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An der Belastungsgrenze„Ich kündige meine Mutterschaft, wenn das so weiter geht“

Lesezeit 10 Minuten
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Job, Homeschooling, Haushalt: Der Lockdown hat Mütter wie die 38-jährige Journalistin Lisa Harmann geschlaucht.

  • Mütter befinden sich ständig im roten Bereich. Tränen trocknen, erwerbsarbeiten, Wäsche waschen. Richtig anerkannt ist diese Arbeit im Hintergrund aber noch immer nicht.
  • In der Corona-Pandemie kam auch noch das Homeschooling dazu. Viele Mütter wurden noch näher an die Belastungsgrenze gedrückt. Vier Mütter erzählen aus ihrem Alltag im Jahr 2020.
  • Kann die Krise auch eine Chance sein, die unbezahlte Arbeit gerecht zwischen den Geschlechtern und unter allen Mitgliedern der Gesellschaft zu verteilen?

Das Herrschaftswissen hängt bei den Lunaus im Flur. Da ist es besser aufgehoben als in ihrem Kopf, findet Andrea Lunau. „Herrschaftswissen“, so nennt die Familie aus Burscheid das, was an Daten, Fakten, Terminen und Hintergrundinformationen nötig ist, damit der Alltag in ihrem Mehrgenerationen-Haus mit drei Kindergartenkindern und dementem Opa rund läuft. Andere nutzen den Begriff „Mental Load“. Unzählige Mütter sagen schlicht: „Ich kann nicht mehr!“

Sie haben das schon gesagt, bevor Corona kam. Während des Lockdowns wurden ihre Hilferufe lauter. Nicht so laut wie die der Männer in den Chefsesseln der Lufthansa, der Fußball-Bundesligisten, der Autoindustrie – doch immerhin so laut, dass Weghören nicht mehr ging. Das Resultat: 300 Euro Schweigegeld, pardon, 300 Euro Familienbonus pro Kind. Die zweite Rate wurde in diesen Tagen ausgezahlt, als Antwort des Staates auf die immense Belastung der Familien (und damit häufig vor allem der Mütter) in der Zeit der coronabedingten Schul- und Kindergarten-Schließungen.

Etwas Schönes kaufen und Ruhe geben?

Und nun? Kaufen wir uns etwas Schönes und geben Ruhe? Wie die gute Ehefrau aus einem 50er-Jahre-Film, die ihrem Mann den Rücken stärkt und dafür ein Kettchen um den Hals gelegt bekommt? Oder diskutieren wir lieber darüber, wie es so ist, das Familienleben von heute – und wie es besser sein könnte?

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Andrea Lunau hat Buchhändlerin gelernt und Jura studiert. Sie hat sich nicht der Kinder wegen gegen den besser bezahlten und weniger Teilzeit-kompatiblen Juristinnen-Job entschieden, sondern des Spaßes an der Arbeit wegen. Die drei Kinder allerdings, zwei vierjährige Mädchen und ein fünfjähriger Junge, die hat sie bekommen, weil sie nicht Juristin mit 70-Stunden-Woche geworden ist. „Sonst wäre nach einem Kind Schluss gewesen“, sagt die 34-Jährige. Beides geht als Frau eben doch irgendwie nicht.

Jetzt arbeitet sie also in Teilzeit in einem Buchladen und ihr Mann in Vollzeit als IT-Spezialist. Während des Lockdowns war er im Homeoffice, sie nicht. Der Buchladen hatte sich aufs Ausliefern verlegt und gut zu tun. Die Kinder waren mal beim Papa, mal bei der Oma und dem dementen Opa, mal mit im Laden. „Das war sehr, sehr anstrengend“, sagt Andrea Lunau. Dabei herausgekommen sei aber immerhin, „dass wir jetzt viel strukturierter in unserem Familienalltag sind“. Das Herrschaftswissen, es ist raus aus ihrem Kopf und feinsäuberlich an die Wand gepinnt. Die Idee kam von ihm, Projektmanagement ist sein Ding. Er wollte nicht länger vorgeworfen bekommen, dass er beim Abendessen mit drei durcheinander quatschenden Kindern nicht immer mitbekommt, was sie ihm sagt.

