Auswirkungen der Pandemie„Die Maske ist für die meisten Kinder gar kein Problem“

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Kinder in der Corona-Pandemie: Eine neue Studie zeigt, welche Auswirkungen sie auf sie hat. (Symbolbild)

Birgit Langebartels ist Diplom-Psychologin und leitet den Bereich „Kids & Family Research“ beim Kölner Marktforschungsinstitut Rheingold. In einer neuen Studie hat sie die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Kinder untersucht. Die Maskenpflicht ist für die Kinder nicht das Problem.

Frau Langebartels, Sie haben die Belastungen von Eltern und Kindern durch die Corona-Krise untersucht. Was sticht für Sie heraus?

Birgit Langebartels: Ich fand es erstaunlich festzustellen, dass die viel diskutierte Maske für die meisten Kinder überhaupt kein Problem darstellt. Es sind vielmehr die Erwachsenen, die mit Masken-Debatten die eigentlichen Probleme maskieren.

Ist der offene Blick ins Gesicht mit ganzer Mimik nicht etwas sehr Wichtiges für Kinder?

Für kleine Kinder sicher. Aber ihre wichtigsten Bezugspersonen dürfen ihnen ja ohne Maske begegnen. Und für Grundschüler und noch ältere Kinder ist die Maske eine Selbstverständlichkeit. Sie nutzen sie sogar spielerisch für sich. Ein Mädchen sagte uns: „Ich kann jetzt hinter der Maske Leuten, die ich doof finde, die Zunge rausstrecken.“ Also, Kinder gehen kreativ, erfinderisch mit der Maske um – ganz ohne das Gefühl von Einengung oder Behinderung. 

Sie sagten, die eigentlichen Probleme würden überlagert. Welche Probleme sind das?

Corona hat die Spiel- und Entwicklungsräume der Kinder ausgehebelt und beschnitten. Der Wegfall des Präsenzunterrichts im Lockdown, der Stopp für Sportvereine und andere Freizeitaktivitäten haben den Kindern die Möglichkeit genommen, sich jenseits des elterlichen Blicks auszuprobieren und zu beweisen.

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Rheingold-Psychologin Birgit Langebartels

Gerade die Schule, das zeigt unsere Untersuchung, ist für die Kinder sehr viel mehr als ein Lernort, sondern ein Freiraum, eine Welt der Selbstwirksamkeit außerhalb des Gesichtskreises der Eltern. Das schafft ein bedeutsames Eigen- und Gegengewicht. Die Kinder sagen es nicht so, aber die Schule ist der Raum, wo sie ihren Eltern auch mal entkommen können. Eltern leben ohnehin ständig in einer Kippfigur zwischen Überbehütung und Verwahrlosung. Aber die Corona-Krise verstärkt und beschleunigt das.

Kippfigur?

Eltern haben den Anspruch, ihr Kind maximal zu fördern und ihm eine glückliche Kindheit zu bescheren. Sobald das an einer Stelle mal nicht klappt mit der Lenkung und Fürsorge, kippt das schnell in ein Schreckensszenario. „Zwei Stunden am Handy gedaddelt? Erst um elf Uhr das Mathebuch in die Hand genommen? O Gott, mein Kind verwahrlost!“ Uns fiel auf, dass es für die Eltern da kaum Zwischenstufen gibt. Anders als für die Kinder, die sich im Corona-Alltag mit Übergängen und einem „Sowohl als auch“ gut eingerichtet haben.

Führt das zu Konflikten?

Die erzwungene Nähe im Lockdown hat bei Vätern und Müttern den Anspruch an sich selbst noch einmal verstärkt, immer und überall für ihre Kinder da zu sein. Aber zugleich waren die Eltern natürlich auch beruflich noch einmal ganz anders gefordert.

Zur Person

Birgit Langebartels ist Diplom-Psychologin. Sie leitet den Bereich „Kids & Family Research“ beim Kölner Marktforschungsinstitut rheingold.

Am Montag, 09. November, zeigt das Erste (22.50 Uhr) „Mütter, Väter, Kinder im Stress“. Darin wird auch die Studie vorgestellt.

Homeoffice gepaart mit Homeschooling und 24-Stunden-Betreuung – das hat das ohnehin strapazierte „System Familie“ oft überfordert. In dieser hoch angespannten Lage können die Kinder die beschriebenen Alles-oder-nichts-Attacken ihrer Eltern oft gar nicht nachvollziehen. Sie verstehen nicht, warum etwas, das eben noch gut war, auf einmal schlimm sein soll.

Wenn Sie der alleinerziehenden Mutter im Homeoffice-Stress „mehr Flexibilität“ empfehlen, wird die sich schön bedanken.

Völlig klar! „Lass mal locker!“ wäre da kein guter Rat. Familien und Kinder brauchen unbedingt auch Unterstützung durch Politik und Gesellschaft. Es können nicht nur die Anforderungen an die Familien wachsen. Aber in den Familien müssen Eltern und Kinder sich aufeinander zu bewegen. Strukturen helfen dabei. Auch Rituale helfen. Alle spüren: Unser Leben hat sich durch Corona massiv verändert. Aber wir müssen uns das immer wieder klarmachen und darauf achten, dass wir den wohlwollenden Blick aufeinander nicht verlieren.

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Konkret: auf die Kinder, auf uns selbst, aber zum Beispiel auch auf die Lehrer. Das gern betriebene Lehrerbashing führt zu gar nichts. Wir müssen in Zwischenschritten denken und leben lernen – eigentlich das, was die Kinder uns vormachen.

Und Sie meinen, das sollten die Erwachsenen stärker anerkennen und honorieren?

Ja. Übrigens auch im Schulbetrieb: Warum sollte in die Notengebung nicht auch das eingehen, was die Kinder zurzeit jenseits von Klassenarbeiten und Klausuren leisten an Selbstorganisation und Eigenverantwortung in der Krise mit Beachtung der AHA-Regeln und Rücksicht auf Risikopersonen? Und sollte es zum Schlimmsten kommen mit einer nochmaligen Schließung der Schulen und Kitas, wäre es ganz wichtig, die Strukturen zuhause anzupassen und elternfreie Zonen zu schaffen – im Vertrauen darauf, dass die Kinder vieles auch ohne Dauerzugriff der Eltern gut bewerkstelligen.

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