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Alles viel schwierigerWie findet man als Erwachsener noch mal neue Freunde?

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Wer in eine andere Stadt umzieht, kann schon vorher im Freundeskreis fragen, ob er nicht jemanden am neuen Wohnort kennt und einen Kontakt vermittelt. 

Hamburg – Im Klassenzimmer, im Hörsaal, auf der Ferien-Freizeit war es ganz unkompliziert: Einfach die Person anquatschen, die zufällig neben einem saß, und – zack – rutschte man mitunter ohne große Mühen in eine jahrelange Freundschaft. Im Erwachsenenalter läuft das anders: Zeit und mentale Kapazitäten, sich auf neue Menschen einzulassen, sind bei vielen knapp bemessen. „In dieser Lebensphase verlagert sich das Leben in Richtung Partnerschaft, Familie und Beruf“, sagt Wolfgang Krüger, Psychotherapeut und Autor. Ist damit der Zug für neue Freundschaften abgefahren?

Keinesfalls, findet Krüger: „Je älter man wird, desto mehr Potenzial für gute Freundschaften gibt es – schließlich hat man dann mehr Menschenkenntnis, Humor und eher eine Freundschaft mit sich selbst.“ Gute Voraussetzungen für neue Bindungen, wenn es denn gelingt, die passenden Leute aufzuspüren.

Klären: Freunde für Hobby oder gegen Einsamkeit?

Wie geht man die Suche nach neuen Freundinnen und Freunden an? Diplom-Psychologin und Autorin Natalie Wintermantel sagt: „Es ist vorab sinnvoll, sich die Frage zu stellen, was Freundschaft für einen selbst eigentlich bedeutet.“ Geht es darum, der Einsamkeit zu entkommen? Oder darum, ein Hobby teilen zu können? So schafft man Klarheit darüber, mit welchen Erwartungen man in die Suche einsteigt.

Bleibt die Frage, wo man auf die Menschen trifft, mit denen man sich mehr als Smalltalk vorstellen kann. Was in der Kindheit auf dem Bolzplatz oder im Schwimmkurs galt, gilt auch noch im Erwachsenenalter: gemeinsame Interessen verbinden. Kurse an der Volkshochschule, geführte Wanderungen, Lesekreise, Sportvereine, ehrenamtliche Tätigkeiten, Facebook-Gruppen zu bestimmten Themen: Es gibt viele Orte und Aktivitäten, bei denen man mit Leuten ins Gespräch kommen kann, die ähnlich ticken.

Doch eine Garantie, so neue Freundinnen und Freunde zu rekrutieren, gibt es nicht. Das hat auch die Redakteurin und Bloggerin Eva Mell erlebt, als sie im Zuge eines Selbstversuchs nach neuen Freundschaften gesucht hat: „Der Spanischkurs und der Nähkurs an der VHS haben zum Beispiel für mich nicht funktioniert – es gab einfach zu wenig Interaktion vor und nach den Kursterminen.“

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Mut aufbringen nach der Telefonnummer zu fragen

Erfolgreicher waren die Sprachtandems mit zwei spanischen Muttersprachlerinnen, wo erst gute Gespräche und dann gute Freundschaften entstanden. „Allerdings war die wirkungsvollste Sache, um neue Freunde zu finden, ein Kind zu bekommen“, berichtet Mell mit einem Augenzwinkern. Sie erinnert sich noch gut daran, wie sie all ihren Mut gesammelt hat, um die sympathische Zimmergenossin im Krankenhaus nach ihrer Telefonnummer zu fragen. Noch immer sind beide befreundet.

Stichwort Mut: Ohne den geht’s nicht. Klar, gibt es das Risiko, dass das Gegenüber bei der Frage „Wollen wir uns demnächst auf einen Kaffee treffen?“ auf den vollen Terminkalender verweist und keine Verabredung zustande kommt. Allerdings führt kein Weg daran vorbei, über den eigenen Schatten zu springen und die Initiative zu ergreifen. „Wenn jemand einen gemeinsamen Kaffee tatsächlich ablehnt, dann hat man immerhin ein Ergebnis – anders, als wenn man es gar nicht erst probiert“, sagt Wintermantel. Außerdem ist es nicht unwahrscheinlich, dass das Gegenüber Kaffee, Kuchen und Kennenlernen gegenüber aufgeschlossen ist.

Überzeugung hilft: Ich bin für andere ein Geschenk

„Generell hilft ein gutes Selbstbewusstsein, die Grundüberzeugung, dass man selbst für andere ein Geschenk ist“, sagt Krüger. Und: Allein für die Mühen, die man anstellt, um neue Freundschaften zu finden, darf man sich zwischendurch auch mal fest auf die Schulter klopfen. Bleibt die Frage, was es braucht, damit sich eine lose Bekanntschaft in eine feste Freundschaft wandelt. „Es geht darum, Interesse an anderen zu zeigen. Dafür sind wir alle empfänglich“, sagt Wintermantel. Gerade in der Anfangsphase gibt es unendlich viele Fragen, um einen Menschen besser kennenzulernen - von seinen Wünschen bis hin zu den Lieblingsfilmen aus der Kindheit. Nicht zuletzt braucht es auch Geduld: „Freundschaft ist im positiven Sinne etwas Altmodisches. Wir wollen heutzutage immer alles schnell haben, Freundschaften müssen sich jedoch über die Zeit aufbauen und bewähren“, sagt Wintermantel.

Und wenn es mit den neuen Freundschaften irgendwie nicht klappen will? Auch hier hilft Geduld: „Es kann sein, dass man 20 Mal auf Menschen zugehen muss, bis sich eine tiefere Freundschaft entwickelt“, sagt Krüger. Wer möchte, kann auf kreativere Strategien umschwenken.

Warum nicht selbst Freundschaften verkuppeln?

Eva Mell etwa hat sich in ihrem Umfeld gewissermaßen als Freundschafts-Verkupplerin etabliert. „Immer, wenn ich gehört habe, dass Menschen aus meinem Bekanntenkreis etwa nach Berlin oder Paris ziehen, habe ich versucht, ihnen Leute zu vermitteln, die ich dort kenne“, erzählt sie. „Mittlerweile haben andere Leute genau das auch für mich getan, als ich umgezogen bin.“ Vorteil daran: Wer an einem anderen Ort neu anfängt, ist meist offen für neue Leute – und durch den gemeinsamen Kontakt steht schon das erste Gesprächsthema.

Regelmäßig dieselben Orte aufsuchen

Eine weitere Strategie, um neue Leute kennenzulernen, verbreitete sich kürzlich über die Video-Plattform TikTok. In einem kurzen Video schlug der Nutzer „connorthemiller“ vor, regelmäßig dieselben Orte wie zum Beispiel ein bestimmtes Café aufzusuchen. Sein Argument: In Schulzeiten habe man sich mit anderen angefreundet, weil man sie jeden Tag gesehen habe, dann könne es auch im Erwachsenenalter klappen. Das Video wurde bislang über sechs Millionen Mal angeschaut. Ein Zeichen dafür, wie viele diese Frage beschäftigt – und wie gut die Chancen stehen, im Alltag auf Menschen zu treffen, die ebenso auf der Suche nach neuen Bindungen sind. (dpa)

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