Die Corona-Pandemie verstärkt ein bestehendes Problem

Von „Retraditionalisierung“ ist dieser Tage häufig die Rede. Corona habe die Frauen zurück an den Herd katapultiert und vergessen geglaubte Rollenbilder neu etabliert. Tatsächlich ist es aber wohl eher so: Corona hat ein bestehendes Problem verstärkt. Mütter, die schon vorher am Rande der Überforderung schufteten, kümmerten und organisierten, waren während des Lockdowns dem Kollaps so nah wie nie. Und das nicht etwa, weil die Väter die Füße hochlegten.

Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) hat in seiner Studie „Eltern während der Corona-Krise. Zur Improvisation gezwungen“ festgestellt, dass Mütter UND Väter seit März 2020 deutlich mehr Familien- und Erziehungsarbeit leisten. Die Geschlechterunterschiede bei der Zeitverwendung seien sogar „sichtbar geringer“ geworden. Bei den Müttern erhöhte sich die Zahl der Familienarbeits-Stunden um 90 Minuten, von 6,6 Stunden im Jahr 2018 auf 7,9 in der Krise. Bei den Vätern stieg der Mittelwert um 2,3 Stunden, von 3,3 auf 5,6 Stunden.

Väter packen mit an, doch die Verantwortung liegt bei den Müttern

Ein Hoch auf die Väter, wirklich! Sie packen mit an. Ihr Ruf ist manchmal schlechter als die Realität. Warum müssen sie aber auch so oft vor Schränken stehen und brüllen: „Wo sind meine Socken? Welche Zahnpasta benutzen die Kinder?“ Nach wie vor sind es vorwiegend die Mütter, die alles wissen und alles verantworten, damit der Familienalltag nicht im Chaos versinkt.

Sie wissen, welches Kind welche Kleider- und Schuhgröße hat und mit welchen Worten es bei einem Wutanfall am besten zu beruhigen ist. Und sie sind es, die schief angesehen werden, wenn die Kinder schlecht in der Schule sind oder im Sandkasten andere Kinder piesacken. Fallen die Kinder auf, haben es die Mütter verbockt. Die Väter? Sind arbeiten. Für Geld.

„Das war kaum zu schaffen“

Lisa Harmann hat drei Kinder im Schulalter. Ein 14-jähriges Mädchen und zwei Jungs, Zwillinge, zwölf Jahre alt. Der Lockdown habe sie sehr erschöpft, sagt die 38-jährige Journalistin, die im Bergischen Land lebt. „Ich war teils nah dran zu sagen: Ich kündige meine Mutterschaft, wenn das so weiter geht. Homeschooling mal Drei bei gleichzeitigem Homeoffice. Das war kaum zu schaffen.“ Ihr Mann ist in der Krise beruflich mehr gefordert als sonst, übernimmt die Kinder aber an den Freitagen und Samstagen, damit sie ihre Abgabefristen schaffen kann. Ihr neues Buch muss fertig werden. Ein Mama-Mutmacher für „mehr Ich in all dem Wir“. Ausgerechnet.

Corona sei wie ein Brennglas, das den Blick darauf lenkt, dass viele Männer und Frauen, zumal wenn sie Eltern sind, „kaum wirklich gleichberechtigt leben“, sagt Harmann. Das Buch, das sie zusammen mit Katharina Nachtsheim geschrieben hat, nimmt sich dem Thema ehrlich an und zeigt, wie Mütter der Überforderung entfliehen können. Denn, so formuliert es Harmann: „Wenn es uns gut geht, geht es meist auch der Familie gut.“

Bei fast der Hälfte arbeitet der Vater in Voll-, die Mutter in Teilzeit

Das BiB kommt in seiner Studie zu dem Schluss, dass nicht Corona Schuld ist an einer Retraditionalisierung in den Familien. Sondern, „dass der Übergang zur Elternschaft eine Retraditionalisierung der Aufgabenteilung zwischen den Partnern bedingt.“ Daten des Statistischen Bundesamtes belegen das. Demnach sah die Rollenverteilung in Paarfamilien mit Kindern unter 18 Jahren 2018 so aus: 45 Prozent: Er in Vollzeit berufstätig, sie in Teilzeit. 27 Prozent: Er Vollzeit, sie Hausfrau. 17 Prozent: Beide Vollzeit. Zwei Prozent: Beide Teilzeit. Ein Prozent: Sie Vollzeit, er Teilzeit. Bleiben noch drei Prozent der Paarfamilien, in denen nur die Frau erwerbstätig ist und fünf Prozent, in denen beide nicht arbeiten.

