Betroffene„Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch sind die Spaßbremsen auf jeder Party“

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Manche Frauen wünschen sich ein Baby, werden aber nicht schwanger. Das kann sehr traurig machen. 

Köln – Anna Schatz hätte gern ein Kind, doch es klappt nicht. Drei Fehlgeburten hat sie hinter sich und kann mitleidige Blicke nicht mehr ertragen. Stattdessen wünscht sie sich jemanden, der sie tröstend in den Arm nimmt. Im neuen Buch „Wenn ich noch eine glückliche Mami sehe, muss ich kotzen. Mein Leben mit einem unerfüllten Kinderwunsch" verarbeitet sie ihre Erfahrungen als "Sehnsuchts-Frau“. Im Interview spricht sie darüber, was sie besonders traurig macht, welche Fragen übergriffig sind und wie Nicht-Betroffene sich am besten verhalten sollten. 

Frau Schatz, Sie bezeichnen Kinderwunsch-Frauen als die „Spaßbremsen jeder Party“. Was war Ihre letzte unangenehme Situation auf einer Feier?

Anna Schatz: Da muss ich nicht lange überlegen – es war eine Hauseinweihungsparty in einer Reihenhaussiedlung. Eine Dame hielt mich fälschlicherweise für eine Nachbarin und fragte, auf welche Schule meine Kinder gingen. Ich sagte, dass ich keine Kinder habe – sie fragte entsetzt zurück, warum ich denn dann hier wohnen würde oder ob ich nur einfach noch keine Kinder hätte? Ich erklärte ihr, dass ich weder Nachbarin bin noch schwanger. „Aber Sie wollen schon Kinder?“ vergewisserte sie sich. „Das Glück fällt nicht vom Himmel“, war meine Antwort. Sie wurde dann ganz still und suchte eilig eine Möglichkeit, von mir weg zu kommen.

Frauen sehen sich ja häufiger im Leben übergriffigen Fragen oder Kommentaren ausgesetzt. Welche Übergriffigkeiten nerven Kinderwunsch-Frauen am meisten? Anna Schatz: Am meisten stört es mich, wenn Menschen ungeniert ganz direkt nachfragen: „Kann Dein Mann nicht oder liegt es an Dir?“ Ich frage ja auch nicht, wenn jemand zur Toilette geht, ob er mit Inkontinenz zu kämpfen hat. Das ist so eine Frage, der man schlecht ausweichen kann, ohne den Fragesteller anzugreifen. Wenn ich „Das ist jetzt aber sehr persönlich gefragt, oder?“ entgegne, sind die Menschen oft beleidigt. Als wäre ich gezwungen, Auskunft zu geben.

Bekommen Sie auch Tipps von fremden Leuten? Und wenn ja, sind da skurrile Sachen dabei?  Anna Schatz; Ich glaube, das Schlimmste war die Frau, die mir riet, bei einem Gewitter draußen schwimmen zu gehen, wenn ich meinen Eisprung habe. Dann könnte ich nämlich mit Glück durch einen Blitzeinschlag auf die Wasseroberfläche wie eine seltene Amphibie mich selbst durch elektrische Impulse befruchten – so sei das bei der Heiligen Maria auch gewesen. Besonders schön sind auch die Anhänger der Tensor-Bewegung: die möchten nämlich, dass ich mein Essen vor dem Verzehr mit einem Metallteil „entstöre“, um schlechte Schwingungen zu vermeiden.

Was macht das mit Ihnen? Anna Schatz: Wenn ich die Person sehr gut kenne, sage ich auch mal, dass das jetzt nicht hilfreich ist oder nervt. Mag ich den Tippgeber nicht sonderlich oder es ist vollkommen abwegig, dann werde ich schnell sarkastisch, ironisch oder reagiere mit albernen Rückfragen. Innerlich bin ich etwas hin- und hergerissen. Eigentlich meint der Mensch es ja gut, und daher ist es unhöflich und undankbar von mir, genervt zu sein. Dann kommt zu dem Unglücklichsein noch ein schlechtes Gewissen hinzu.

