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Co-ParentingWie man eine Familie gründet, ohne ein Paar zu sein

Lesezeit 13 Minuten
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Beim Co-Parenting sind die Eltern kein Paar, kümmern sich aber gemeinsam um ihr Kind. 

  • Beim Co-Parenting tun sich Frauen und Männer nur zu dem Zweck zusammen, um gemeinsam ein Kind zu bekommen und aufzuziehen.
  • Wie sehr man Verantwortung, Sorgerecht und Kosten teilt, entscheiden die Co-Eltern ganz individuell.
  • Christine Wagner hat die Plattform Familyship gegründet, auf der Partner zusammen finden. Sie selbst lebt mit Tochter und Co-Vater in Berlin und erzählt von ihren Erfahrungen.

Köln – Familie: Das bedeutete zumindest in der Werbung lange Zeit Mutter-Vater-zwei-Kinder-Haus-und-Hund. Also: Mann und Frau verlieben sich, heiraten, bekommen Kinder und bleiben ein Leben lang zusammen. Dieses Bild ist schon lange überholt. Heute leben Menschen mit den unterschiedlichsten Verbindungen als Familie zusammen. Es gibt Patchworkfamilien, bei denen sich Paare mit ihren Kindern aus vorherigen Beziehungen zusammenfinden und vielleicht noch ein gemeinsames Kind bekommen. Mütter oder Väter, die alleine mit ihren Kindern leben oder die sogenannten Regenbogenfamilien, bei denen homosexuelle Paare Kinder haben.

Einziges Ziel: Gemeinsam ein Kind bekommen

Relativ neu ist die Co-Elternschaft, auch Co-Parenting genannt. Bei diesem Modell tun sich zwei Menschen einzig und allein zu dem Zweck zusammen, gemeinsam ein Kind zu bekommen. Es geht dabei nicht nur um das Zusammenbringen von Ei und Samen, sondern darum, gemeinsam für das Kind da zu sein, obwohl man kein Paar ist. Wie sehr man Verantwortung, Sorgerecht und Kosten teilt, entscheiden die Co-Eltern ganz individuell, mit und ohne Notar. Manchmal lebt das Kind bei der Mutter und unternimmt nur ab und zu etwas mit dem Vater, manchmal sind Erziehung und Aufenthaltszeit genau gleich verteilt.

Christine Wagner aus Berlin ist noch einen Schritt weiter gegangen. Sie hat eine sechsjährige Tochter mit Gianni, einem homosexuellen Mann. Die Familie lebt in zwei verschiedenen Wohnungen direkt nebeneinander, die Wohnungen sind mit einem Durchbruch verbunden.  Besser könnte es nicht sein: Jeder hat eine eigene Wohnung, beide haben mit der Küche in der Mitte einen gemeinsamen Raum. „Wir funktionieren wie andere Familien auch. Wir treffen uns zum Essen und haben auch Familienzeit zusammen“, erzählt Wagner. Die gemeinsame Tochter Milla und alle anderen wissen, dass Mama und Papa nicht im klassischen Sinne verliebt sind oder waren. Für die Sechsjährige ist das manchmal noch schwer zu verstehen. „Das Konzept Liebe ist noch zu schwierig für sie“, sagt Wagner. 

Im Internet den richtigen Vater finden

Wagner lebt mit ihrem Familienmodell vor, was sich viele andere Frauen und Männer wünschen. 2011 gründete sie mit ihrer damaligen Partnerin Miriam Förster die Plattform Familyship. Hier finden Menschen zusammen, die ein Kind möchten, aber nicht den passenden Partner dafür haben. Entstanden ist die Idee, weil Wagner und ihre Freundin damals selbst ein Baby wollten. „Wir haben viele Modelle diskutiert, aber mir war es wichtig, dass der Vater auch präsent ist und dass mein Kind seine Wurzeln kennt“, erzählt Wagner, die als Ärztin arbeitet.

