Depressionen„Die schlimmste depressive Phase war nach der Geburt meiner Tochter“

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Porträtbild von Barbara Vorsamer

Schmerzen und Dunkelheit bestimmen immer wieder Barbara Vorsamers Leben. Trotzdem will sie vor allem eins: einfach leben!

Barbara Vorsamer ist Mutter und erfolgreiche Journalistin. Und sie hat seit Jahrzehnten Depressionen. In ihrem klugen und fesselnden Buch „Mein schmerzhaft schönes Trotzdem“ erzählt sie beeindruckend offen von den dunkelsten Momenten in ihrem Leben – von Schmerzen und Trauer, aber auch von Hoffnung und dem Wunsch, trotz Depression einfach leben zu wollen. Ein Gespräch.

Viele reden über Depressionen, aber wenige wissen, wie es wirklich ist. Wie fühlt sich das an?

Barbara Vorsamer: Ich wache meistens sehr früh auf, so etwa um vier Uhr nachts, und habe das Gefühl, ein Elefant liegt auf mir. Es fällt mir dann sogar schwer, mich umzudrehen oder aufs Klo zu gehen. Ich bleibe einfach liegen und denke daran, wie schlimm alles ist. Wenn der Morgen kommt, muss ich die Entscheidung treffen, ob ich mich krank melde oder mich doch zur Arbeit schleppe. Oft wurstele ich mich irgendwie durch den Tag und rede mir abends ein, dass ich gar nichts habe. Und gehe danach sehr früh ins Bett, weil ich mit dem Leben sowieso nichts anfangen kann. Am nächsten Tag geht es von vorne los. Ich wache auf und kann nicht mehr.

Wann haben Sie sich das erste Mal so gefühlt?

Buchtipp

Cover des Buches „Mein schmerzhaft schönes Trotzdem“

Barbara Vorsamer, „Mein schmerzhaft schönes Trotzdem“, dtv Verlag, 2022

Barbara Vorsamer ist Journalistin bei der Süddeutschen Zeitung, Mutter zweier Kinder und lebt in München. 2018 ging sie das erste Mal mit ihren Depressionen an die Öffentlichkeit – für die Süddeutsche Zeitung schrieb sie einen Brief an ihre damals siebenjährige Tochter, der mehrfach ausgezeichnet wurde: „Liebe Magdalena, ich habe Depressionen“

Im Alter von 16 oder 17 gab es Situationen, in denen es mir sehr schlecht gegangen ist, die äußeren Umstände diese Gefühle aber nicht so richtig erklärt haben. Rückblickend sehe ich das deutlich. Ich bin damals aber überhaupt nicht auf die Idee gekommen, dass es eine psychische Krankheit sein könnte. Ich dachte, um eine psychische Störung zu rechtfertigen, muss man schlimme Dinge wie Missbrauch erlebt haben oder wenigstens unter der Scheidung der Eltern gelitten haben. Einfach so psychisch krank zu sein, das habe ich mir also gar nicht erlaubt. Stattdessen steigerte ich mich damals immer in irgendetwas hinein, eine Verliebtheit oder Prüfungsangst, durch die ich mir erklären konnte, warum es mir nicht gut geht.

Und doch, so schreiben Sie es in Ihrem Buch, hatten Sie da bereits Suizidgedanken. Erschreckt Sie das rückblickend?

Nein, erschreckend war das in meiner Welt nicht. Für mich sind Suizidgedanken etwas komplett Normales. Sie waren in meinen Kopf schon immer da. Erst im Zuge meiner Therapien habe ich gelernt, dass solche Gedanken in großer Intensität nicht normal sind und nicht alle Menschen darüber nachdenken, nicht mehr da sein zu wollen.

Wie lange haben Sie gebraucht, um wirklich zu begreifen, dass es eine Krankheit ist?

Einen fingerschnipsenden Erkenntnismoment gab es da nicht, es ist ein sehr langer Prozess. Mit der Zeit habe ich aber verstanden, dass es eine Krankheit ist und ich auch die Suizidgedanken nicht aushalten muss, sondern man mit Medikamenten und Therapie einiges machen kann.

Hier finden Sie Hilfe

- Telefonseelsorge, Beratung per Mail, Telefon, Chat oder vor Ort: 0800-1110111 oder 0800-1110222 (kostenlose Nummern) - Nationales Suizid-Präventionsprogramm für Deutschland mit vielen Informationen und Materialien - Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention - Nummer gegen Kummer (anonym und kostenlos), Informationen für Kinder, Jugendliche (unter 116111) und Eltern (0800/1110550)

Kurz nachdem Sie Mutter geworden sind, hat sich die Depression mit Wucht zurückgemeldet…

Meine bisher schlimmste depressive Phase war nach der Geburt meiner Tochter. Ich war von mir selbst total überfordert. Meine Depression ist ja immer da, aber kommt in schwierigen Phasen meines Lebens stärker heraus. Und in der ersten Zeit mit Baby war ich emotional und körperlich extrem gefordert, aber gleichzeitig oft einsam. Mir fiel es außerdem schwer, mich in der Mutterrolle wohlzufühlen. Natürlich habe ich mich um meine Tochter gekümmert. Aber es ging mir sehr schlecht, ich hatte dauernd Schmerzen und Verdauungsstörungen. Depressionen können sich ja hinter jedem körperlichen Symptom verstecken. Ich wollte erst überhaupt nicht einsehen, dass es etwas Psychisches ist und bin von Spezialist zu Spezialist gelaufen, um herauszufinden, was mit mir los ist. Irgendwann ging einfach gar nichts mehr.

