gedicht von Robert Gernhardt vortragen wird, in dem es heißt:

Strohmaier: „Woran soll es gehen? Ans Sterben? Hab ich zwar noch nie gemacht, doch wir wird‘n das Kind schon schaukeln – na, das wäre ja gelacht!“ Ja, genau so ging es mir eben auch, wenn in all der Sterbe-Bürokratie plötzlich eine Rechnung für drei Tage Leichenkühlung auftauchte: „Entgelt Volker Gunske drei Tage pauschal 60 Euro“. Da bleibt einem nur Galgenhumor.

Sie wollten ein Witwenbuch, in dem es nicht nur um Trost und Schweres geht, das nicht in Moll komponiert ist, sondern auch fröhlichere Töne anschlägt…

Strohmaier: Ich sehe Humor als Überlebensmechanismus. Da mag ich die von Buddhisten gepredigte Idee, dass Humor das Herz öffnet und dich aus dem Griff der Gedanken befreit. Das holt den Begriff des Sterbens in eine andere Perspektive. Witze können ja auch helfen, dich von etwas zu distanzieren.

Menschen machen Witze über Peniskrebs, weil man es ohne Lachen gar nicht aushält. Und viele Witze über den Tod sind besonders lustig. Der laut einer wissenschaftlichen Untersuchung weltwitzigste Witz handelt von zwei Jägern, von denen der eine den Notruf wählt und sagt: „Ich glaub, mein Freund ist tot.“ Ob er sicher sei, wird er gefragt. Dann ertönt ein Schuss. Darüber zu lachen, das lehrt einen die Schule des Todes.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie am liebsten eine solche „Schule des Todes“ gründen würden.

Strohmaier: Ja, weil wir zwar alle wissen, dass der Tod irgendwann kommt, weil er uns aber trotzdem oft überraschend trifft. Der Tod ist eine garantierte Naturkatastrophe. Eine, mit der wir alle irgendwann umgehen müssen. Wir kriegen das aber nicht beigebracht!

Und welche Fächer würden an dieser Schule des Todes also gelehrt?

Strohmaier: Es müsste auf jeden Fall zwei unterschiedliche Lehrgänge geben: Einmal zum Umgang mit dem Tod eines Nahestehenden und einmal zum Umgang mit dem eigenen Tod und was man alles vorbereiten sollte, damit sich die Verwandtschaft nicht mit einem rumärgern muss – Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Testament. Ich habe das gemacht, ich steige seitdem viel entspannter in Kleinflugzeuge.

In Kleinflugzeuge?

Strohmaier: Na, ich könnte jetzt auch voller Angst sein, weil ich nun erfahren musste, dass das Leben plötzlich vorbei sein kann. Ich bin nach dem Tod meines Mannes erstmal fünf Monate auf Weltreise gegangen. Ganz allein. Das war auch ein Selbstwiederfindungstrip, bei dem ich erstmal neu lernen musste, allein klar zu kommen. Ohne Begleitung in ein Restaurant zu gehen. Solche Dinge. Ich musste mir Autonomie erreisen.

Wie waren die Reaktionen darauf, was erwartet die Gesellschaft von einer „trauernden Witwe“?

Strohmaier: Ich glaube, von mir wurde mehr sichtbare Erschütterung erwartet. Es hat Leute irritiert, dass ich auf der Beerdigung selbst ein paar Worte gesagt habe. Warum fällt die nicht in eine tiefe Depression? Ich war geschockt und mir ging‘s nicht gut. Gleichzeitig erlebte ich eine unfassbare Welle des Mitgefühls, ich hatte sehr gute Katastrophenhelfer an meiner Seite.

Schweißt das auch heute noch zusammen?

Strohmaier: Absolut, das ist alles viel enger geworden. Ich wollte damals erstmal nur meine engsten Freunde um mich haben, die Seele hatte – wie meine Trauerbegleiterin das formulierte – einen Airbag ausgelöst, der alles andere abfederte.

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Aber nachdem mir kurz vor der Beerdigung jemand ein „Das wir nie wieder gut“ zugeraunt hatte, wollte ich auch beweisen, dass neben der überwältigenden Trauer eben auch etwas Neues beginnt.

Sehr plötzlich waren Sie also wieder Single beziehungsweise Witwe. Welchen Begriff finden Sie eigentlich schlimmer?

Strohmaier: Oh, Single. Oder noch schlimmer: ledig. Ich war 43 Jahre lang ledig. Ich war zwar zehn Jahre mit Volker zusammen, aber er wollte nie heiraten, das klappte erst ein paar Monate vor seinem Tod. Da hör ich lieber das Wort Witwe, weil es zeigt, dass ich verheiratet war.

Sie haben neun Monate nach dem Tod Ihr erstes Date gehabt, später sogar eine Affäre mit einer Frau begonnen.

Strohmaier: Ja, ich war für eine Recherche auf einer dieser berühmten sexpositiven Berliner Partys, da begleitete ich eine Protagonistin, die irgendwann mit ihrem Freund verschwand, um Sex zu haben, und ich knutschte plötzlich mit dieser einen schönen Frau. Das war toll. Als ich aus dem Abend fiel, fühlte es sich an, als hätte ich etwas Wichtiges erfahren. Wenn dein Leben plötzlich auf Null gesetzt wird, warum nicht mal was Neues probieren?