Einen Vater zu finden, gestaltete sich jedoch ziemlich schwierig. „Im Freundeskreis war niemand dabei, der wirklich gepasst und auch gewollt hätte“, erinnert sich Wagner. Über eine Kinderwunschgruppe und verschiedene Anzeigen machten sie sich auf die Suche – ohne Erfolg. „Wir suchten keinen bloßen Samenspender, sondern einen Menschen, der als Vater in Frage kommt. So kam uns der Gedanke, selbst eine Seite zu machen, wo wir jemanden finden können“, sagt Wagner. Nur vier Wochen brauchten die beiden Frauen, um Familiyship zu entwickeln.  Schon bald kamen die ersten Anmeldungen. „Es war so, als hätten die Menschen nur darauf gewartet, dass es endlich so etwas gibt“, erinnert sich Wagner.

Zusammen für Milla da sein

Ihre Beziehung mit Förster brach auseinander, doch der Kinderwunsch blieb und wandelte sich immer deutlicher in die Vision einer Co-Elternschaft. Auf ihrer eigenen Plattform fand Wagner schließlich den richtigen Mann: Gianni. Von Anfang an arbeiteten sie zusammen. Als die Tochter noch ein Baby war, übernachtete Gianni oft bei Wagner. Während der Elternzeit begleitete Wagner ihn mit Milla  auf seiner Theater-Tournee.  Bis zum ersten Geburtstag des Mädchens lebten die Eltern nur 500 Meter voneinander entfernt. Als sie drei wurde, zogen sie in die Wohnungen mit dem Durchbruch.

Dass es so gut mit der Co-Elternschaft läuft, werden sich viele Frauen und Männer, die über Familyship oder andere Portale den Eltern-Gegenpart suchen, sicher auch wünschen. Derzeit sind mehr als 6000 aktive Mitglieder in Deutschland, Österreich und der Schweiz bei Familyship registriert, 4489 davon sind Frauen, 1755 Männer. 839 davon wollen sich als aktive Väter engagieren. Eine Mitgliedschaft für einen Monat kostet 29 Euro, für 79 Euro ist der Zugang unbegrenzt.

Über Anzeigen finden die Partner zusammen

Die Mitglieder stellen auf der Seite Anzeigen mit ihren Wünschen ein und finden so zusammen. Die meisten suchen nach dem Gegenpart für eine freundschaftliche Elternschaft. Das klingt dann zum Beispiel so bei einer Frau: „Lieber potenzieller Co-Papa, ich habe mich hier angemeldet mit dem Wunsch nach einer freundschaftlichen, vertrauensvollen und zuverlässigen Beziehung, die einschließt, dass wir auch gemeinsam Zeit mit unserem Kind verbringen. Und so bei einem Mann: „Seit vielen Jahren träume ich von einer Familie mit einem Kind in meinem Leben und möchte es beim Großwerden begleiten. Ich  suche eine »Teampartnerin« für eine freundschaftliche Verbindung zur Gründung einer Familie auf der Basis von Ehrlichkeit, Loyalität und Vertrauen.“

Manche brauchen nur einen Erzeuger

Es gibt aber auch Mitglieder, die nur einen Erzeuger brauchen: „Hallo Ihr Lieben, meine Frau und ich suchen einen Spender (Bechermethode). Wir wünschen uns einen slawischen oder südländischen Typ, der keinen Anspruch auf Erziehungsteilhabe hat.“  Zu diesen Suchen passen die Männer, die sich auf Familyship als reine Samenspender vorstellen.  Wie die Paare zusammen finden, wie sie Erziehung, Sorgerecht und Unterhalt aufteilen, bleibt ihnen selbst überlassen.

Immer mehr Heterosexuelle suchen einen Partner

Obwohl das Angebot ursprünglich für homosexuelle Paare gedacht war, meldeten sich bald immer mehr heterosexuelle Frauen an. Wagner erklärt sich das so: „Die Scheidungsraten sind hoch, es gibt viele Singles, Frauen Ende 30 suchen nach alternativen Wegen, um ihren Kinderwunsch zu realisieren. Die Gesellschaft ist soweit, auch andere Familienkonstellationen wahrzunehmen.“ Seit etwa zwei Jahren sind auch immer mehr heterosexuelle Männer registriert. Manche davon sind Single und wünschen sich Kinder, andere sind mit einer Frau verheiratet, die aus erster Ehe schon zwei Kinder hat und keine weiteren möchte. Es sind auch Alleinerziehende darunter, die sich noch ein weiteres Kind  wünschen.