Was ist denn schlimmer – ein mitleidiger Dackelblick, ein „Iss halt mehr Gemüse“ oder ein „Naja, für irgendwas wird es schon gut sein“? Anna Schatz: Am schlimmsten ist ein: „Naja, Kinder sind ja auch nicht alles, da bleibt Dir auch manches erspart“ Mit einem Dackelblick kann ich umgehen, irrsinnige Tipps kann ich wegbügeln, und „für irgendwas wird es schon gut sein“ ist zwar nicht sehr empathisch, stimmt aber möglicherweise. Aber dieses „Ist doch nicht so schlimm“ ist unsensibel.

Sprechen Sie das Thema durch die Erfahrung der vergangenen Jahre gar nicht mehr an?

Anna Schatz: Ich suche das Gespräch darüber nicht. Wenn es entsteht, weiche ich aber auch nicht aus. Mir ist daran gelegen, nur mit denen darüber zu sprechen, die ein ernsthaftes Interesse haben. Es ist kein Thema für Smalltalk.

Sie nennen Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch „Sehnsuchtsfrauen“. Was genau brauchen die statt blöder Kommentare?

Anna Schatz: Meiner Erfahrung nach brauchen wir aufrichtige Empathie. Oder überhaupt Aufrichtigkeit. Wenn jemand mit dem Thema nichts anfangen kann, dann sollte er lieber nichts sagen, anstatt austauschbare Allgemeinplätze auszuplaudern. Wir brauchen jemanden, der uns verbal oder physisch in den Arm nimmt und vielleicht sagt: „Stimmt, das ist wirklich traurig und es tut mir leid für Dich“. 

Was machen Sie mit Ihrer Trauer und in welchen Situationen erwischt es Sie? Anna Schatz: Traurigkeit erwischt mich unvermittelt. Natürlich gibt es Situationen, die Traurigkeit hervorrufen – aber ich muss ja nicht zwangsweise am Einschulungstag vor einer Grundschule stehen, um mich selbst runterzuziehen. Wenn ich traurig bin, gehe ich mit dem Hund raus, mache Sport und nehme ein spannendes Buch mit in die – kinderfreie – Sauna. Ich verdränge viel. Wenn es zu viel wird, muss ich schreiben und damit verarbeiten.

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Der Buchtitel ist bewusst provokant gewählt: „Wenn ich noch eine glückliche Mami sehe, muss ich kotzen“. Ist da  auch Neid im Spiel? Womöglich sogar Neid auf fettige Haare und erschöpfte Blicke? Anna Schatz: Neid ist ja keine schöne Tugend. Also möchte ich eigentlich nicht neidisch sein. Und im Prinzip bin ich auch kein neidischer oder missgönnender Mensch – aber Wehmut ist da, Traurigkeit darüber, dass es bei mir nicht so ist, wie bei anderen. Dass ich nicht eine Mutter bin, die in komischem Entsetzen im Durcheinander-Zimmer ihres Teenager-Sohnes steht.

Was möchten Sie anderen in dieser Lage mit auf den Weg geben? Anna Schatz: In unserer Lage ist Traurigkeit ein Begleiter, mit dem jede von uns auf ihre eigene Weise umgeht – schämt euch dessen nicht. Und mein persönlicher Tipp, auf den ich in meinem Buch eingehe: Entscheidet euch irgendwann, wie weit ihr für euren Kinderwunsch gehen wollt. Eine Entscheidung macht vieles einfacher.

Und was raten Sie unbedarften Nicht-Betroffenen? Anna Schatz: Mein Buch hat eine Menge lustige Begebenheiten, die zwischen Betroffenen und Nicht-Betroffenen entstehen können – mich überrascht es immer, wie unterschiedlich wir einige Situationen wahrnehmen. Aber generell: Wenn ihr uns versteht, tröstet uns, wenn ihr uns nicht versteht, dann lasst uns in Ruhe. Wie Harry Rowohlt sagte: „Sagen, was man denkt. Und vorher was gedacht haben.“

Der Artikel erschien zuerst im Blog "Stadt Land Mama"

Anna Schatz: Wenn ich noch eine glückliche Mami sehe, muss ich kotzen. Mein Leben mit einem unerfüllten Kinderwunsch, 224 Seiten, 14,99 Euro, Rowohlt Verlag

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