Wie gleichberechtigt leben Männer und Frauen also tatsächlich in unserem Land? Theoretisch: Sehr gleichberechtigt. Praktisch: Mit Blick auf Arbeitszeiten, Gehälter und Renten – wenig gleichberechtigt. Und mit Blick auf die allermeistern Familien mit kleinen Kindern – überhaupt nicht gleichberechtigt. Wenn Frauen Mütter werden, gerät ihr erlernter Beruf zum Zweitjob neben Kindern, Haushalt und familiärem Seelenheil – egal, ob sie 40, 20 oder 0 Stunden erwerbstätig sind.

Jutta Allmendinger, die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, mag den Begriff „Retraditionalisierung“ nicht. In einem Gastbeitrag für die Zeit bezeichnete sie ihn kürzlich als „zu schmusig, zu nett“. Es gehe schließlich um „den Verlust der Würde von Frauen, von Respekt, von Rechten“. Allmendinger prangert an, dass es heute zwar ein Recht auf einen Krippenplatz gebe, Nachmittagsbetreuung in den Schulen und Elterngeldmonate für Väter – die meisten (wenig mütterfreundlichen) „institutionellen Flankierungen“ des Elterndaseins hätten sich jedoch gehalten: Das Ehegattensplitting, das Frauen niedrigere Verdienste nahelegt, die Mitversicherung in der Krankenkasse, der Mangel an Frauen in Führungspositionen, die schlechtere Tarifierung von Tätigkeiten, die vor allem von Frauen ausgeübt werden.

„Mama wird grundsätzlich mehr abverlangt“

Für Constanze Falke war immer klar, dass sie nicht auf ihren Job verzichten würde, nur weil sie Mutter wird. Heute hat die Kunsthistorikerin aus Bonn eine vierjährige Tochter und arbeitet Vollzeit als Denkmalpflegerin. Ihr Mann ist im Vertrieb, ebenfalls in Vollzeit. Haushalt und Betreuungszeit hätten sie sich schon immer geteilt, sagt Falke, „auch wenn ich das Gefühl habe, dass Mama grundsätzlich mehr abverlangt wird“. Da ist es wieder, das Herrschaftswissen, das weniger mit Herrschaft und mehr mit Verantwortung zu tun hat.

Während des Lockdowns hatten die Falkes mit ihren Nachbarn ein nahezu geniales Betreuungsmodell. Das ging so: Vier Erwachsene, zwei Kindergartenkinder – macht einen Kinderdienst pro Woche für Mütter wie Väter und somit drei reine Arbeitstage für jeden. „Meine Kindertage haben mich anfangs nervlich an den Rand des Wahnsinns getrieben“, sagt Falke. „Ich musste mir erst klar machen, dass ich da nicht noch nebenbei arbeiten konnte.“ Ihr Lerneffekt durch die Krise: „Ich bin jetzt bewusster einfach mal nur Mutter. Ich möchte die Zeiten für mein Kind und die für die Arbeit nicht mehr vermischen.“

„Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben Zeit für mein Kind“

Charlotte Daugstrup ist alleinerziehend. Sie hat drei erwachsene Kinder und einen achtjährigen Sohn, er und eine Tochter leben bei ihr. „Ich bin erschöpft“, sagt Daugstrup. Und doch bezeichnet die 52-Jährige, die auf der Düsseldorfer Königsallee in Teilzeit als Verkäuferin arbeitet, den Corona-Lockdown als „mein großes Glück“. Sie habe zwar nur noch 67 Prozent ihres Gehaltes bekommen: „Aber ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben Zeit für mein Kind.“ Gemeinsame Radtouren, Wanderungen, Spielenachmittage – all das komme sonst zu kurz.