Die Konstellationen werden immer bunter

„Es wird immer bunter. Je länger die Reise läuft, umso abwechslungsreicher werden die Konstellationen“, bilanziert Wagner. Sie schätzt, dass es mittlerweile rund 500 Familyship-Babys gibt. Ganz genau kann sie das nicht sagen, denn die Leute finden über die Plattform nur zusammen, dann hört man nichts mehr von ihnen. „Nur selten kriegen wir eine Rückmeldung. Zum Beispiel schickt uns jemand ein Foto und sagt: »Wenn es euch nicht gegeben hätte, wäre dieses Kind nicht auf der Welt«.“

Die meisten Mitglieder suchen eine Co-Elternschaft, einige wollen aber auch eine Art Tanten- und Onkelfunktion ausüben. Das nutzen zum Beispiel viele lesbische Paare, die sich ab und zu auch eine männliche Bezugsperson für das Kind wünschen. Es gibt auch einige Frauen, die sich ein Kind wünschen, das dann hauptsächlich bei einem Männerpaar aufwachsen soll, weil sie selbst zum Beispiel beruflich viel unterwegs sind.

Mutterrolle ist nicht mehr so fixiert

„Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten, dass man Mutterschaft anders leben kann und die Mutterrolle nicht mehr so fixiert betrachten muss“, glaubt Wagner. Und weiter: „Wenn man nur als Eltern zusammen ist und nicht als Paar, ist das einfach eine Ebene weniger, die bedient werden muss. Von meinen Freunden bin ich die entspannteste mit Kind. Ich bin frei mit meinen Entscheidungen, was Liebe angeht. Es hat aber auch Nachteile. Der Vater meiner Tochter hatte jetzt zwei Jahre einen Freund, in der Zeit war ich ein bisschen mehr alleine. Aber so ist das Leben halt.“

Manchmal klappt es einfach nicht

So gut wie bei Wagner läuft es leider nicht bei allen. Sylvia Schmidt (Name geändert) aus Köln wünscht sich seit mehr als fünf Jahren ein Baby. Ihr Weg beginnt zunächst ganz klassisch. Verheiratet, Kinderwunsch mit Mitte 30, aber sie wird einfach nicht schwanger. Heute glaubt sie, dass ihr Ex-Mann ihr verschwiegen hat, dass er unfruchtbar ist. Im September 2016 lässt sie sich scheiden und versucht seitdem, ein Kind zu bekommen.

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Weil sie keinen neuen Partner will, lässt sich die 41-Jährige von ihrer Gynäkologin über andere Möglichkeiten beraten. Die Ärztin bringt sie auf die Idee, es mit einem Samenspender zu versuchen. Sie wendet sich schließlich an die European Sperm Bank (ESB) in Kopenhagen und versucht insgesamt sechs Mal, auf diese Weise schwanger zu werden. Teure Angelegenheit: Eine Portion Sperma kostet zwischen 600 und 900 Euro.

„Will ich das wirklich alleine machen?“

„In dieser Phase habe ich mir immer wieder Gedanken darüber gemacht, ob ich das wirklich alleine machen will und dass es doch schön wäre, wenn das Kind auch einen männlichen Ansprechpartner hätte. Ich machte mir auch Gedanken über Alternativen wie Adoption oder Pflegekinder“, erinnert sich Schmidt. Im Dezember 2018 lernt sie schließlich über Familyship den angedachten Co-Papa für ihr Kind kennen. Mit ihm kommt die Hoffnung, den Wunsch nach einer eigenen Familie doch noch erfüllen zu können. Er hat bereits ein dreijähriges Kind und wünscht sich noch ein zweites. Beide haben sich das mit dem neuen Kind ganz genau vorgestellt: Es soll bei Schmidt leben, der Mann aber ganz offiziell als Vater eingetragen werden, das Kind regelmäßig sehen und Unterhalt zahlen. Auch gemeinsame Urlaube sind geplant.