Ist das auch etwas, das Sie durch den Tod gelernt haben?

Strohmaier: Ich habe viel gelernt, weshalb auch die Kapitel im Buch Lektionen heißen. Es ist kein Ratgeber, sondern wirklich nur meine Erfahrung, das, was ich gelernt habe. Volker hatte zwar lange eine seltene Krankheit, die auch immer mal wieder kritisch wurde, aber trotzdem habe ich nicht mit einem so schnellen Ende gerechnet. Weil der Tod aber ab und an bei uns rumlungerte, hatte das eben auch zur Folge, dass wir in unseren zehn Jahren Beziehung nichts ausgelassen haben. Das halte ich auch heute noch gern so.

Auch das könnte auf dem Lehrplan Ihrer Schule des Todes stehen. Zum Umgang mit trauernden Angehörigen empfehlen Sie den Satz „Wie geht es dir heute?“

Strohmaier: Unter anderem, ja, denn was sollen wir auf ein allgemeineres „Wie geht‘s dir“ kurz nach dem Tod des Mannes schon antworten? Andere Menschen glauben wiederum, sie dürften uns Witwen gar nicht mehr ansprechen, weil sie denken, sie würden uns dann an ihn erinnern. Dabei denken wir doch eh den ganzen Tag an ihn!

Gibt es weitere sinnvolle Regeln?

Strohmaier: Oh, wenn ich eine Regel aufstellen dürfte, dann wäre es, Floskeln sein zu lassen. Jeder Spruch, den man auch sticken könnte – etwa: „Wenn Gott eine Tür schließt, öffnet er ein Fenster“ – gehört verboten. Andererseits: Nichts gegen ein schlichtes „Herzliches Beileid“.

Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?

Strohmaier: Ich hätte gedacht: Nein. Aber jetzt bin ich nicht mehr so sicher. Dass die Toten in den Himmel kommen, kann ich mir zwar nicht vorstellen. Wie sollte das da oben organisiert sein? Es sind ja schon bestimmt 100 Milliarden Menschen gestorben. Da müsste dann komplettes Chaos herrschen.

Aber als meine Mutter einmal sagte, sie würde später gern direkt neben Volker begraben werden, da dachte ich plötzlich: Bei aller Sympathie für die Schwiegermutter – würde er das wollen?! Und dieser Gedanke wäre albern, wenn ich nicht irgendwie glauben würde, dass er noch einen Willen hat.

Er steht auch als „Ghostwriter“ im Impressum Ihres Buches. Und Sie haben ihm ein kleines Olympiastadion als Grabstein bauen lassen… mit einem echten Stück Rasen aus dem Stadion von Hertha BSC.

Strohmaier: Ja, Volker war lange Mitglied bei Hertha, als ich seine Mitgliedschaft kündigte, bekam ich ein Schreiben, in dem stand, ich könne mich melden, wenn ich etwas bräuchte. Nach der fast endlosen Suche nach einem schönen Grabstein, war es dann eine Einfassung aus Muschelkalk geworden mit einem für Außenstehende fast nicht erkennbaren Tor. Fehlte nur der Rasen. Also rief ich bei Hertha an und hatte irgendwann den Platzwart am Telefon, der sagte, der Rasen würde eh ausgetauscht, ich könne ein Stück haben.

Faszinierend, wie Sie es schaffen, so viel Leben in den Tod zu holen.

Strohmaier: Naja, so etwas wirkt lebendig, wenn man sich nicht an vorgeschriebene Formen oder Standards hält. Für mich war es Teil des Trauerprozesses, das alles möglichst individuell zu gestalten. Volker war Filmkritiker gewesen, also wollte ich eine Trauerfeier im Kino. Ich hatte aber auch einen tollen Bestatter an meiner Seite, der sich mit einem „Ich will jetzt gar nicht so tun, als wäre ich traurig. Ich kannte den Volker ja gar nicht“ vorstellte und dann alles dafür tat, dass wir speziell ihm als Volker gedenken. Er sah sich als eine Art Wedding-Planner – nur eben „fürs andere Ende“ und mit „ein bisschen mehr Psychologie“.

Sie haben auch die Eheringe einschmelzen und zu einem Kettenanhänger formen lassen. Sie nehmen Stücke aus Ihrem alten Leben mit in Ihr neues und formen es um. Kann man das so sagen?

Strohmaier: Die Kette, die ich übrigens heute trage. Und ja, ich glaube schon, dass das auch für mein neues Leben gilt. Ich bin heute diejenige, die ich bin, weil Volker zehn Jahre dabei war. Er lebt schon in mir weiter. Ich glaube, ich bin ein bisschen weniger neurotisch geworden durch ihn. Und ich sehe es als Zeichen, dass ich genau an seinem Geburtstag jemanden näher kennenlernte, mit dem ich heute, drei Jahre nach Volkers Tod, zusammen bin.

Buchtipp: Brenda Strohmaier: „Nur über seine Leiche – Wie ich meinen Mann verlor und verdammt viel über das Leben lernte“, Penguin-Verlag, 2019.

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