Sie haben sich dann entschieden, in die Psychiatrie zu gehen. Wie haben Sie das erlebt?

Das war für mich eine große Entlastung. Der Moment, in dem ich auf der Krisenstation aufgenommen wurde, konnte ich endlich die Verantwortung für mich abgeben. Übrigens sind etwa 98 Prozent der Patientinnen und Patienten in psychiatrischen Kliniken dort freiwillig, sie werden nicht, wie viele denken, in die Psychiatrie „reingesteckt“. Ich musste starke Beruhigungstabletten nehmen, um aus dem Loch herauszukommen und war insgesamt zwei Monate in einer Mutter-Kind-Klinik. Danach ging es mir langsam besser.

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Erkennen Sie inzwischen relativ schnell, wenn die Depression zurück ist?

Eigentlich schon. Aber es bleibt komplex und ich möchte es nach wie vor auch nicht sehen. Letztes Jahr zum Beispiel, mitten in der Corona-Krise, als es allen irgendwie schlecht ging, habe ich ein paar Monate gebraucht, um zu erkennen, dass die Depression zurück ist.

Warum ist es grundsätzlich so schwierig, Depressionen zu diagnostizieren?

Es ist eine Grauzone. Wenn man eine Depression beschreibt, sagen viele: Das Gefühl kenne ich auch! Einfach nicht hochzukommen, sehr traurig zu sein, sich abgelehnt zu fühlen oder krasse Emotionen und Gedanken zu haben, die überhaupt keinen Sinn machen. Der Unterschied ist, dass diese Gedanken normalerweise vorbeiziehen – bei einer Depression fällt man ganz in sie hinein und denkt nur noch so etwas.

Wann die Krankheit beginnt, diese Linie lässt sich nicht so leicht ziehen. Ich habe mir immer ein Teststäbchen gewünscht, das anzeigt, wie stark meine Depression gerade ist. Aber so funktioniert es eben nicht. Unser Gehirn ist viel komplizierter. Letzten Endes kann eine Diagnose nur von Patient und Arzt gemeinsam ermittelt werden, denn weder kann man psychische Krankheiten von außen erkennen, noch ist alleine der selbst empfundene Leidensdruck ausschlaggebend. Es gibt stark depressive Menschen, die behaupten, ihnen gehe es gut und andere sind gar nicht psychisch krank, schreien aber bei Psychiatern laut um Hilfe. Hier richtig zu unterscheiden, das ist eine enorme Herausforderung für Ärzte.

Ihnen helfen seit Jahren Medikamente. Viele haben aber Hemmung, diesen Schritt zu gehen…

Wie bei allen Medikamenten sollte man auch bei Psychopharmaka zögerlich sein und sich nicht einfach zuballern, nur um gesellschaftskonform seinem Alltag nachgehen zu können. Aber es gibt eben psychische Krankheiten, da reicht Therapie allein einfach nicht aus. In meinem Fall ist es so. Ich habe über die Jahre viel ausprobiert, aber schließlich realisiert, dass ich nur mit Medikamenten über einen längeren Zeitraum stabil bleibe.

Ich würde mir wünschen, dass Menschen Psychopharmaka genau so offen gegenüberstehen wie anderen Medikamenten. Es würde ja auch keiner sagen: „Nee, Chemo brauche ich nicht, ich schaffe das allein!“ Wir bilden uns ein, Kontrolle über unseren Kopf zu haben und dass wir nur anders denken und fühlen müssen, damit die Krankheit weg geht. Doch so funktioniert es eben nicht. Wie bei anderen Körperteilen haben wir auch auf unser Gehirn nur bedingt Einfluss.

Heute gehen immer mehr Promis mit ihrer Depression an die Öffentlichkeit. Nur eine Modeerscheinung oder hilft das bei der Normalisierung?

Die meisten Promis, von denen man es weiß, sind aus dem Kunst- und Kulturbereich – zum Beispiel Lady Gaga, Kurt Krömer oder Nora Tschirner. Das sind Branchen, in denen man so sein darf. Das leicht durchgeknallte kreative Genie ist ja fast schon Klischee. In manchen Milieus gehört eine Therapie ja quasi zum guten Ton. In anderen sozialen Bereichen ist das Stigma heute noch sehr stark. Aus der Politik und der Wirtschaft hören wir zum Beispiel nach wie vor nichts von psychischen Krankheiten, dort ist es immer noch ein absolutes No-Go. Ich weiß nicht, ob eine Schriftstellerin die über ihre Depressionen schreibt, damit auch dem bipolaren Manager oder dem zwangsgestörten Mechaniker bei der Überwindung des Stigmas hilft.

Sie sagen: Ich habe keinen Rat, wie man Depressionen loswird, sondern nur, wie man lernt, mit ihnen zu leben. Das klingt hart und tröstlich zugleich…

Ja. Die ersten Jahre habe ich immer auf die Wunderheilung gewartet, dass ich irgendeine Methode oder ein Medikament finde, durch das die Depression für immer weg geht. Viele Dinge habe ich so auf den Zeitpunkt „danach“ verschoben, wenn es mir dann gut gehen würde. Doch der kam nicht. Ich habe vieles verpasst. Seitdem ich akzeptiert habe, dass diese Krankheit einfach da ist, geht es mir besser. Ich stelle mir heute eher die Frage: Was will ich jetzt und was geht gerade?

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