Befruchtung über die Bechermethode

Zur Befruchtung wählen die beiden wie alle Frauen in dieser Geschichte  die Bechermethode. Das bedeutet, dass der Mann in einen Becher ejakuliert, die Frau das Sperma dann in eine Spritze zieht und sich selbst einführt. Die meisten Frauen, die einen Co-Papa suchen, nutzen diese Methode. Trotzdem sind in den Foren  immer wieder Männer unterwegs, die auf Sex aus sind, wie Schmidt erzählt. Mit ihrem Partner trifft sie  sich während ihrer fruchtbaren Tage bei ihr zuhause. Nach fünf Versuchen ist der Schwangerschaftstest im Mai 2019 positiv. „Das Glück war da natürlich groß, alles war toll, ich hatte auch schon den Mutterpass. Ende des ersten Trimesters erlitt ich jedoch leider eine Fehlgeburt“, erzählt Schmidt. Sie hat Angst, dass der Co-Papa sich von ihr abwendet und sie sich einen neuen Mann suchen muss. Aber er steht zu ihr. „Er ist zu mir gekommen und war für mich da“, erzählt Schmidt. Schnell  ist klar, dass sie weiter machen wollen. Aber es klappt nicht mehr.

Er verliebt sich: Ende der Co-Elternschaft

Sieben Versuche später passiert das schlimmste, was hätte passieren können: Er verliebt sich und geht eine Beziehung mit einer anderen Frau ein. Die Co-Elternschaft mit Schmidt kommt somit nicht mehr in Frage. „Für mich ist eine Welt zusammen gebrochen, ich habe sehr viel geweint. Nun muss ich mir genau überlegen, ob ich mich noch mal auf jemand neues einlassen kann. Ich gönne ihm das von Herzen, ich hätte das Kind auch lieber mit einem Liebespartner an meiner Seite. Aber das hat sich eben in meinem Leben nicht ergeben“, sagt Schmidt.

"Er hat sich heimlich sterilisieren lassen"

Auch Anna Steiner (Name geändert) aus einer kleinen Stadt in Nordrhein-Westfalen versucht, mit einem Mann, der nicht ihr Partner ist, ein Kind zu bekommen. Sie wollte schon immer eine Familie gründen. „Von meinem letzten Partner war ich vor drei Jahren sogar schwanger, hatte dann aber leider eine Fehlgeburt. Danach ist es zwischen uns so eskaliert, dass er sich  hinter meinem hat Rücken sterilisieren lassen. Das war das Ende unserer Beziehung“, erzählt sie. Seit einem Jahr wohnt sie alleine. Keine Sekunde zweifelt Steiner daran, dass sie trotzdem ein Kind haben will.

Das Kinderzimmer gibt es schon

Nach der Trennung sucht sie sich eine Drei-Zimmer-Wohnung,  um gleich ein Kinderzimmer zu haben. Auch sie bestellt bei der ESB in Dänemark Sperma, wird davon aber nicht schwanger. Sie macht einen Termin in einer Berliner Kinderwunschklinik aus, die auf Alleinstehende spezialisiert ist. Corona macht ihr einen Strich durch die Rechnung. Steiner ist mittlerweile 38 Jahre alt und denkt sich: „Wenn ich jetzt jemand kennenlerne, muss ich ja gleich  abchecken, ob er der Vater meines Kindes sein könnte. Das möchte ich nicht. Außerdem geht man nicht direkt in die Kinderplanung. So viel Zeit möchte ich nicht vergehen lassen und so viel Zeit habe ich auch nicht mehr“, sagt sie.

„Wir treffen uns auch außerhalb der fruchtbaren Tage“

Co-Elternschaft könnte also die Lösung sein. Steiner meldet sich bei Familyship und dem Portal „Wunschkind4you“ an und findet hier schließlich den passenden Mann. Die beiden harmonieren gut und haben die gleichen Vorstellungen von Co-Elternschaft. Er möchte als aktiver Vater mitwirken und wohnt nur eine Stunde von ihr entfernt.  Der erste Versuch mit der Bechermethode bleibt ohne Erfolg, doch die beiden wollen weiter machen.

Steiner sagt: „Wir sind mitten drin und treffen uns auch so, außerhalb der fruchtbaren Tage, um uns besser kennenzulernen und ein freundschaftliches Verhältnis aufzubauen. Da sind wir schon ziemlich auf einer Wellenlänge. Wir reden nicht nur über das Kind, sondern auch über unsere Freizeit, unsere Familien und unsere Geschichte. Genauso, wie man sich auch als Paar kennenlernen würde.“

Dr. Manuela Torelli arbeitet als Psychologische Psychotherapeutin in München und erklärt, woher der extrem starke Kinderwunsch bei manchen Frauen kommt:

„Wir leben heute in der westlichen Welt in einem Zeitalter der technischen Machbarkeit. Alles was medizinisch umsetzbar ist, wird von manchen Menschen genutzt. Dabei werden biologische Grenzen ausgereizt. Die Enttraditionalisierung der Geschlechtsrollenbilder durch die Emanzipation hat neue Freiheiten geschaffen. Menschen, die keine eindeutige heterosexuelle Orientierung entwickelt haben, können heute Familien gründen. Einzelne, die keinen Partner haben, können versuchen, über eine Samenbank ein Kind zu bekommen.