Was Müttern insgesamt zu schaffen macht, betrifft Alleinerziehende in besonderem Maße: Sie rackern sich ab zwischen Erwerbstätigkeit und Familienarbeit, haben den Alltag fest im Griff und verlieren dabei die Leichtigkeit des Lebens aus den Augen.

Klar, viele Väter wickeln, kochen, bügeln. Sie lesen vor, bringen ins Bett und schmieren manchmal sogar Pausenbrote. Aber eben oft nur als Hilfskräfte. Den Chefsessel, den sie draußen in der freien Wirtschaft so ungern hergeben, den wollen sie zu Hause nicht haben. Die Verantwortung überlassen sie gern der Mutter. Und die steht dann da, gewollt oder ungewollt, den Kopf voller Herrschaftswissen und die Knie weich von der kaum zu stemmenden Last.

Buchtipps

„WOW MOM: Der Mama-Mutmacher für mehr Ich in all dem Wir“, Lisa Harmann und Katharina Nachtsheim, Krüger, 16,99 Euro, erscheint am 28. Oktober

„Raus aus der Mental Load-Falle: Wie gerechte Arbeitsteilung in der Familie gelingt“, Patricia Cammarata, Beltz, 17,95 Euro

„Du musst nicht perfekt sein, Mama!“, Margrit Stamm, Piper, 18 Euro

Wir Mütter von heute haben die Wahl. Wir können Kinder kriegen und Karriere machen. Aber nur, wenn wir den Nachwuchs trotzdem gewissenhaft zu glücklichen, selbstständigen, vielseitig gebildeten, selbstbewussten Menschen erziehen. Die Kinder müssen bitte mit sauberer Kleidung, einem heimeligen Zuhause, gesundem Essen und viel Geduld und Mutterliebe groß werden. Am besten auch noch mit wenig Fremdbetreuung, früher Förderung und viel frischer Luft. So haben wir Frauen (und auch unsere Männer) das von klein auf gelernt.

„Ein Ideal, dem keine Frau genügen kann“

Die Schweizerin Margit Stamm, emeritierte Professorin für Erziehungswissenschaften, hat ein Buch geschrieben mit dem Titel: „Du musst nicht perfekt sein, Mama!“ Denn ihrer Ansicht nach ist unsere Gesellschaft „einem Mutterideal verpflichtet, dem keine Frau genügen kann, auch wenn sie Vollzeit-Mutter wird“. Entstanden sei dieser völlig überhöhte Mama-Mythos auch durch Bindungs-, Kleinkind- und Hirnforschung, die eine intensive Mutter-Kind-Bindung und innige Fürsorge als wichtige Voraussetzung für die Reifung des Kindes zum selbstbewussten, glücklichen Menschen ausgemacht haben.

Was ja auch so ist. Was aber nicht bedeutet, dass eine völlige Selbstaufgabe der Mutter nötig ist. Oder dass nicht auch andere Bezugspersonen, etwa die Väter, innige Fürsorger sein können. Aber: „Männer sind so sozialisiert, dass sie warten, bis die Frau einen Wink gibt. Dann tun sie, was von ihnen verlangt wird“, sagt Stamm. „Frauen dagegen sind die, die immer und überall jedes Feuer löschen.“

Und nun?

„Das Problem können wir nicht strukturell lösen, wir müssen es in den Köpfen lösen“, sagt Stamm. Ein neues Mütterbild muss her. Und am besten auch gleich ein neues Väterbild. Und ein neues Arbeitnehmerbild.

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Es herrsche die Vorstellung, dass sich Frauen ändern müssten, so die Soziologin Jutta Allmendinger. „Sie sollen wie Männer werden. Hohe Arbeitszeiten, wenige Unterbrechungen, permanente Präsenz.“ Aber warum eigentlich? „Männerbiografien könnten sich auch jenen von Frauen annähern. Bezahlte und unbezahlte Arbeit würden beide zu gleichen Teilen übernehmen. Man träfe sich bei einer 32-Stunden-Woche.“

Das BiB legt nahe, dass das die bessere Idee wäre. Es fand in seiner Corona-Studie heraus: Männer in Kurzarbeit waren während der Krise die Personengruppe, die mit dem Familienleben am zufriedensten war. Sie hatten plötzlich mehr Zeit mit ihren Kindern. Und sie haben das offenbar genossen.

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