Ein Kinderwunsch an sich ist ganz natürlich

Gesellschaftlich herrscht trotz Corona-Krise die Stimmung, als wären wir keine Menschen mehr, sondern fast Götter, die grenzenlos agieren können. Ein Kinderwunsch an sich ist selbstverständlich etwas ganz natürliches. Wir Menschen sind biologisch gesehen hoch entwickelte Säugetiere, die denken können. Sexualität ist primär biologisch dazu da, sich fortzupflanzen, primär auch der Arterhaltung wegen. Die sogenannte romantische Liebe – das heißt Sexualität ohne die Folgen einer Schwangerschaft – konnte sich erst nach Erfindung der Pille entwickeln.

Dr. Manuela Torelli

arbeitet als Psychologische Psychotherapeutin in München und behandelt Erwachsene, Kinder und Jugendliche analytisch und tiefenpsychologisch fundiert. Sie hat selbst 24 Mal versucht, über Insemination schwanger zu werden. Erfolglos. Schließlich wurde ihre damalige Frau auf diese Weise schwanger, die Kinder sind 14 und 16 Jahre alt. Die beiden Frauen sind mittlerweile geschieden.  Torelli promovierte zum Thema: „Psychodynamik lesbischer Sexualität“. In ihrer qualitativen Studie spielte das Thema: „Kinderwunsch“ eine zentrale Rolle.

Unfruchtbarkeit bringt Probleme mit sich

Homosexuelle und Menschen, die unfruchtbar sind, stehen vor dem großen und schmerzlichen Konflikt, dass sie aus der Mehrheit derer, die Familien gründen und ihre Familientradition auch genetisch weitergeben, ausgeschlossen sind. Die männliche Identität ist innerseelisch und gesellschaftlich mit Fruchtbarkeit  verknüpft, so dass Unfruchtbarkeit oder die Unmöglichkeit, eine adäquate Partnerin für ein gemeinsames Kind zu finden, große Probleme mit sich bringen kann. Die meisten Frauen, die keine Kinder bekommen können, fühlen sich nicht als richtige Frauen und werden in manchen Entwicklungsländern sogar massiv ausgegrenzt, weil Kinder in diesen Staaten das Überleben im Alter sichern. Es besteht also ein Interesse, eine nächste Generation zu schaffen. 

Unsere Sterblichkeit treibt den Kinderwunsch an

Alle Menschen sind aber auch heute noch sterblich, obwohl wir die Tatsache des Todes ständig verdrängen. Unsere Sterblichkeit ist ein weiterer wichtiger Motor unseres Kinderwunsches. Die Fantasie, dass etwas bleibt – und sind es nur die eigenen Gene in einem eigenständigen neuen Menschen – stellt angesichts des persönlichen Verfalls einen Trost dar.  Einige Frauen entwickeln einen sehr starken Kinderwunsch, der alles andere zu überschatten scheint. Die Ursache ist individuell in der Biografie der jeweiligen Person begründet.

Wenn sich aber durch das maximale Ausschöpfen reproduktionsmedizinischer Maßnahmen keine Schwangerschaft einstellt, muss die Betroffene sich eingestehen, dass der große Traum, in den so viel Zeit, Geld und mentale wie seelische Energie investiert wurde, geplatzt ist. Hier beginnt die Trauerarbeit. Diese schwere Enttäuschung und Konfrontation mit der eigenen Ohnmacht und dem Ende der Vorstellung, mit viel Energie und Geld sei alles machbar, schmerzt schrecklich. So mancher will und kann das nicht aushalten. Aber erst dann können sich neue Türen für andere ebenso sinnvolle und lebenswerte alternative Lebensentwürfe öffnen.“ 

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